[rohrpost] n0name newsletter Spezial #2 Linz Do., 03.09.2002 16:52 CET

Matze Schmidt matze.schmidt@n0name.de
Tue, 03 Sep 2002 18:21:10 +0200


n0name newsletter Spezial #2 Linz Do., 03.09.2002 16:52 CET=20

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Krieg=20

n0name-Gespraech=20

"Wir managen die Netze besser"=20

Der suedpolare Coder Bruce Magenta, Vers. 7.1 ueber seinen Beruf, die=20
Kraft von Programmierung und Digitalitaet und sein neues Projekt=20
"The Koding", das der Toten des Bombenterrors der westlichen Welt=20
gedenkt.=20

NONAME: Mr. Magenta, in der Nacht, nachdem die 100. Wiederholung der=20
letzten Klonung von Jo Xam gezeigt wurde, loggten Sie sich im MIT 2=20
aus dem Netz und schickten per T-Pathy in die Listen: "Es ist eine=20
weiche Welt, die uns zwingt, mit Dingen zu leben, die man leicht=20
aushalten kann. Und es ist gefaehrlich, hier rauszukommen und heute=20
eine Pathy zu schreiben. Aber es ist das Einzige, was wir tun=20
koennen." Andere Wesen reagieren auf Krisen mit Agonie, Sie greifen=20
quasi in die Tastatur. Was treibt Sie in solchen Augenblicken zu=20
Ihrem Lieblingsinstrument?=20

Magenta: Der Computer ist das Werkzeug, mit dem ich versuche, der=20
Welt einen Sinn zu geben. Andere Leute wenden sich in solchen=20
Momenten den traditionellen Gadgets oder ihrem Aibo zu, sie=20
machen Musik oder reden. Ich ordne meine Erfahrungen wie mit=20
einem PDA. Er ist fuer mich so eine Art Schutzengel.=20

NONAME: Ist er auch eine Art Waffe, mit der Sie versuchen, die Welt=20
zu einem besseren Ort zu machen?=20

Magenta: Ich glaube nicht unbedingt, dass wir Kuenstler die Dinge=20
auf diesem Planeten in mehr Negentropie bringen oder erklaeren=20
koennen, aber ich werde den Verdacht nicht los, dass wir manchmal=20
in der Lage sind, die Sache besser zu managen. Techniken wie Games=20
und Kunst sind dazu da. Heute im digitalen Zeitalter, braucht man=20
nur wenig Fantasie, um Dinge zu gestalten, die sowohl die=20
emotionalen als auch die technischen Beduerfnisse erfuellen. Ich=20
habe in Neu Moskau mehr als 70.000 Fotos vom Tag des Angriffs=20
gesehen, in einer Tele-Ausstellung, die von Japan AOL bezahlt=20
wurde, dem Staat also, der als groesztes suedpol-oestliches=20
Unternehmen die Heimat von 3 Milliarden Wesen ist.=20

NONAME: Nach den Bombadierungen von Tokyo ist es in der Popkultur=20
ziemlich still geworden. Auszer mit ein paar Offline-Kampangnen und=20
Realbannern hat sich kaum jemand getraut sich mit der Katastrophe=20
politisch zu beschaeftigen. Warum haben Sie es gewagt mit ihrem=20
neuen Projekt "The Koding" das Desaster zu verarbeiten?=20

Magenta: Wenige Tage nach dem Angriff spielte ich mit einer Freundin,=20
die Programmiererin ist, ueber ein WLAN das Capitalstrike am Strand von=20
Lagos. Sie spielte es zum ersten mal, und schwuppdiwupp, hatte es sie=20
erwischt! Sie sagte: "Ich mag diesen Zitterkick, wenn man um die Ecke=20
biegt!" Wie ich spaeter herausfand, hat sie ein besonderes Faible fuer=20
komplexe Pogramme. Das hat mich ermutigt, mich dem Code anzunehmen.=20

NONAME: Trotzdem sind Sie bislang in der Netzkultur ziemlich allein ...=20

Magenta: ... ich bin mir sicher dass es in einiger Zeit, 3003, 3004,=20
in Europa endlich XS und u-mode geben wird. Digitale Medien haben den=20
Vorteil, dass man mit ihnen relativ schnell reagieren kann. Hacken ist=20
eine ziemlich subversive Angelegenheit, und sie erlaubt es einem, im=20
besten Fall realtiv unabhaengig von groszen Konzernstaaten wie=20
MicrosoftDaimler oder Genaricon zu arbeiten. Ich tippe ein paar Zeilen,=20
gehe mit meinem 3407 ins Netz und ueberspiele die neuen Patches auf den=20
Server. Was wir brauchen sind mobile Dienste und Webseiten wie=20
www.i-am-an-southpolarian.com und nicht nur Musiker, die "Imagine"=20
spielen.=20

NONAME: Was war ihre unmittelbare Reaktion beim 0005.00001beat ?

