[rohrpost] Re:republicart kunst/aktivismus/netzkultur?

Florian Cramer cantsin@zedat.fu-berlin.de
Sat, 7 Sep 2002 18:07:23 +0200


Am Samstag, 07. September 2002 um 14:47:46 Uhr (+0200) schrieb Gerald
Raunig:
 
> rePUBLICart Manifesto

...aus dem stellvertretend zitiert sei:

> Transformation in einen oder mehrere Superstaaten. Im Blickpunkt
> unserer Untersuchungen stehen die konkreten Erfahrungen von
> nicht-repräsentationistischen Praxen, die konstituierenden
> Aktivitäten vor allem in den Bewegungen gegen die ökonomische
> Globalisierung. Die Kunst der res publica soll dabei nicht
> implizieren, mit revolutionär-romantischem Pathos die Gründung
> einer neuen globalen Gemeinschaft zu bejubeln. Es geht um die
> experimentellen Formen von Organisierung, die sich im Kleinen und
> meist in prekären und zeitlich begrenzten Situationen entwickeln,
> die neue Modi der Selbstorganisation und deren Verkettung mit
> anderen Experimenten erproben. Die "organisierende Funktion" der
> Kunst (Walter Benjamin) schafft sich neue Räume in den überlappenden
> Nachbarschaftszonen zu politischem Aktivismus und Theorieproduktion.

Schön und gut, aber wozu braucht man für diesen Zweck noch Kunst und
beläßt es nicht gleich bei politischem Aktivismus? Wenn die Kunst als
"organisierende Form" benötigt wird - also offenbar als
sozialavantgardistisches Experimentierlabor -, kann man sie auch gleich
Politik nennen. Mein Verdacht ist aber, daß es in Wirklichkeit um das
Umgekehrte geht: nämlich politischen Aktionismus durch das Label der
Kunst, der "Performance" etc. zu adeln und zu ästhetisieren.

Natürlich ist Kunst nie zweckfrei und somit nie unpolitisch. Aber gute
Kunst ist politisch nicht einfach ausrechen- und vereinnehmbar, sondern
ambivalent. 

Als Fußnote sei ganz nüchtern und wertfrei angemerkt, daß man den oben
zitierten Absatz und weite Teile des übrigen Manifests auch in ein
rechtsextremistisches Strategiepapier über Nazirock und
Nazi-Jugendkultur in ihrer Rolle für rechtsextreme Politik schreiben
könnte. Und so ist es gewiß auch kein Zufall, daß sich die Vordenker und
Strategen dieser Zirkel auf dieselben Theoriegötter (sprich: Gramsci und
seine postmarxistischen Adepten) berufen.

-F
 

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