[rohrpost] "Empire" - Kritik

Krystian Woznicki krystian@snafu.de
Tue, 28 May 2002 09:37:01 +0200


Hi,

die nachfolgende Kritik am globalisierungskritischen Theorie-Besteller=
 >Empire<
wurde auf der 911.jpg - Liste gepostet.

Diese Mailingliste, die ich Ende letzten Jahres gegruendet habe und nun=20
zusammen
mit Gerrit Gohlke moderiere, versucht so repraesentativ wie moeglich eine=20
Sammlung
der Notstandsrhetorik, der Medienstrategien, der kulturellen Phaenomene und=
=20
der bildhaften
Suggestionen anzulegen, wie sie seit dem 11. September 2001 zu beobachten
sind.

Waehrend es anfangs galt die Auseinandersetzung um die Rhetorik der=20
Kriegsbilder, die
Medialisierung des Krieges und den Zeichenkrieg in journalistischen und=20
theoretischen
Materialien widerzuspiegeln, hat sich die thematische Ausrichtung im Laufe=
=20
der Zeit auf
die kultur- und geopolitischen Dimensionen des >permanenten und globalen<=20
Krieges
gegen den Terror verschoben.

Weitere Info unter

www.911.bemagazin.de

Gruss,

Krystian

- http://www.berlinergazette.de


Biomacht und Kommunismus

Das Buch zum neuen Antiamerikanismus ist "Empire" von Antonio Negri und
Michael Hardt. Lesekreise bl=FChen auf und treiben Kapitalismuskritik. Ein
skeptischer Blick auf die Szene

