[rohrpost] Weltwoche Interview mit Johan Galtung

andreas hagenbach a2h@gmx.ch
Sat, 7 Sep 2002 16:55:54 +0200


http://www.weltwoche.ch/ressort_bericht.asp?asset_id=3D3129&category_id=3D62


=ABEs wird mit der Atombombe enden=BB
David Signer und Armin Guhl

Der Friedensforscher Johan Galtung erkl=E4rt, warum Amerika im Kampf
gegen das B=F6se bis zum =C4ussersten gehen wird und weshalb George W.
Bush und Osama Bin Laden einander =E4hneln.

=ABDie Amerikaner wollen Saudi-Arabien als =D6llieferanten und als
Milit=E4rbasis aufgeben und durch den Irak ersetzen=BB: Johan
Galtung.Herr Galtung, morgen fliegen Sie nach Sri Lanka, um zwischen
Konfliktparteien zu vermitteln. Was ist das f=FCr ein Gef=FChl: zu
wissen, da am Tisch sitzt jemand, der ist f=FCr Morde und Gr=E4uel
verantwortlich?

Niemals moralisieren. Die Grundthese ist immer: Alles w=E4re
vermeidbar, wenn man nur schon vorher den Konflikt ernst genommen
h=E4tte. Nat=FCrlich hat immer der andere Schuld. Also frage ich am
Anfang, wie die eine Konfliktpartei die andere sieht. Und am Ende
kommt die peinliche Frage: Was glauben Sie, wie Ihr Gegen=FCber Sie
betrachtet? Dann heisst es meistens: Ja, da gibt's ganz viel
Propaganda. Aber es ist eigentlich erstaunlich, wie kurz diese Phase
ist.

Was hilft, um die Situation zu entkrampfen?

Humor ist sehr wichtig. Und Metaphern. Statt die Lage in Sri Lanka zu
analysieren, etwas =FCber Nordirland sagen. Und dann kommt immer der
Punkt, wo jemand sagt: Das ist interessant, k=F6nnten Sie das etwas
n=E4her erkl=E4ren. Meistens meldet sich dann der Amateurpsychologe zu
Wort und sagt: Ja, aber die sind v=F6llig anders als wir. Ich
pr=E4sentiere oft Schweizer L=F6sungen. Ja, die Schweizer, heisst es
dann, die sind eben nicht so heissbl=FCtig wie wir. Aber eigentlich
weiss jeder, dass es nicht darum geht.

Die erste Voraussetzung aber ist wohl, dass sich die Konfliktparteien
an einen Tisch setzen.

Nein, die Diplomaten machen immer den gleichen Fehler: Sie wollen die
gegnerischen Parteien um einen einzigen Tisch setzen. Das geht nur,
wenn sie alle gut vorbereitet und bereits auf einer "h=F6heren Ebene"
sind, auch geistig. Konfliktl=F6sung hat mit Kreativit=E4t zu tun, und
niemand ist kreativ, wenn er einem M=F6rder gegen=FCber sitzt, und zwar
dem M=F6rder seiner Verwandten, Nachbarn. Dann verlangt man von ihm,
kreativ zu sein, w=E4hrend sein Blut kocht? Das geht nicht.

Konkret: Wie w=FCrden Sie einen Krieg zwischen Amerika und dem Irak vermeide=
n?

Es ist immer eine Frage der Zielsetzungen der verschiedenen Parteien.
Die Ziele des Iraks sind einfach. Sie haben mit Grenzziehungen
gegen=FCber Kuwait und Iran zu tun, mit der gemeinsamen Ausbeutung der
=D6lfelder, mit der Devisenlage nach dem Krieg 1980-1988. Wenn man =FCber
das Verbrechen der Besetzung Kuwaits - damals 19. Provinz des Iraks,
der Teil des Osmanischen Reichs war - durch britische Truppen am Ende
des 19. Jahrunderts gesprochen h=E4tte, h=E4tte man auch viele Probleme
nicht gehabt.

