[rohrpost] Oliver Elser-Interview

Krystian Woznicki kw at berlinergazette.de
Mon Jul 21 13:51:01 CEST 2003


Hi,

nachfolgend ein Interview mit Oliver Elser anlaesslich des Launches
von http://Restmoderne.de

Wirklich schoene Bilder, die man sich da anschauen kann.
Berlin Berlin...

Gruss,

Krystian

- www.berlinergazette.de
- www.etc-publications.de
- www.911.bemagazin.de


Restmoderne
Oliver Elser über die Webdokumentation der meist übersehenen
Architektur der Nachriegsmoderne in Berlin

Krystian Woznicki, Telepolis, 20.07.2003

Oliver Elser ist Architekturkritiker, Archivar und Ausstellungsmacher.
Er lebte und arbeitete lange Jahre in Berlin, bevor er nach Wien zog.
Seine  Artikel [1] erschienen in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung",
der "Frankfurter Rundschau", in "Texte zur Kunst" sowie in diversen
Zeitschriften, Katalogen und Büchern. Seit 1999 ist er zusammen mit dem
Künstler Oliver Croy in der  Fritz-Forschung [2] tätig, wo er sich
ebenfalls der Sammlung und Dokumentation von eigenwilligen
Architekturprojekten widmet. Dieses Jahr entstand der Film
COUNTER-COMMUNITIES (ebenfalls mit Oliver Croy) und der
Wettbewerbsbeitrag  C­TOR [3] in Zusammenarbeit mit der Künstlerin
Lotte Lyon. Im nachfolgenden Interview spricht er über das Projekt
  Restmoderne.de [4], das er gemeinsam mit  Andreas Muhs [5]
realisierte.

KW: Wer die Architektur der Nachkriegsmoderne fotografiert, nimmt "den
Kanon" als Maßstab, hat dementsprechend relativ klar umrissene
Kriterien. Mit Restmodern wollt ihr eine alternative Geschichte der
Architektur der Nachkriegsmoderne nachzeichnen. Einerseits dient dabei
der Kanon als Gegenpol, andererseits müssten sich doch auch positiv
besetzte Kriterien benennen lassen?

Oliver Elser: Es stimmt zwar, dass wir mit restmodern.de "den
Kanon", also die bereits oft abgebildeten und diskutierten "Ikonen" der
Nachkriegsarchitektur bewusst ausblenden.

Andererseits ist es aber noch zu früh, überhaupt von einem "Kanon" zu
sprechen. Der Definitionsprozess läuft ja erst seit wenigen Jahren.
Niemand wird bestreiten, dass Mies' "Neue Nationalgalerie", die
"Philharmonie" von Scharoun, Henselmanns "Haus des Lehrers" wie
überhaupt das ganze Ensemble der Karl-Marx-Allee oder auch Ludwig Leos
"Wasserversuchsanstalt" zu den herausragenden Bauten nach 1945 zählen.
Aber gerade die Abrissdiskussionen der letzten Jahre haben den Blick
auch auf andere Bauten gelenkt. Erst nachdem das  Ahornblatt [6] weg
war, wurde sein Architekt  Ulrich Müther [7] in Ausstellungen und sogar
einem Film wiederentdeckt.

Ein anderes Beispiel: Selbst das abgespeckte FAZ-Feuilleton hat über
den drohenden Verlust des  Bergbau-Hochhauses [8] von Willi Kreuer am
Berliner Ernst-Reuter-Platz berichtet. Das kannten bis dahin nur eine
Handvoll Architekturspezialisten und -liebhaber. Schwer zu sagen, was
die Öffentlichkeit in diesem Fall stärker aufwühlt: Der Abriss des
Kreuer-Ensembles oder die Aussicht, dass der umstrittene Berliner
Neo-Klassizist  Hans Kollhoff [9] den Nachfolgebau errichten wird.
Jedenfalls kann es gut sein, dass Kreuers verwinkelte Raumgefüge hinter
der streng gerasterten Außenhaut im Angesicht der Abrissbirne noch
schnell in den "Kanon" aufgenommen werden.

Im restmodern.de-Archiv gibt es ein Bild von einer mosaik-verzierten
Eingangstür des Gebäudes, deren Handgriff aus einem poliertem
Quarzstein besteht. Dass einen das ansonsten so streng der typischen
50er-Jahre "Rasteritis" verpflichtete Haus an dieser Stelle mit der
Geste "Hallo, hier geht's zur Geologie" empfängt ist ein wunderbares
Detail und ein gutes Beispiel dafür, wonach wir gesucht haben. Nicht in
erster Linie nach Bauten, die einen "Gegenpol" bilden, sondern eher
nach Motiven, an denen deutlich wird, wie facettenreich auch die
sogenannte Alltagsarchitektur der Nachkriegszeit sein kann. Es geht ja
nicht darum, etwa eine Kindertagesstätte aus der Dortmunder Straße im
Ortsteil Moabit auf den Sockel zu heben und zu behaupten, die sei jetzt
ein Teil des "alternativen Kanons". Was uns aber interessiert an diesem
Bau, das lässt sich vielleicht am Besten als "individuelle Signatur"
beschreiben. Ein Kunsthistoriker würde das Haus wahrscheinlich unter
der Rubrik "Berliner Variante des Brutalismus" abheften. Dieser
Reduktion wollen wir entgegentreten und zeigen lieber den ganzen
Reichtum architektonischer Lösungen einer Epoche.

