[rohrpost] CODeDOC

Tilman Baumgaertel tilman_baumgaertel@csi.com
Wed, 02 Oct 2002 11:43:55 +0200


Geschrieben f=FCr die Taz

Gruesse,=20
Tilman=20

-------------SCHNAPP-----------------------

Sehr "inhaltsreich"=20

Eine Internet-Ausstellung des Whitney-Museums zeigt neue Netz- und
Software-Kunst. Herausgekommen sind Arbeiten, die nur Nerds lieben k=F6nnen

Von Tilman Baumg=E4rtel


Computercode wird gerne mit Musik-Partituren verglichen und das zu recht:
so wie der Musiker beim Spielen eigentlich Befehle ausf=FChrt (Noten sind im
Grunde nichts anderes), so gehorcht auch der Computer Befehlen, die der
Programmierer ihm - in Form eines Programms - eingegeben hat. Und so wie es
f=FCr den Nicht-Musiker meist wenig erhellend ist, Noten zu lesen, so n=FCtz=
t
es demjenigen, der nicht programmieren kann, nichts, wenn er den Code eines
Programms zu lesen bekommt.=20

Die einfache Einsicht ignorierend hat das Whitney-Museum nun eine
Ausstellung mit zw=F6lf Computer- und Netzkunst-Arbeiten zusammengestellt,
bei der nicht nur die Werke selbst, sondern auch deren Quellcode gezeigt
werden. CODeDOC hei=DFt die Online-Ausstellung, die zur Zeit auf der Website
des New Yorker Museums zu sehen ist. Zusammengestellt von Christiane Paul,
die seit einiger Zeit online wie offline sehr verdienstvolle Ausstellungen
mit digitaler Kunst f=FCr das Whitney kuratiert, pr=E4sentiert CODeDOC Arbei=
ten
von US-amerikanischen K=FCnstlern, die das Museum in Auftrag gegeben hat.=20

Wer eine der Arbeiten anklickt, bekommt erst eine Website mit einer
Buchstabenw=FCste geliefert - das ist der Computercode, der "hinter" dem
jeweiligen Werk steckt. Erst dann kann das Kunstwerk selbst besichtigt
werden. Das macht die Ausstellung vor allem f=FCr diejenigen unter uns zu
einem Vergn=FCgen, die es verstehen, Codebrocken wie die folgenden zu lesen:
"difH =3D abs(startH - averageH)   difV =3D abs(startV - averageV)
pDiameter =3D sqrt((difH*difH) + (difV*difV))" F=FCr Nicht-Geeks bietet die
Enth=FCllung des Quellcode wenig erhellendes. Kevin McCoy hat wenigstens den
Code kommentiert, damit auch Leute, die nicht seit ihrem zw=F6lften
Lebensjahr in Lingo programmieren, eine Ahnung davon bekommen, was sich
hinter Befehlen wie doneFlag =3D 0   repeat with x =3D 1 to spriteList.count
verbergen mag. Ansonsten malt sein Programm "Circler" von selbst immer neue
Kreise - na ja, wenn's ihm Spa=DF macht.=20

=C4hnlich selbstgen=FCgsam produzieren auch die Arbeiten von Mark Napier,
Camille Utterback, Scott Snibbe und Martin Wattenberg abstraktes
"eye-candy", das stark an die Computerkunst der 60er Jahre erinnert. Was
man mit ein paar Programmiertricks auch machen kann, zeigt die am=FCsante
Arbeit "Axis" von Golan Levin, bei der man nach eigenem Gutd=FCnken "Achsen
des B=F6sen" aus allen L=E4ndern der Erde zusammenstellen kann. Mexiko, die =
USA
und Kanada w=E4ren zum Beispiel die "Achse der =D6l-produzierenden,
Cannabis-kultivierenden, von den USA Waffen kaufenden Nuklearm=E4chten."=20