Welche Interessen hat Amerika?

Meine These ist, dass es den Amerikanern darum geht, ein Land zu
finden, das Saudi-Arabien ersetzen kann. Die USA werden Saudi-Arabien
aufgeben und es als Feind verstehen. Wenn 19 Araber, 15 von ihnen aus
Saudi-Arabien, am 11. September das World Trade Center und das
Pentagon in den USA angreifen, dann k=F6nnte es sein, dass das etwas
mit Saudi-Arabien und diesen Geb=E4uden zu tun hat. Diese These findet
man auch in der Weltwoche nicht. Sie ist zu klar und zu einfach.

Sie glauben also, dass Saudi-Arabien hinter den Anschl=E4gen steckt?

Nein, der Wahhabismus. Er ist die Staatsreligion in Saudi-Arabien,
sehr fundamentalistisch und dem Puritanismus auf amerikanischer Seite
sehr =E4hnlich. Das hat mit Tiefenkultur zu tun. Aber das eigentliche
Problem ist der Vertrag zwischen den USA und Saudi-Arabien von 1945.
Er ist den meisten unbekannt. Dort steht, dass die USA Zugang zu den
=D6lquellen haben, im Gegenzug garantieren sie der Herrscherfamilie den
Schutz gegen Opposition. Denn die al-Sauds wussten: Was wir jetzt mit
dem schwarzen Gold tun, ist mit dem Wahhabismus nicht vereinbar. Sie
haben die Bev=F6lkerung bestochen, und es hat funktioniert. Bis zum 11.
September. Niemand in den USA hat verstanden, dass es eine grausame
Beleidigung f=FCr den Glauben dieser Leute war. Denn der Wahhabismus
ist asketisch, geistig, nichtmaterialistisch: Geld zerst=F6rt die
Verbindung zu Allah. Die Wahhabiten verbieten jegliche Ausschm=FCckung
der Moscheen. Und nun kam im Kielwasser des =D6ls all dieses Geld.
Jetzt hat das K=F6nigshaus ein grosses Problem: Ist es auf der Seite
der Amerikaner oder des Wahhabismus? Um zu =FCberleben, ist es
pl=F6tzlich ganz wichtig geworden zu zeigen, dass sie gute Wahhabiten
sind. Sie sagten den USA kurz nach dem 11. September: Raus. Die
Amerikaner waren emp=F6rt und =FCberrascht. Und versuchten den Medien
weiszumachen, dass es nicht wahr war. Es war aber wahr. Meine These
ist also: Der Irak ist ein Ersatzland f=FCr =D6l und Milit=E4rbasen.

Er kann aber vom =D6lvolumen her nie Saudi-Arabien ersetzen.

Doch. Die =D6lvorr=E4te in Saudi-Arabien scheinen zur Neige zu gehen.

Die Argumentation der USA, Saddam Hussein halte
Massenvernichtungsmittel bereit, sei eine Gefahr f=FCr den
Weltfrieden...

=2E..ist falsch. Sie haben etwas gehabt, aber das ist alles zerst=F6rt.
Die USA haben den Irak ja selber mit "kritischem Uran" bombardiert,
und das ist Massenvernichtung. Es geht um das, was die Psychologen
"Projektion" nennen.

Projektion?

Das Problem sind nicht die Massenvernichtungswaffen. Die USA haben
eine Liste von Grunds=E4tzen. Die ist lang und nicht =F6ffentlich. Man
muss zum Beispiel wissen, was JCS 570/2 ist.

Was ist das?

Ja, sehen Sie. Das ist die strategische Bibel der USA von 1944. Sie
skizziert die Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg, und alles, was
dort steht, haben sie umgesetzt.

Wollen Sie damit sagen, dass sich an der Zielsetzung der
amerikanischen Aussenpolitik seit sechzig Jahren nichts ge=E4ndert hat?