KW: Es fällt auf, dass Ihr auch mit dem Auge eines Liebhabers und Fans
durch die Stadt gegangen seid. Es sind lauter Gebäude bzw. Baukörper
dabei, die einen - auch wenn er kein Stadtarchäologe ist - in ihren
Bann ziehen, sofern man sich für das vermeintlich Alltäglich-Banale
begeistern kann. Die Auswahl der Bilder bekommt dadurch eine sehr
persönliche Note. Ich frage mich, ob die Engführung der persönlichen
mit den eingangs genannten "wissenschaftlichen" Kriterien auf einen
bestimmten Erkenntnisgewinn abzielt?

Oliver Elser: Ist das Projekt weniger interessant, wenn die
Kriterien der Auswahl rein subjektiv sind? Doch "subjektiv" heißt ja
nicht, dass man nicht darüber sprechen kann, was einen dazu bewegt hat,
diese Auswahl zu treffen: In erster Linie sind wir Fans und Liebhaber
des architektonischen Eigensinns, der hinter jeder Etikettierung einer
Epoche sein befreiendes Spiel treibt. In der Summe der Bilder entsteht
daraus dann irgendwann "Erkenntnis": Wenn man sehr viel sehr genau
angeschaut hat, bilden sich Muster heraus, die vorher noch gar nicht
bemerkt worden sind.

Im momentanen Stadium des Projekts ist diese Ebene - über den Eigensinn
hinaus etwas Verbindendes zu entdecken - leider nicht so ausformuliert,
wie wir uns das wünschen. Es stört zwar anscheinend niemanden, dass die
Webseite als Dia-Show konzipiert ist. Aber noch schöner wäre es, wenn
die Bilder einander gegenüber gestellt werden könnten, um ein
"vergleichendes Sehen" zu ermöglichen. Dafür scheint uns das Internet
nicht das richtige Medium zu sein. Von der Gruppierung mehrerer Bilder
auf einer  Buchdoppelseite [10] hingegen erwarten wir uns, dass sich
Querbezüge ergeben und Motive nachweisen lassen, die bisher in der
Architekturbetrachtung wenig Beachtung gefunden haben. Die meisten
Publikationen dienen ja der Präsentation einzelner Werke und sind an
Vergleichen wenig interessiert. Das Arrangieren der Bilder wäre auch
ein Punkt, wo "persönliche" Liebhaberei und "wissenschaftliches"
Erkenntnisinteresse sich treffen.

KW: Könntest Du ein paar Worte zum Prozess verlieren und zu dem, was Du
als "Grau-Sehen" bezeichnest?

Oliver Elser: Alles fing an, als wir uns über "kleine Bauten"
unterhalten haben, die kaum auffallen, wie zum Beispiel der
  Toilettenabgang auf dem Alexanderplatz [11] oder das "Wartehäuschen"
ganz in der Nähe vor dem ehemaligen "Haus der Elektroindustrie" (heute
Bundesumweltministerium). Das war so eine Art
"kennst-du-das-schon"-Gespräch darüber, wer von uns beiden mit
offeneren Augen durch die Stadt geht. Daraus entstand die Idee, ein
Verzeichnis der "übersehenen Architekturperlen" zu machen.

Von da an hatte auch ich immer eine Kamera dabei, eine kleine Digitale,
die vor drei Jahren noch 99 DM im Supermarkt gekostet hat. Andreas hat
seine Bilder gleich "richtig" mit einer guten Digitalkamera aufgenommen
und sich die von mir ausgesuchten Objekte dann selbst noch mal
vorgenommen. Das Grundgerüst war eine Datenbank, in der sich die
Kategorien erst allmählich ergeben haben. Auf der Web-Seite haben wir
die Bauten zwar nach Funktionen geordnet, aber man könnte sie auch
anders sortieren, zum Beispiel nach Bautypen. Es gibt ja gerade in
Berlin aufgrund der starken Kriegszerstörungen eine Vielzahl von
"Flachbauten", also eigentlich etwas bessere "Baracken", die in den
fünfziger Jahren auf den Trümmergrundstücken entstanden sind und von
denen sich einige bis heute erhalten haben.

