[rohrpost] Hortus Mutabilis

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Mit Jul 2 20:45:57 CEST 2003


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreundinnen und -freunde !

Es ist uns eine große Freude, Sie auf die Eröffnung unserer nächsten
Ausstellung am kommenden Samstag, den 05. Juli 2003, aufmerksam machen zu dürfen.
Unter dem Titel Hortus Mutabilis werden wir aktuelle Arbeiten der Wiener
Malerin Ellen Semen zeigen.

Die Vernissage findet von 19.30 bis 22 Uhr statt.
Aus gegebenem Anlaß werden wir hinterher eine kleine 'After-Art-Party'
veranstalten.

Weitere Informationen zur Malerei von Ellen Semen entnehmen Sie bitte dem
angefügten Text von Ursula Maria Probst.

Über Ihr Interesse an der Ausstellung bzw. Ihr Erscheinen würden wir uns
sehr freuen,
mit freundlichen Grüßen, Ihr Edmund Piper


Hortus Mutabilis - Malerei von Ellen Semen
06. - 30. Juli 2003 | Di - Sa 13 - 20 Uhr

galerie engler & piper
Kastanienallee 67 | D-10119 B
mobil: 
andreas engler:0049 - 179 - 86 48 573
edmund piper:  0049 - 179 - 34 80 513
www.engler-piper.de
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Ursula Maria Probst

Es geschah am hellichten Tag aus heiterem Himmel

Malen mit Ellen Semen 

 Der ungebrochene Wunsch nach einer regressiven Korrektur der vorgefundenen
Realität erweist sich als strategische Konstante der Malerei. Es folgt die
Rückbesinnung auf das Wesentliche, auf die künstliche Manipulation der heutigen
Naturerfahrung, das Unbewußte, die Utopie des Nichts. Die Launenhaftigkeit
wird zur bevorzugten Konsumhaltung. Als Warenfetischismus deklarierte Karl
Marx die anziehende Fähigkeit eines Produkts, das uns durch den erwiderten
metaphorischen Glauben über seinen Gebrauchswert oder Tauschwert hinaus zu
interessieren vermag. Die Suggestion von Geborgenheit und deren Zerstörung bilden
ein unentbehrliches und zugleich einträgliches Geschäft in der Welt der
Computer- und Animationsspiele.

 Manche mögen die Werke von Ellen Semen beängstigend finden. Diese
Künstlerin scheint nicht nur die Magie aller technischen malerischen Mitteln zu
beherrschen, sondern führt drastisch vor Augen, dass die meisten Staaten und
Utopien ihre Entstehung letztendlich dem kindlichen Spiel verdanken. Im Umgang mit
Bildern wird hier keinem Schauspiel narzisstischer Spiegelungen beigewohnt.
Dennoch Kultur ist und bleibt konzeptuell in den Bildern von Ellen Semen. Die
Leinwand, das Material, die Palette sind die Spielwiese gigantischer
Horrorszenarien als Synonym von Chaos und Gewalt in den realen Alltagserfahrungen. 

 Die Attacken einer politisch aggressiven und handwerklich perfekten
Künstlerin, die sich nicht den gängigen Konventionen des Marktes beugt. Die
gefährliche banale Wendung sich nur der Provokation auszuliefern, wird rechtzeitig
abgewendet. Den traditionellen Ausdrucksformen einer schönen heilen Welt wird
der Garaus gemacht. Das Zusammentreffen von ProtagonistInnen aus verschiedenen
Computer- und Animationsspielen  formiert im Endspiel eine reductio ad
absurdum und versprüht eine vibrierende Energie und dem Cartoon verwandte
Vitalität. 

 Die Bilder von Ellen Semen tragen jene nüchterne Luminösität einer
Aufklärung in sich, deren polierte Oberfläche und gleissenden Glanzreflexe in ein
absurdes Universum übergleitet. Der explizit inszenierte und fiktionale
Charakter des Arrangements verbirgt seinen erzählerischen Humor dort, wo die
Inszenierungen der Imagination in den Bereich des Schreckens kippen. So begegnet man
einer allegorisch figurativen Malerei, die unter den geschichtlichen
Bedingungen einer Repräsentation der Darstellung ikonografische Zeichen des
Computerzeitalters schafft. Kein Hinweis auf einen Gesturalismus oder andere offen
gestaltete Argumente des Malerischen dringen hervor. Die soziale Präsenz einer
zeitgenössischen Ambivalenz eines überpersönlich vorgetragenen Begehrens
dringt durch Verfremdungsverfahren und die Gleichbehandlung verschiedener
Bildressourcen an die Oberfläche. Ellen Semen fügt ein anonymes Bild der Massenkultur
in Kombinationsfelder eines schrillen Aufeinandertrefffens. Unter
umgekehrten Vorzeichen wird einer suggestiven Evidenzrhetorik Einhalt geboten.