=DCberhaupt nichts. Alles nur eine Frage von Gelegenheit und
M=F6glichkeit. Die geopolitische Doktrin der USA seit Anfang des
Jahrhunderts lautet: Wer Osteuropa beherrscht, beherrscht
Zentralasien, wer Zentralasien beherrscht, beherrscht Eurasien. Und
wer Eurasien beherrscht, beherrscht die Welt. Die Welt beherrschen
bedeutet zweierlei: den Welthandel kontrollieren und milit=E4risch
dominieren. Daf=FCr standen das World Trade Center und das Pentagon.
Die amerikanische These, die Anschl=E4ge h=E4tten sich gegen die
westliche Zivilisation gerichtet, ist nicht stichhaltig. Es ging ganz
konkret gegen die =F6konomische und die milit=E4rische Dominanz Amerikas.

Also kein Kampf der Kulturen?

Die Amerikaner sind =FCberzeugt, sie seien von Gott auserw=E4hlt und die
USA seien ein gelobtes Land. Gegen dieses gelobte Land Gewalt
auszu=FCben, ist ein Verbrechen gegen Gott. Bisher haben dies nur zwei
M=E4chte gewagt: die Japaner und die Terroristen. Bei Japan endete es
mit zwei Atombomben, deshalb ist es wahrscheinlich, dass es auch
diesmal mit Atombomben enden wird. Mit g=F6ttlichen Waffen.

Atombomben gegen den Irak?

Nein. Wenn die Amerikaner einen Verdichtungspunkt finden, die Quelle
des =DCbels, k=F6nnten sie sie einsetzen. Nicht weil es milit=E4risch
effektiv ist, sondern psychologisch. Das Fegefeuer. F=FCr die
Amerikaner war, noch vor Hiroshima und Nagasaki, klar, dass Japan
kapituliert hatte. Sie hatten nicht Rache im Sinn, sondern Strafe.
Das ist die amerikanische Tiefenkultur: Wir sind so hoch oben, so
nahe bei Gott, dass die normalen Gesetze der Menschheit nicht auf uns
anwendbar sind. Internationale Gesetze? Ja, aber nur wenn sie unseren
Zielen dienen. Uno-Truppen sind Feiglinge. Denn die eigentliche
milit=E4rische Arbeit besteht darin zu t=F6ten, und das machen wir.

Wenn Sie amerikanischer Pr=E4sident w=E4ren, was h=E4tten Sie am 12.
September gemacht?

Ich h=E4tte Larry King gebeten, eine Stunde mit Bin Laden zu
verbringen. Dann h=E4tte CNN seine Partner von Al-Dschasira angerufen,
um die geeignete Grotte zu finden... Kein Witz. Larry King hat ein
ausserordentliches Talent. Wobei: Vielleicht w=E4ren zwei Sendungen
besser. Zuerst Larry mit Georgie, dann Larry mit Ossi. Und dann sagt
Larry zu Georgie: Ossi hat jetzt das und das gesagt. Direkt w=E4re es
vielleicht nicht gegangen.

Sie vermuten Bin Laden hinter den Anschl=E4gen?

Bin Laden hat den bekannten Text verfasst, in dem steht, jetzt seien
endlich die Amerikaner gedem=FCtigt worden, nachdem mehr als achtzig
Jahre lang die Muslime gedem=FCtigt worden seien. 1916/17 waren die
schlimmsten Jahre in der arabischen Geschichte. (Das
Sykes-Picot-Abkommen von 1916, in dem England und Frankreich ihre
Interessesph=E4ren im Nahen Osten absteckten, wurde von den Arabern als
Verrat empfunden, weil es ihre Hoffnung auf Unabh=E4ngigkeit
entt=E4uschte; die Balfour-Deklaration von 1917 ebnete den Weg zur
Gr=FCndung des Staates Israel, A.d.R.). Aber ich glaube nicht, dass die
Anschl=E4ge von Bin Laden organisiert wurden. Er war selber =FCberrascht.
Die 19 Attent=E4ter hatten das organisiert. Experten in =C4gypten und
Pakistan meinen, dass es al-Qaida gar nicht gebe. Sie sei in
Washington erfunden worden. Die Amerikaner br=E4uchten so ein
Phantombild.