Magenta: Ich rief einen Klon von Karlheinz Stockhausen an, und=20
gratulierte ihm stellvertretend zum Remake seines historischen "das=20
groeszte Kunstwerk"-Spruch.  Danach sah ich mir rekonstruierte=20
Hologramme von Nagasaki und Hiroshima an, deren Aesthetik noch immer=20
unuebertroffen ist.=20

NONAME: Wie haben sie ihren Sponsoren und Kapitalgebern das neue=20
Projekt erklaert?=20

Magenta: Ich konnte ihnen nichts grosz erklaeren, weil mir selbst=20
nichts einfiel. Ich agiere ja hauptsaechlich als Stage-Designer und=20
ueberlasse die Detail-Arbeit anderen. Die Aufgabe von CEOs ist es in=20
einem solchen Augenblick, den Geldgebern das Gefuehl von=20
Nachhaltigkeit zu geben, ohne sie dabei anzuluegen. Das Wichtigste=20
ist in solch einem Moment, einfach das Ziel zu benennen und=20
weiterzumachen: "Okay, wir pflegen die Datenbanken und wir haben=20
morgen das Meeting mit unseren Mutterborgs."=20

NONAME: Mit ihrem interaktiven Virtuellen Interface kann man die=20
Berichterstattung saemtlicher groszen TV-Kanaele und Weblogs=20
umgestalten, damit koennen verzerrte Fakten und gefaelschte=20
Geschichten korrigiert werden. Sie nennen das "Style Wars" - so wie=20
man Cover fuer seine Wearez wechseln kann, kann man auch das Design=20
der T-Pathy wechseln. War dieser Bezug zur Politik fuer ihr Coding=20
noetig?=20

Magenta: In meiner Community wird das nicht als Politik verstanden=20
wenn man die Oberflaeche wechselt, da wird das "referentielles=20
Arbeiten" genannt. Gegen die Autonomieaesthetik, gegen das=20
"interesselose Wohlgefallen" (Immanuel Kant, Anm. d. Red.) steht die=20
These einer Kunst, politisch wirksam zu sein. Der suerralistische=20
Akt, so wie das etwa Andr=E9 Breton sagt, blindwuetig in eine Menge=20
zu schieszen, attackiert die Bourgeoisie, evoziert Impact-Management.=20
Unter dem Strand liegt das Pflaster.=20

NONAME: In den Kritiken von 3000 konnte man nachlesen, dass sie zum=20
Held der Szene evanciert sind. Ihre Software kursiert als gepackte=20
Datei im Netz und liegt auf hunderten Anonymous FTP-Servern zum=20
Download bereit, wird Ihnen bei soviel Credits nicht etwas mulmig?=20

Magenta: Mit der Vorstellung, dass Biomaschinen Helden sein sollen,=20
hab ich mich immer schwer getan. Okay, einige Leute lizensieren meine=20
Software ohne das Copyleft zu beachten, und dies festzustellen war=20
sehr bewegend fuer mich. Denn ein Bestandteil im Leben unserer User zu=20
sein, das war stets unser Ziel, von Anfang an. Ein Teil, so tief es nur=20
eben ging.=20

NONAME: Es gibt also fuer uns momentan keine Alternative zur=20
suedpolaren Position?=20

Magenta: Die Neo-Futuristen, die den Krieg als groesztes=20
gesellschaftliches Spektakel verklaerten, diese ganze Aesthetik des=20
Schocks, der Glaube an eine Ethik der Kommunikation im Orga, das alles=20
muss mit einem historischen Zugang zum Problem gespiegelt werden.=20
Psychologische Erklaerungen, dass es soetwas wie das=20
Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom gibt, die Ideen von Professoren zum=20
Aufmerksamkeitsterror aendern zunaechst nichts daran, dass die Monster=20
von uns technisiert wurden. Alle C-Waffen wurden von suedpolichen=20
Maechten geliefert. Wie in VR. Der CIA schenkt einer befreundeten Macht=20
eine Atombombe, die wird von Nazi-Terroisten gestohlen, um sie waehrend=20
des Superbowl zu zuenden, was in der Kalkulation der Nazis zu einem=20
3. Weltkrieg mit Gegner Russland fuehren soll. Amerika glaubt=20
tatsaechlich an eine Provokation seitens der Russen und fuehrt einen=20
atomaren Vergeltungsschlag gegen Russland durch, die gegnerische=20
Seite glaubt ebenfalls an eine Provokation. Doch der gleiche=20
Geheimdienst klaert den Fall via Internet Relay Chat in letzter Sekunde=20
auf, der russische Praesident gibt daraufhin nach und keinen Befehl zum=20
Rueckschlag, die Terroristen werden liquidiert.=20