 Ellen Semens Bilder passen zu einer Medienkritik, die vor dem Horror einer
kriegsbereiten Gesellschaft warnt. In ihren aktuellen Bildern thematisiert
Ellen Semen die massenkulturelle Dauermobilisierung des Krieges. Wir kämpfen
schon längst an allen möglichen Fronten den permanenten Kampf. Kriegszustand
und die Massenkultur durchdringen einander gegenseitig, wie sich dies an
Computerspielen nachvollziehen lässt. Der Balanceakt zwischen einer
katastrophischen Bildsprache und einer äußerst sensualistischen Malerei schreibt sich in die
Bilder ein. Laut Tom Holerts und Mark Teressidis Publikation 'Entsichert.
Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert' sind Mobilität und
Selbstverwirklichung bereits als kriegerische Normen zu betrachten. 

 Die Apocalpyse Now und Killerkid Symptome bilden eine verhängnisvolle
Begleiterscheinung jeder Pseudonormalität. Die Aufforderungen und Anrufungen einer
kriegerischen Massenkultur werden als allgegenwärtig aufgespürt. Der
Wahrnehmung von zusammengesetzten Nichtorten folgt der Eklat. Die kriegerischen
Konjunktionen erzeugen neue Subjekttpyen, die sich deren Imperative
verinnerlichen. Ein fließendes Kriegskontinuum läuft einher mit sportlicher Fitness,
ökonomischen Karrierismus und  provoziert eine Kultur der Angst mit tendenziell
paranoiden Verknüpfungen. Die fließende Subjektivität von Ellen Semens Bilder
haben eines gemeinsam, nämlich das fiktionale in ein lebendiges Fluktuieren
zwischen Erscheinen und Verschwinden zu involvieren. 

 Sexuell attraktive Mangafiguren und Pokemons bevölkern die Bilder. Wie in
japanischen Trickfilmen üblich, greift Ellen Semen hier den Topos vom Geist in
der Maschine auf, der das Zeitalter der Computer- und Animationstechniken
aus der Perspektive der Netwar auf eine elektronische Allgegenwart bezieht. Die
Horrorvision einer Verbindung von Mensch und Maschine steigert sich im
Kultfilm der 80er Jahre Blade Runer bereits dahingegend, dass die die Grenzen
zwischen Mensch und Roboter aufgelöst werden und die ProtagonistInnen zu Wesen
mit Hyperspeed mutieren. Vom menschlichen Subjekt, das sich im reinen
Informationsfluss auflöst, bleibt ein Impuls von Zeit und Bewegung, eine entgrenzte
Kunst des Seins in Form postmoderner Science Fictions und Cyberpunks. Das Manga
Comic und seine Trickfilmvariante Animé erfreuen sich mittlerweile auch in
Europa bei den Cyberspace Freaks größter Beliebtheit. Der Hang zum Action Girl
und seine rohe expressive Sexualität sind auch den Bilder von Ellen Semen
gegenwärtig.  Doch was sind die politischen Konsequenzen und wie entspannt sich
dadurch die Haltung eines Objektstatus weiblicher Sexualität? 

 Die Verwandlung der ProtagonistInnen zu Kampfmaschinen lässt den
jugendlichen naiven Charakter schwinden und ihre Unschuld zu Dämonen aus Feuer und
Stahl verwandeln. Der japanische Kultfilm Ghost in the Shell (Geist im Panzer) 
ist ein gelungenes Beispiel für dieses zunehmend rasante Genres. Erzählt wird
die Story einer Replikantin, die die Doppelrolle von Detektivin und Gesuchter
verkörpert. Die Spur eines  blasen Zweifels bewirkt, dass in den Bildern von
Ellen Semen das Auge einen Raum absucht, in dem das Leben zugleich
abenteuerlich und riskant wirkt. Ausgehend davon schwingt eine Dialektik der Eroberung
und Enteignung in den Bildern mit. 