Die USA haben aber nicht sofort zur=FCckgeschlagen, sondern erst mal
Allianzen gebildet.

Die Entscheidung war sofort klar. Aussenminister Colin Powell sagte:
"We are going to identify al-Qaeda and crush it." Die Uno ist nur aus
einem Grund interessant: Legitimierung. Ausserdem braucht die
Kriegsvorbereitung Zeit. Der Krieg gegen Saddam wird wahrscheinlich
im Oktober losgehen.

Dass sich eine Nation nach einem Terroranschlag milit=E4risch wehrt,
ist doch legitim.

Ich verstehe es v=F6llig. Aber es wird nichts l=F6sen. Es wird weitere
Gegenschl=E4ge provozieren, schlimmer als am 11. September.

Die USA sollen noch die andere Wange hinhalten?

Ach, =FCberlassen Sie das den Christen! Ich mache sehr konkrete
Vorschl=E4ge. Gewalt schafft Gegengewalt...

=2E..aber ist oft die einzige Option. Siehe Hitler.

=46alsch, es gab eine wunderbare Option: die Revision des Versailler
Vertrags. Man h=E4tte nicht das ganze deutsche - und nur das deutsche -
Volk bestrafen sollen. Diesen Fehler hat man 1945 ja auch nicht
wiederholt. Was die Ablehnung des Versailler Vertrags betrifft, hatte
Hitler die Unterst=FCtzung der Deutschen, in den andern Punkten, etwa
der Judenvernichtung, nicht.

Aber hatte man 1939 noch Alternativen? Oder am 11. September?

Nein, 1939 nicht mehr. Am 11. September auch nicht. Aber im Mai
vergangenen Jahres w=E4re noch vieles m=F6glich gewesen. Ich habe damals
sechs Punkte vorgeschlagen: 1. Truppen raus aus Saudi-Arabien. Das
w=E4re vielleicht eine annehmbare Entschuldigung gewesen f=FCr die
Dem=FCtigung. 2. Ja zu einem pal=E4stinensischen Staat. =DCber Details
h=E4tte man nachher reden k=F6nnen. 3. Herausfinden, was die eigentlichen
Zielsetzungen des Iraks sind. 4. Einen Dialog mit Chatami im Iran. 5.
Keinen Krieg gegen Afghanistan, um =D6lquellen zu erobern und eine
Milit=E4rbasis zu haben, weil dies genau das Bild best=E4tigt, das die
Araber von den Amerikanern haben. 6. Vers=F6hnung zwischen Amerikanern
und arabischen Opferl=E4ndern, und zwar nach dem Vorbild der Deutschen.
Die haben das nach dem Krieg meisterhaft gemacht. Wenn man von den
sechs Vorschl=E4gen drei im Mai realisiert h=E4tte, h=E4tte es keinen 11.
September gegeben.

Sie geben fast alle Schuld Amerika, aber das Land hat doch der Welt
auch viel gebracht: Freiheit, es ist die =E4lteste Demokratie...

Klar gibt es innerhalb der USA eine gewisse Demokratie. Ich habe acht
Jahre dort gelebt. Das heisst aber nicht, dass die Amerikaner auch
auf der Weltb=FChne demokratisch sind. Sie haben keinen Respekt vor der
Uno oder vor einem internationalen Gerichtshof. Demokratie bedeutet
nicht nur Wahlen, sondern auch Respekt und Dialog. Gemeinsam neue
L=F6sungen finden. Wann haben die USA einen Dialog mit al-Qaida zu
f=FChren versucht?