Von J=F6rg Lau

Das Seminar f=FCr Kritische Theorie an der University of Illinois wollte=
 sich
im letzten Fr=FChjahr eigentlich ganz allgemein mit "aktueller politischer
Theorie aus Kontinentaleuropa" besch=E4ftigen. Mitten im Semester aber=
 musste
pl=F6tzlich das Programm ver=E4ndert werden. Nun interessierte nur noch ein
einziges Buch: "Das Seminar hat sich entschieden", hei=DFt es auf der
Website, "den Rest des Semesters der Lekt=FCre von Hardts und Negris Empire
zu widmen." Dies ist keineswegs irgendein Einzelfall aus der akademischen
Provinz der Vereinigten Staaten. Empire ist derzeit das Gro=DFe Neue Ding=
 f=FCr
die politisch-theoretisch interessierte Jeunesse Dor=E9e. Die Yale Marxist
Reading Group auf dem Elite-Campus von New Haven ist ihm ebenso verfallen
wie das soziologische Graduiertenseminar an der kanadischen Queens
University. Dessen Fr=FCjahrsprogramm 2002 steht im Zeichen des
"Postpostmodernismus: Radikale Gesellschaftstheorie im neuen Jahrtausend"
und gipfelt wie selbstverst=E4ndlich in einer Diskussion von Empire:=
 "Michael
Hardt und Antonio Negri", teilt das Vorlesungsverzeichnis mit, "kombinieren
Foucaults Konzept von Biomacht mit Deleuze und Guattaris Theorie der
molekularen Revolution und tun ihr Bestes, dabei die postkoloniale
Situation zu ber=FCcksichtigen. Indem sie einige neue Begriffe hinzuf=FCgen,
produzieren sie ein Werk, das zum Kommunistischen Manifest des 21.
Jahrhunderts werden k=F6nnte." Seit vielen, vielen Jahren hat keine
Gro=DFtheorie mehr derart eingeschlagen wie Empire. Das Internet ist voller
Diskussionsgruppen. Kleine, aber bei der globalisierungskritischen Jugend
einflussreiche linksradikale Zeitschriften wie Bad Subjects, Z Magazine,
The Stranger, New Left Review und Rethinking Marxism haben gro=DFe Essays=
 und
ganze Sondernummern ver=F6ffentlicht. Auch in Deutschland widmen sich
Lesekreise - Wiederg=E4nger der Kapital- und "Peter-Weiss-Arbeitsgruppen"=
 der
siebziger Jahre - der Exegese des Werks. "Dieses Buch", hat einer der
Teilnehmer in einem Interview mit der FAZ bekannt, "bietet sich zum
Lesegruppen-Lesen besonders gut an, weil das, was Hardt und Negri als neues
Subjekt beschw=F6ren, etwas ist, das sie als Potentielles begreifen. Indem
man sich mit dem Buch auseinandersetzt, wird man zu dem, was das Buch
prognostiziert." Als der Campus Verlag vor wenigen Wochen die deutsche
Ausgabe in Berlin vorstellte (461 Seiten, 34,90 =80), kamen Hunderte junger
Leute in den Roten Salon der Volksb=FChne, um Michael Hardt zu sehen. Seit
Herbert Marcuses Auftritt Ende der Sechziger an der FU, seit Michel
Foucaults Erscheinen Ende der Siebziger auf dem Tunix-Kongress, seit den
Vortr=E4gen Judith Butlers in den Neunzigern hat es ein vergleichbares
Radical-Chic-Happening nicht mehr gegeben, in dem sich Popkultur, juveniler
Linksradikalismus und die Sehnsucht nach der gro=DFen, allumfassend
welterkl=E4renden Theorie durchdringen. Negris "untadelige revolution=E4re
Vita" - so eine der vielen ihm gewidmeten Websites - tr=E4gt nicht wenig zu
der Anziehungskraft des Unternehmens Empire bei. Mit einer Mischung aus
Ehrfurcht und klammheimlicher Freude beschw=F6ren seine Anh=E4nger, dass er
Ende der Siebziger als Drahtzieher terroristischer Akte angeklagt wurde,
die Polizei freilich nie zweifelsfrei habe belegen k=F6nnen, dass er
tats=E4chlich in die Ermordung Aldo Moros verstrickt gewesen sei. Antonio
Negri ist darum seit Jahrzehnten die ideale Projektionsfl=E4che f=FCr die
Militanzfantasien b=FCrgerlicher Intellektueller: ein reueloser Apologet der
Gewalt, der es immer verstanden hat, sich rechtzeitig von den Folgen seiner
Lehren zu distanzieren - anders als die dummen Gl=E4ubigen, die seine
Manifeste allzu w=F6rtlich genommen hatten. Der sp=E4te Ruhm Negris, dieses
unsinkbaren alten Pfundskerls der linksradikalen Szene Italiens, der seinen
Lebensabend als Freig=E4nger in Rom verbringt, beweist nebenbei auch dies:
Der Terrorismus der bleiernen Jahre ist endg=FCltig zum Marketing-Element
herabgesunken. Mit Harvard University Press und dem Frankfurter Campus
Verlag machen sich nun auch respektable akademische Verlage Negris Street
Credibility zu nutze. Empire ist der gr=F6=DFte Sachbuch-Kassenschlager in=
 der
Geschichte der Harvard University Press. Der Campus Verlag wird sicher, das
l=E4sst die =FCberw=E4ltigende Resonanz auch hierzulande bereits ahnen,=
 nicht
schlecht mit dem Buch fahren.