 Da ist der prismatische Raum, ein wirres Geflecht aus Gräsern, eine
kampfbereite Mangafigur zwischen harmlosen Schafen, eine Waffe leuchtet blitzschnell
auf und verliert sich in einer flüchtigen Bewegung, die zum Hinschauen
zwingt. In dem Bild 'Viel Grün um Nichts' wird durch die semantische Verschiebung
des Titels die Funktion der Syntax eine andere und für einen denotativen
Gebrauch freigesetzt. Ellen Semen permutiert ihre Bilder durch amüsante
Phrasierungen. Gleichzeitig greift sie ihre Zeichensysteme auf und vermag hinter ihrem
spielerischen Gewordensein eine geschichtliche Dimension zu orten. Ellen
Semen gelingt es, diese durch Recyclen und Re-Signifizieren, durch ein
Verschieben ihrer bedeutenden Aspekten wieder in den Griff zu bekommen. Das formale
Erkennen, der ihr innewohnenden Intertextualität setzt voraus, dass diese
Zeichenverwendung im künstlerischen Kontext eben eine Ästhetische ist. 

 Ob sich hier  nun  eine dekonstruktive Leseart von Malerei entdecken läßt
und dadurch jene Bilder propagiert werden, die zwischen Medien und Genres
gleiten, gilt es zu klären. So weisen die Bilder von Ellen Semen am deutlichsten
darauf hin, dass sie ihr Entstehen dem verdanken, was Michael Wetzel in Buch
'Die Wahrheit nach der Malerei' als ihre Materialität und Codes bezeichnet.
So wird Ellen Semens Malerei konzeptuell von Medien wie der Computeranimation
überlagert. Dabei läßt sich am eindringlichsten nachvollziehen, wie das
ästhetische Paradigma der Malerei gekippt ist und durch ihre Materialität
erfahrbar wird aus der vermeintlichen Spannung zwischen Computeranimation und
Malerei. In deren Brüchigkeit sich der Kontrakt zwischen Bild und Wirklichkeit
einklinkt. Nach wie vor klingt nach, dass Malerei niemals der Reproduktion,
sondern der Transformation von Wirklichkeit dient. Am deutlichsten  läßt dies
erkennen, wie  in der Malerei die Repräsentation durch die Information abgelöst
wurde. Wie bereits der Medientheoretiker Marshall McLuhan proklamierte, kann
die Malerei nicht durch ein neues Medium abgeschafft werden, sondern läßt sich
zunehmend als strukturaler Zeichenträger charakterisieren. 

 Was sich nun als ein Aufstand der Zeichen gebärdet, läßt den morbiden
Geschmack des Todes spüren in den sich das Spektakuläre mischt. Nun vermag man
hier die Hypothese aufzustellen, dass sich die Travestie der Gewalt durch die
Medien über den Ekel dieser kulturellen Lähmung hinwegtäuscht. Die vorgefundene
Gleichzeitigkeit von Simulationsmodellen ist hier der Auslöser für ein
Megaflash. Gegen die unmoralische Faszination von Kriegsspielen und seinem Theater
der Grausamkeit folgt als Reaktion eine kollektive Verteidigung jeder
Verführung. Ihre instabile Versuchsmatrix wird in eine kompositionelle Ordnung
gefügt. 

 Ein weiteres Phantasma  von Synthese und Verteidigung löst sich aus der
Durchschlagskraft, deren weltweiten Wirkung zum Trotz gibt es in diesem System
keine Unschuld. Die ProtagonistInnen folgen den Feuerstössen  von
Spezialkommandos und scheinen der heiligen Allianz jeder Produktion von Wahrheit zu
trotzen und dabei paradoxerweise jenen Zyklus in Gang zu setzen, der ein Recycling
der Wahrheit gegen den unauflösbaren Zyklus des Todes bewirkt. Zugleich
kommt hier die Dimension einer Besetzung, Vernetzung und Abtragung der Sozialität
durch Zeichen ins Spiel. So wird das Bild zu einem Vieleck von Zeichen und
Medien - ein kodierter Decodierer von unzähligen Botschaften. Die
Vergesellschaftung oder besser die Entgesellschaftung läuft heute über diese strukturale
Ventilation quer durch die Codes. Die Austauschbarkeit der Elemente als
radikale Revolten läßt in eine Wirklichkeit eintauchen, die nichts als virulente
Animation - das Simulakrum eines Appells ist.

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