Aber Sie sagen selber, das waren 19 Individuen, Selbstmordattent=E4ter.
Kann man mit solchen Leuten einen Dialog f=FChren?

Vielleicht nicht mit den 19, aber mit ihren Familien, den
Angeh=F6rigen, Nachbarn. Stattdessen best=E4tigt Washington jeden Tag die
Annahmen der Fundamentalisten. Am 30. Mai unterzeichneten die USA
einen Vertrag mit Turkmenistan =FCber eine Pipeline. Es geht um =D6l aus
Nordafghanistan und Kandahar. Damit werden alle Vorurteile best=E4tigt.

Aber es ist doch gut, dass die Taliban gest=FCrzt wurden, auch wenn es
nur ein Nebeneffekt war.

Ja. Aber dann g=E4be es viele Regimes, die man wegbomben m=FCsste. Und es
war vielleicht nicht mal im Interesse Afghanistans. Man sollte die
Taliban weiterhin in die nationale Regierung einbinden. Eine
hundertprozentige Taliban-Regierung ist schrecklich. Aber eine ganz
ohne sie ist auch keine L=F6sung. Es gibt bessere, gewaltfreiere
Methoden, eine Regierung abzul=F6sen. Erinnern Sie sich an die
Montagsdemonstrationen in der DDR. Ich bin nicht aus moralischen
Gr=FCnden gegen Bombardieren; es funktioniert nicht, es ist dumm.

Sie gehen davon aus, dass jeder Mensch f=FCr gute Argumente zug=E4nglich ist=
?

Nein, aber oft gibt es ein Umfeld, das zug=E4nglich ist. Ich habe
Tausende Vermittlungsdialoge gef=FChrt. Meine Erfahrung ist, dass es in
jedem Menschen etwas gibt, worauf man bauen kann.

Kommen Sie oft selber in die Schusslinie?

Manchmal bin ich =FCberrascht, dass ich =FCberlebt habe. Ich bin 71,
guter Gesundheit, man hat mich bis heute nicht vergiftet. Ich bekomme
manchmal b=F6se Briefe, aber das ist nicht so schlimm. Ich versuche
einfach, l=F6sungsorientiert zu arbeiten. Ich glaube, dass es L=F6sungen
gibt. Meistens ist das f=FCr die Leute eine gute Nachricht, weil sie
glauben, es gebe keine Alternativen mehr.

Wie zum Beispiel in Israel.

Auch da gibt es eine L=F6sung, allerdings keine bilaterale. Daf=FCr gibt
es zu viel Hass, Leiden, Blut. Aber es k=F6nnte eine L=F6sung geben unter
Einbezug der Nachbarl=E4nder. So wie es keine L=F6sung h=E4tte geben k=F6nne=
n
nur zwischen Deutschland und Frankreich, aber zusammen mit andern
europ=E4ischen L=E4ndern ging es. Bilateralen Hass abbauen in
multilateralem Umfeld. Ich habe diese Ansicht die letzten Jahre oft
eingebracht, und ich glaube, sie reift langsam. Vielleicht ist es in
f=FCnf Jahren so weit.

Warum sollte der St=E4rkere nachgeben?

Weil er in Wirklichkeit der Schw=E4chere ist. Er sieht nur stark aus.
H=E4tte Bush nach dem 11. September gesagt: Offenbar haben wir die
religi=F6sen Gef=FChle vieler Menschen in Saudi-Arabien beleidigt, und
h=E4tte er die amerikanischen Truppen aus Saudi-Arabien zur=FCckgezogen,
h=E4tte ihn die ganze arabische Welt umarmt. Und er h=E4tte f=FCnzig
Milliarden Dollar gespart. Aber Bush hat nicht das pers=F6nliche Format
hierf=FCr. Er ist ein Instrument.

Der =D6lindustrie?