NONAME: Was schlagen Sie also vor nach dieser Tragoedie?=20

Magenta: Es geht mir um anormale Wesen, um Typen, die ihren Job tun ...=20

NONAME: ... die Verrueckten ...=20

Magenta: ... dies sind die Subjekte, die den Diskurs nach vorne=20
bringen, die den Konsensus hinterfragen helfen. Ich nenne das=20
Consumerism, eine aufgeklaerte Form des Konsums. J.O. de la Mettrie=20
stellt in seinem Werk _L'homme machine_ von 1748 die These auf, dass=20
der Mensch als ein Exemplum hochorganisierter Materie ausschlieszlich=20
mechanischen Gesetzen gehorche. Die darauf aufbauende Ethik der=20
Im-Materialisten sieht alle Handlungen des Menschen, auch die=20
moralischen, als medial, physiologisch, psychisch bedingt an, da auch=20
der Geist bzw. die Seele oder das Denken systemisch gebundene=20
Lebensvorgaenge, aber intersubjektiv erklaerte seien. Man nimmt=20
sozusagen eine Art Diskurs-System an. In der marxistischen Ethik=20
verlagert sich der Schwerpunkt von der menschlichen Natur auf die=20
oekonomische Basis als die materielle Grundlage aller Handlungsnormen.=20
Der Ansatz der Marx'schen Ethik basiert auf der Einsicht, dass das=20
gesellschaftliche Bewusztsein und damit auch die gesellschaftliche=20
Moral durch die Produktionsverhaeltnisse entscheident mitbestimmt sind.=20
Wenn jetzt mein Marktwert als Star nach der Katastrophe um 6 auf=20
10 Millionen Euro gestiegen ist, und ich ein Vorbild bin, dann spende=20
ich den Ofern 1 Million. Ich meine, ich mache ScienceFiction, alles=20
was ich sagen kann ist, holt euch einen guten Algorithmus, macht=20
das Coding, schickt es durch den Assembler, debuggt das Ganze, und=20
dann die Frage: OK? Wenn die antwort "Ja"  lautet, dann kommt was=20
dabei heraus, wenn nicht: zurueck zum Anfang. Sie haben eine Sprache=20
fuer mich entwickelt, die kollektiv ist und die von der Global=20
Society verstanden wird.=20

NONAME: Die Grundfunktionen von "The Koding" sind Rewriting,=20
Interaktivitaet, Hyperconnectivity. Woher stammen die Ideen dafuer?=20

Magenta: Die Programmierung ist eine Mischung aus X++ und Bun. X++ ist=20
die Kontrolle, das Empire. Bun ist das Kontra, das Wilde. Diese beiden=20
Sprachen zusammengebracht haben eine ungeheure Kraft. Oft lasse ich=20
X++ die Strophe und reisze dann die Sache mit dem Bunrefrain nach oben.=20
Das ist die Logik.

NONAME: Glauben Sie an den elektronischen Buergerkrieg, an die=20
nanoistische Revolution?=20

Magenta: Die Ereignisse im Sueden waren schneller und raffinierter als=20
die Gesellschaften der Echtzeit-Medien. Die Raketen zeigten sich in=20
der nicht-mediatisierten Oeffentlichkeit. Die Army gab dadurch die=20
Medienmacht aus der Hand. Alles begann als die Raketen direkt in=20
Erscheinung traten, und da war schon alles zu spaet. Sie hatten ihre=20
Transparenz verloren, ehemals im Kopf-TV, sahen sie alle, aber es lag=20
ausschliezlich in der Macht des Military Entertainment Complex, gesehen=20
zu werden. Dieser Transparenz-Transfer funktionierte nun nicht mehr.=20
Das wird durch die sogenannte Netzwerkgesellschaft als archaischem=20
Paradigma eines technisch-medialen Apriori erst dann gebrochen, wenn es=20
kein Re-Engeneering von Zellen mehr gibt und wenn sich die=20
De-Kapitalisierung als Flow globalisiert hat, der Tobin Steuer-Fantasie,=20
die sowieso nie kommen wird, und der Information zum Trotz.=20