Doch trotz einiger gelungener Arbeiten wie dieser hinterl=E4sst CODeDOC eine=
n
faden Nachgeschmack: Denn die Ausstellung zeigt auch, wie aus dem Hype um
"Software-Kunst", der seit zwei oder drei Jahren durch die
Medienkunst-Szene geistert, schnell ein =F6des Abfeiern technischer
Virtuosit=E4t geworden ist, bei der Ideen und Inhalte zweitrangig sind. Was
als kritische Intervention in eine wichtige gesellschaftliche
Produktivkraft, n=E4mlich Computerprogramme, begonnen hat, ist hier nur noch
ein weitgehend sinnfreies Vorf=FChren von Programmierer-Knowhow, zu dem sich
die Teilnehmer des Ausstellung gegenseitig begl=FCckw=FCnschen d=FCrfen: Auf=
 der
Website von CODeDOC haben einige der K=FCnstler Kommentare zu den Arbeiten
ihrer Kollegen hinterlassen, und da schreibt zum Beispiel Scott Scribe =FCbe=
r
die Arbeit von Golan Levin: "Dein Code ist sehr elegant." Und auch sonst
wird von den Mitk=FCnstlern "gutes Handwerk" und "sehr kompetentes
Programmierung" hervorgehoben; au=DFerdem sei die Arbeit "very=
 content-driven".=20

H=E4tte wohl jemand Andy Warhol oder Joseph Beuys das Kompliment gemacht,
ihre Arbeiten seien "sehr inhaltsreich"? Dass sich eine Reihe von
Programmiererk=FCnstlern gegenseitig connaisseurhafte Komplimente zu
besonders gewitzten Codezeilen machen, war bei der Computer- und Netzkunst
nicht immer das vordringlichste Ziel. Eigentlich ging es in diesem Bereich
urspr=FCnglich mal darum, genau diese Technologien einer kritischen,
k=FCnstlerischen =DCberpr=FCfung zu unterziehen, statt sie besonders pfiffig
einzusetzen. CODeCOD zeigt dagegen vor allem Kunst, die nur Nerds lieben
(und verstehen) k=F6nnen. Es d=FCrfte kein Zufall sein, dass unter den zw=F6=
lf
Teilnehmern nur eine einzige weibliche K=FCnstlerin ist - das zweckfreie
Herumbasteln mit Technik war schon immer eher eine M=E4nnerdom=E4ne.=20

Es ist zwar durchaus lobenswert, dass in einer Ausstellung einmal daran
erinnert wird, dass hinter einer st=E4ndig wachsenden Zahl von
Alltagsverrichtungen Computerprogramme ablaufen. Software und Code geh=F6ren
zu den wichtigsten Rohstoffen der Informationsgesellschaft, und darum ist
es auch ein legitimes Anliegen der bildenden Kunst, sich mit diesem
"Material" auseinander zu setzten. Aber die meisten Arbeiten, die bei
"CODeDOC" zu sehen sind, haben wenig Interesse an den Auswirkungen von Code
auf die wirkliche Welt jenseits des Computers, sondern freuen sich lieber
still an den Bildern, die ihre kleinen Programme auf dem Monitor=
 produzieren.=20

Die Offenlegung des Codes soll der Kunst nat=FCrlich etwas von dem
Hipness-Faktor sichern, den Open-Source-Programme wie Linux nach wie vor
besitzen; einige der K=FCnstler sind sogar so weit gegangen, ihre Arbeiten
unter die "GNU Public Liscence" zu stellen. Aber Linux ist gerade deswegen
so ein wichtiges Thema geworden, weil es den derzeitigen Status Quo von
Software-Produktion und -Vertrieb hinterfragt - n=E4mlich die Tatsache, dass
Microsoft als Software-Firma auf dem PC-Markt ein Quasi-Monopol hat. Daran
kann man nicht ankn=FCpfen, indem man den Code seiner m=FCden
Software-Kunstwerke offen legt; da m=FCsste man sich als K=FCnstler schon
wirklich mit der Politik und der Kultur von Software auseinandersetzen. An
einem echten Interesse daran ist bei CODeDOC jedoch wenig zu bemerken.



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Codedoc
http://www.whitney.org/artport/commissions/codedoc