Es ist komplizierter und hat wieder mit der Tiefenkultur zu tun. F=FCr
Bush war der Terrorschlag ein "cultural assault", ein Angriff auf die
amerikanische Kultur. Bush ist davon =FCberzeugt, dass die Amerikaner
eine kulturelle Botschaft haben. Sie in die Welt zu tragen, ist seine
eigentliche Mission. =D6l und Milit=E4r sind nur Nebensachen, bequem f=FCr
die Marxisten und die realpolitische Analyse. Aber die kulturelle
Analyse bringt uns weiter.

Was ist denn die Tiefenkultur der Deutschen?

Die hat sich ver=E4ndert, bis zu einem bestimmten Punkt. "Am deutschen
Wesen soll die Welt genesen" war ein Ausdruck daf=FCr. Die
Ausstrahlung. Dass in der Gesellschaftsstruktur und in der
Pers=F6nlichkeit etwas eingebaut sei, was f=FCr die Welt ein Geschenk
sei. Deshalb m=FCssten die Deutschen oben sein. Diese Einstellung gab
es schon lange vor Hitler. Zur Kaiserzeit, etwa ab 1200. Heute ist es
anders.

Aber Schr=F6der spricht neuerdings vom "deutschen Weg".

Das macht mir Angst. Ich m=F6chte gerne einen menschlichen Weg finden.
Ich sage immer: Ich finde es wunderbar, wenn die Deutschen auf der
Suche nach einem Sinn sind. Wenn sie ihn gefunden haben, dann wird es
ernst. Dann glauben sie daran.

Was uns noch mehr interessieren w=FCrde: die Tiefenkultur der Schweizer...

=2E..l=E4sst sich thesenartig in einem Satz zusammenfassen: "Wir sind ein
Sonderfall, wir stehen ganz ausserhalb der Welt, und deswegen sind
wir nicht nachahmbar." Darum sind die Schweizer auch nicht so gute
Botschafter f=FCr die Welt. Ich glaube, dass die Schweiz eine Menge
gute L=F6sungen gefunden hat. Aber warum machen sie nicht mehr daraus?
Weil sie denken, dass dies nichts f=FCr andere Leute ist. Ich schlug
einmal bei einer Konferenz vor, Kosovo als unabh=E4ngiges Land mit
einem oder zwei serbischen Kantonen zu konzipieren. Man k=F6nnte alles
zweisprachig anschreiben, wie die viersprachig beschrifteten
Milchkartons in der Schweiz. Als Beispiel zeigte ich eine Schweizer
Zehnernote. Die Leute hatten keine Ahnung, dass so etwas =FCberhaupt
existiert und m=F6glich ist. Kein Schweizer ist da gewesen, um ihnen zu
sagen: Wir haben ein Modell, das interessant ist. Interessant auch
f=FCr Afghanistan mit seinen zw=F6lf Nationen.

Und dennoch haben Sie gewisse Sympathien f=FCr den schweizerischen Sonderweg=
=2E

Wenn man eine alternative Politik hat, muss man daf=FCr einstehen. Das
kann man auch in der EU. Aber dann muss man sagen: Ja, wir m=F6chten
Mitglied sein, und wir w=FCrden gerne Folgendes bewirken. Die Schweiz
sagt das nie. Stattdessen fordert sie, den G=FCtervekehr von der
Strasse auf die Schiene zu verlegen, aber das betrifft ja nur die
Schweizer. Deswegen sind sie keine guten Demokraten, denn Demokratie
ist Dialog, und da muss man reden.

Die Schweizer sind keine guten Demokraten?

Gegen=FCber der EU. Ich s=E4he beispielsweise gerne, dass die Regierung
sagen w=FCrde: Wir haben Volksentscheide in der Schweiz, Initiativen
und Referenden. Ist die EU dazu bereit?

Das ist aber nicht der Grund, warum Sie in Frankreich wohnen und
nicht in der Schweiz?