Neue geistige Regressionslust

Bis tief in die b=FCrgerliche =D6ffentlichkeit hinein findet also niemand=
 mehr
etwas dabei, dass die avancierten Kader der akademischen Jugend sich heute
von einem verstockten alten Mann die Welt erkl=E4ren lassen, der schon
seinerzeit nichts unversucht gelassen hat, um seiner eigenen Generation den
Aufbruch der siebziger Jahre kaputtzumachen. Es w=E4re allzu selbstgerecht,
Negris Altersruhm als Zeichen der Liberalit=E4t und Entspanntheit unserer
=D6ffentlichkeit zu deuten. Toni Negris zweite Karriere ist vielmehr ein
Indiz daf=FCr, das sich eine erstaunliche Geschichtsvergessenheit mit neuen
millenaristischen Tr=E4umen von einer totalen "Befreiung" verb=FCndet. Der
internationale Erfolg von Empire ist wahrhaft gespenstisch, allerdings
nicht in dem gern zitierten Marxschen Sinn. Dieses Buch ist nicht der
Vorl=E4ufer einer kommenden Revolution, sondern der Nachklapp einer
gescheiterten Revolte. Hardt und Negri selber beschreiben ihr Projekt als
den Versuch, das aus ihrer Sicht unwahrscheinliche =DCberleben des heute
"erstaunlich gesunden und robusten" Kapitalismus mit den zahllosen
marxistischen Prognosen seines Absterbens zu "vers=F6hnen". Der Gedanke,=
 dass
es da wom=F6glich nichts zu vers=F6hnen gibt, dass vielleicht die=
 betroffenen
Theorien schlicht falsch waren und vom Gang der Geschichte widerlegt
wurden, wird gar nicht erst zugelassen.Dass dieses Buch einen solchen Ruhm
genie=DFt, darf man als Indiz einer offenbar verbreiteten geistigen
Regressionslust deuten. Die f=FCrchterlich autorit=E4r-angeberische
Seminarsprache, die auch von den tapferen =DCbersetzern nicht zu retten war,
wird vom Publikum anscheinend als Relevanzsignal verstanden. So rattert
dieser Text =FCber gut 400 eng bedruckte Seiten: "Die Analyse der reellen
Subsumtion, wenn man versteht, dass sie nicht nur die =F6konomische oder die
kulturelle Seite der Gesellschaft ber=FChrt, sondern den sozialen Bios, das
gesellschaftliche Leben selbst, und dabei die Modalit=E4ten der
Disziplinierung und/oder der Kontrolle ber=FCcksichtigt, zeigt die Br=FCche=
 in
der linearen und totalit=E4ren Gestalt der kapitalistischen Entwicklung." Es
w=E4re freilich naiv, jargonbewehrte Unverst=E4ndlichkeit als Handicap eines
Theoriekultbuch-Kandidaten zu verstehen. Im Gegenteil ist offenbar ein
gewisser Hermetismus geradezu Bedingung des Erfolgs. Man denke nur an den
Anti-=D6dipus von Deleuze und Guattari, das Kultbuch der Siebziger und eine
der Hauptinspirationen f=FCr Empire. Systematische Unsch=E4rfe, verkleidet=
 mit
einem Habitus der Wissenschaftlichkeit, erzeugt einen subversiven und
zugleich hermetischen Sound. Die vertrackte Theoriesprache von Empire
suggeriert Komplexit=E4t, dabei ist das Buch von =FCberaus schlichten
Oppositionen bestimmt: der romantischen Verkl=E4rung jeglicher=
 "Gegen-Gewalt"
(immer gut, immer gerechtfertigt) steht eine ungez=FCgelte Verachtung f=FCr
alles B=FCrgerliche gegen=FCber: repr=E4sentative Demokratie, Kapitalismus,
Rechtsstaat, Reformismus, Eigentum, Individualismus, Nationalstaaten und
ihre Institutionen (immer b=F6se, immer illegitim). Schwer zu sagen, was
seltsamer ber=FChrt - das pseudowissenschaftliche Gedr=F6hne oder die
zahlreichen Ausbr=FCche in prophetisches Vibrato: "Eine neue Rasse von
Barbaren wird kommen und ins Empire einfallen oder es evakuieren", hei=DFt=
 es
in einer der vielen Passagen, die zwischen nietzscheanischer M=E4nnerfantasi=
e
und =F6ligem Befreiungskitsch reichlich delirant schillern. "Diejenigen, die
dagegen sind und deshalb aus den lokalen und partikularen Zw=E4ngen ihres
Daseins entfliehen, m=FCssen dar=FCber hinaus st=E4ndig versuchen, einen=
 neuen
K=F6rper und ein neues Leben aufzubauen." "Der neue K=F6rper", fahren die
Autoren fort, "muss nicht nur radikal ungeeignet f=FCr die Normalisierung
sein, sondern auch in der Lage, ein neues Leben zu schaffen. Wir m=FCssen
viel weiter gehen, um diesen neuen Ort des Nicht-Orts zu bestimmen. ... Wir
m=FCssen dahin gelangen, ein koh=E4rentes politisches Artefakt zu=
 entwickeln,
ein k=FCnstliches Werden in dem Sinne, wie die Humanisten von einem durch
Kunst und Erkenntnis geschaffenen homohomo sprachen und Spinoza von einem
m=E4chtigen K=F6rper, geschaffen von h=F6chstem Bewusstsein, das von Liebe
durchstr=F6mt ist. Die unbegrenzten Wege der Barbaren m=FCssen eine neue
Lebensweise formen." M=FCssen, m=FCssen, m=FCssen? L=E4sst sich die ersehnte=
 totale
anarchistische Revolte denn befehlen? Feine Barbaren, denen man die
Notwendigkeit eines jeglicher Kontrolle durch die "Biomacht" entzogenen
"m=E4chtigen K=F6rpers" erst derart schulmeisterlich einbimsen muss! Wie=
 kann
es sein, dass kaum ein Rezensent - von den Lektoren wollen wir lieber
schweigen - sich solchem bl=FChenden Unfug mit der n=F6tigen Deutlichkeit
entgegenstellt? Wie blo=DF haben es seri=F6se Verlage wie Harvard und Campus
=FCber sich gebracht, derartiges Theorieger=FCmpel und schrille Gefasel zu
verbreiten? Es geht ja hier nicht blo=DF um Stil- und Geschmacksfragen. Das
Buch ist eine einzige gro=DFe Geschichtsklitterei im Dienste altlinker
Gewissheiten, die man l=E4ngst auf dem M=FCllhaufen der Geschichte w=E4hnte:=
 Der
Nationalsozialismus wird in fast schon vergessener altmarxistischer Manier
=F6konomistisch abgeleitet - als unvermeidliche "kapitalistische
Ausdrucksform" einer Krise der Moderne. Die Totalitarismus-Theorie gilt den
Autoren hingegen als Ideologie des Kalten Krieges. Dem Sowjetkommunismus
indes wird der Ehrentitel einer "produktiven Zivilgesellschaft" verliehen:
"Die Ideologie des Kalten Krieges nannte diese Gesellschaft totalit=E4r,=
 doch
war sie in Wahrheit eine von starken und vielf=E4ltigen Momenten der
Kreativit=E4t und Freiheit durchzogene Gesellschaft." Diese freundlichen=
 Z=FCge
hatte sie, m=F6chte man sarkastisch erg=E4nzen, der finsteren postmodernen
"Kontrollgesellschaft" des Westens voraus, wo die Macht gnadenlos
"Bewusstsein und K=F6rper der Bev=F6lkerung und zur gleichen Zeit die
Gesamtheit sozialer Beziehungen durchdringt".