NONAME: Was ihrer Arbeit voellig fehlt ist Synthese, warum?=20

Magenta: Weil Synthese nicht immer etwas bringt. Ich will schwarz=20
gekleidete Maenner sehen, so kleine Reservoir Dogs-Bots mit=20
Sonnenbrillen und AK 47 Pumpguns, die sich von Level zu Level=20
hochschieszen und auch mal den Fernseher oder den Coca-Cola Automaten=20
unpluggen. Der Pluralismus-als-Nation-Kitsch, den gottesglaeubige=20
Saenger zur Zeit verbreiten, wird ja gerade zum Terror. Die Leute=20
gehen da mit wie bei einer Greatest-Hits-Show. Was ich mir vorstelle,=20
sind Touristen-Paerchen, wie sie durch die Stadt bummeln und von=20
den Eingeborenen, dem Schrott, den Accesslosen Fotos machen,=20
um sie dann ins Netz zu schicken, wie Guerilla-Marketing. Ueberall=20
treffe ich Bios mit den alten Prozessoren, aber dem neuesten=20
Nokia-Mobiltelefon. Den Wesen, die an ADS (Aufmerksamkeits-Defizit-
Syndrom, Anm. d. Red.) leiden, fehlt die Faehigkeit, Sinnesreize zu=20
filtern und zu ordnen. Sie sind unorganisiert, unkonzentriert,=20
Hypeaktive, oder Traeumer. Und diese Wesen nutzen jetzt die Netze. Das=20
interessiert mich. Anstatt sie Stalinistisch in die 1000 Jahre alte=20
Denkweise der Zizekistischen "Wueste des Realen" zu fuehren, wuerde=20
ihnen eine 3D E-Gitarre gut tun, oder ein Infrarotschlagzeug. Jeder=20
sollte eines haben, die kosten nur zuviel, wer hat schon -,51 SPOL=20
dafuer?=20

NONAME: Woher diese Wut und die Energie. Sie sind dafuer bekannt die=20
Bank 24-Rhetorik ernst zu nehmen, sie sind ein Relaxaholic, arbeiten=20
nie.=20

Magenta: Natuerlich gibt es da drauszen und in uns Liebe und Hoffnung.=20
Aber es gibt auch das andere: Schmerz und Gewalt, und meine Band=20
versucht genau das zu stoeren.=20

NONAME: So gesehen waere das doch eine Revolution.=20

Magenta: Ich moechte noch einmal auf das Modell des Programierbaren=20
zurueckkommen. Stellen Sie sich folgende Kette vor: Sie sind ein=20
Terrorist, der ein bestimmtes Ziel erreichen will. Bevor Sie dieses=20
Ziel erreichen, muessen sie Zwischenziele, Etappen definieren und=20
erreichen, um bestimmte Voraussetzungen zum Erreichen des eigentlichen=20
Ziels herzustellen. Deshalb planen Sie einen Anschlag mit einer Bombe.=20
Sie kommen aus ihrem Unterschlupf, Sie fahren zu Location. Auf dem Weg=20
dorthin, stoszen Sie auf einen Wachposten. Sie koennen nun fliehen,=20
abbrechen, oder eine Schiesserei anfangen, um das Hinderniss zu=20
ueberwinden. Danach bzw. wahrend der Schiesserei ergeben sich mehrere=20
Alternativen fuer den weiteren Prozess: Sie koennen dabei=20
gefangengenommen werden, sie koennen im Schusswechsel sterben, sie=20
koennen - weil sie den Wachposten erfolgreich ausgeschaltet haben -=20
zum Zielort weiterfahren. Nehmen wir an, Sie fahren weiter. Die drei=20
Alternativen sind jedoch nur aufgehoben! Sie koennen auch am Zielort=20
noch gefangengenommen werden, oder sterben, oder Sie koennen die Bombe=20
deponieren. Jedem Schritt kommt eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu,=20
nach denen ihr Nutzwert bestimmt wird. Hier wird also eine=20
Entscheidungs-Situation simuliert. Das was la Mettrie vorschlug,=20
kommt hier durch: die materialistisch-psychotechnische,=20
rationalistische Kognitionstheorie inklusive Kosten-Nutzen-Rechnung.=20
Was da fehlt sind alle weichen, unberechenbaren Parameter der=20
Emotionalitaet.=20

NONAME: Sie wollten also nie ein Cyborg sein?=20

Magenta: Natuerlich wollte ich das. Solche Traeume bringen einen=20
erstmal dazu ein Tier oder einen Menschen anzufassen. Ich bin kein=20
groszer Programmierer, kein groszer Denker, ich habe es mir=20
nicht selbst beigebracht. Aber, es ist keine schlechte Art die=20
Zeit zu verbringen. Irgendwann wird eine anderere meinen Job tun.=20

NONAME: Mr. Magenta, wir danken Ihnen fuer dieses Gespraech.=20

n0name Spezial #2/0006.00001beat=20

(?) n0name 2002

Kommt bald!: n0name newsletter #43=20

-- End of n0name newsletter Spezial #2 Linz Do., 03.09.2002 16:52 CET ---