Ich schaue die Schweiz gern an. Aber man sieht besser, wenn man ein
bisschen ausserhalb ist.

Wie steht es denn mit der Lernf=E4higkeit von Nationen?

Es ist tragisch, aber es scheint, dass es meist nur =FCber Katastrophen
geht. Es ist ja genau dasselbe mit den Individuen. Sie kommen zum
Therapeuten, wenn sie eine schlimme Krise erlebt haben. Es w=E4re aber
nicht schlecht, wenn sie fr=FCher kommen w=FCrden.

Welches Land geh=F6rt denn Ihrer Ansicht nach vor allem auf die Couch?

Heute w=E4ren die USA der Hauptkandidat. Es m=FCsste also eine ganz
grosse Couch sein. Aber ich glaube auch, dass die USA die F=E4higkeit
haben umzudenken. Nicht heute, aber vielleicht morgen. Ich k=F6nnte mir
vorstellen, dass ein Pr=E4sident kommen wird, der sagt: "Americans, I
have an important message tonight: Wir sind nicht allein, aber
meistens sind wir selber daran schuld, wenn wir Probleme haben."

Mit welchem Menschen w=FCrden Sie jetzt am liebsten eine Stunde verbringen?

Mit Bush und Bin Laden. Ich lehne beide als Fundamentalisten ab, sie
haben dieselbe Tiefenkultur. DMA, wie ich das nenne: Dualismus,
Manich=E4ismus, Armageddon. Dualismus: Die Welt ist zweigeteilt.
Manich=E4ismus: Es gibt die B=F6sen und die Guten. Armageddon: Das kann
nur mit einer Endschlacht entschieden werden.

Bei welchem der beiden h=E4tten Sie mehr Hoffnung auf ein gutes Gespr=E4ch?

Also, der Intelligentere ist bestimmt Bin Laden. Wenn Intelligenz
eine Zugangst=FCr ist, k=F6nnte ich diese T=FCr =F6ffnen. Auch bei Bush g=E4=
be
es etwas: das Amerikanische. Ich k=F6nnte ihn fragen: W=E4re es nicht
besser f=FCr Amerika, sich durch Demokratie und Dialog auszuweisen? Wie
zum Beispiel mit einer Initiative f=FCr ein Uno-Parlament. Eine Stimme
pro Million Einwohner. Das heisst 270 Stimmen f=FCr die USA, aber 1250
Stimmen f=FCr die Chinesen. Es w=E4re problematisch, aber die Welt w=FCrde
die USA umarmen.

Und die Amerikaner h=E4tten nichts mehr zu sagen. Einmal umarmt, und
das w=E4re das Ende.

Nein, sie h=E4tten immer noch 270 Stimmen. Sie k=F6nnten sich gut
vorbereiten, und das machen sie ja auch h=E4ufig, wenn sie gut arbeiten.

Und Sie glauben, Bush w=FCrde sagen: Yes, Mister Galtung, you are right?

Die Frage war nur, mit wem w=FCrde ich gerne zusammentreffen... Im
=DCbrigen bin ich nicht davon =FCberzeugt, dass der Weg =FCber Bush oder
Bin Laden gehen muss.

Sie sind Optimist. Aber wenn man wie Sie davon ausgeht, dass Bush und
Bin Laden Br=FCder im Geiste sind, was das Ziel der Endschlacht angeht
- da m=FCsste man doch verzweifeln.

Oder die beiden analysieren. Es geht jetzt eine Welle von Kritik am
=46undamentalismus durch die arabische Welt, weil die Araber zu Recht
sagen: Die verbreiten ein schlechtes Bild des Islams in der Welt. Ich
erwarte jetzt dieselbe Bewegung in den USA, gegen den amerikanischen
=46undamentalismus. Das kommt. Da bin ich zuversichtlich.

=A9 2002 =ABDie Weltwoche=BB, Zuerich