Obskurantismus und Kitsch

Es lie=DFen sich noch weitere verbl=FCffende Einzelaussagen dieses bizarren
Buches zitieren - etwa =FCber die iranische Revolution als "machtvolle
Zur=FCckweisung des Weltmarkts; und insofern ... als die erste postmoderne
Revolution". Doch wozu die M=FChe? Obskurantismus ist ja hier kein
Betriebsunfall, sondern das Ziel der ganzen Unternehmung, wie die lyrischen
letzten Zeilen des Buchs in un=FCbertrefflicher Kitschdiktion best=E4tigen:
"Diese Revolution wird keine Macht kontrollieren k=F6nnen, weil Biomacht und
Kommunismus, Kooperation und Revolution in Liebe, Einfachheit und auch in
Unschuld vereint bleiben. Darin zeigen sich die nicht zu unterdr=FCckende
Leichtigkeit und das Gl=FCck, Kommunist zu sein." Biomacht, Kommunismus und
Leichtigkeit in Liebe, Einfachheit und Unschuld! Der Bostoner
Politikwissenschaftler Alan Wolfe - eine leider erschreckend einsame Stimme
- hat es in seinem Rezensionsessay f=FCr The New Republic so gesagt: Empire
verh=E4lt sich zu ernsthafter Gesellschaftskritik und Politikwissenschaft
"wie Pornografie zu Literatur". W=E4re bei diesem trefflichen Vergleich=
 nicht
eine irref=FChrende Assoziation von verbotenem Vergn=FCgen im Spiel - man
k=F6nnte es wahrlich nicht besser sagen.

http://www.zeit.de/2002/22/Kultur/200222_empire.html