An der Stelle, wo wir auf der Start-Seite von restmodern.de vom
"Graubild der Stadt" sprechen, beziehen wir uns auf eine Linie, die mit
dem Architekten und Theoretiker Robert Venturi beginnt. In Abgrenzung
zu den "Weißen", einer Architektengruppe, die auch als "New York Five"
[http://www.artnet.com/library/06/0621/T062193.ASP] auftrat, nannte man
die Leute um Venturi "die Grauen": Ein kleines Theorie-Scharmützel am
Vorabend der Postmoderne. Die "Weißen" versuchten die klassische - und
vermeintlich weiße - Moderne über den bereits offensichtlichen Verfall
hinwegzuretten, während Venturi dazu aufforderte, das graue Rauschen
der Alltagskultur ernst zu nehmen. Was nicht heißt, dass der Alltag
grau ist, sondern dass sich die bisweilen schrille Farbigkeit etwa der
Reklametafeln an den amerikanischen Ausfall-Straßen zu einem Grau
vermischt, das bis dahin keines Blickes wert war.

KW: Eure Arbeit erinnert ein bisschen an ein Projekt von Sean Snyder
"Paris/Paris Banlieu" (1995-1998). Darin hat er farbenfrohe Fassaden
mit dekorativen, mal üppigen, mal strenggeometrischen Ornamenten
aufgenommen, die für den geschult-suchenden Blick quasi omni-präsent
waren, allerdings in keinem Architekturführer mit einem Eintrag
bedacht. Interessant an der Auswahl war, dass die Bilder, so sehr sie
singuläre Bauten bzw. Details zeigen, eher im Zusammenhang, also als
Serie an Bedeutung gewinnen. Eine imaginäre, im Versinken begriffene
Stadt scheint dort - aber auch hier Gestalt anzunehmen. Handelt es sich
bei Euch also eher um Stadt- als um Architekturfotografie?

  Oliver Elser: Interessant, dass Du den seriellen Aspekt ansprichst.
Zum Stichwort "Außenbezüge" fällt mir eher das Gegenteil ein, etwa die
frühen  Architekturbilder [12] von Thomas Ruff. Denen fehlt zwar jede
Beiläufigkeit, aber sie  zeigen [13] ganz wunderbare
"Architekturindividuen".

In einem formalen Sinne "seriell" sind die Aufnahmen von Andreas Muhs
ja keineswegs. Ob sie dennoch als Ganzes eine Art "Stadt der
Restmoderne" zeigen, ist eher eine Frage fürs Feuilleton. Aber man kann
zumindest sagen, dass es sich eher nicht um klassisch-objektfixierte
Architekturfotos handelt.

  In dem gemeinsam mit Oliver Croy konzipierten Projekt "Sondermodelle"
hast Du bereits an Themen gearbeitet, die in Restmodern wiederzukehren
scheinen. Vereinfacht gesprochen: Archivierung und, eine damit
verbundene, alternative Geschichtsschreibung als formaler, das Banale,
dem Zentrum der Aufmerksamkeit entrückte als inhaltlicher Kontext. Was
für Zusammenhänge bestehen aus Deiner Sicht zwischen diesen Projekten?

    Oliver Elser: Die beiden Projekte verbindet, dass die
"Sondermodelle" sicherlich so eine Art "Schule des Sehens" waren. Alle
387 Werke des genialen Dilettanten Peter Fritz nicht nur in den
Ausstellungen anzuschauen zu können, sondern auch durch den Sucher
einer Kamera in ihren Details zu erfassen, das hat bei Oliver Croy und
mir eindeutig Spuren hinterlassen. Als wir die Bilder für den Katalog
aufgenommen haben, sah die Welt für uns am Abend plötzlich ganz
"fritzig" aus. Ansonsten hast Du recht, was die Seite des vermeintlich
Banalen betrifft, die gibt es in beiden Projekten.

Ein wichtiger Unterschied dürfte darin bestehen, dass die Sammlung der
Hausmodelle des Wiener Versicherungsbeamten ein abgeschlossenes Werk
ist, denn es handelt sich um einen Nachlass, der erst nach Fritz' Tod
an die Öffentlichkeit gelangte. Restmodern.de hingegen ist ein
klassisches Archiv: Ein Raum, wo Leute alles 'reinfüllen, was ihnen
archivierenswert erscheint und jede Menge draußen lassen, weil es nicht
ins Konzept passt. So eine Arbeit stellt ganz andere Fragen, zum
Beispiel die, wann wir wieder damit aufhören, restmoderne Architektur
zu fotografieren. Auch die Resonanz ist eine ganz andere: Die
SONDERMODELLE hatten sicher auch deswegen ein so großes Echo, weil der
Freak-Faktor so groß war. Jeder versuchte sich vorzustellen, was diesen
Mann wohl angetrieben haben mochte, so viele Modelle zu bauen. Unsere
Versuche, eine andere Richtung einzuschlagen und die Architektur der
Modelle in den Vordergrund zu stellen und nicht "Fritz, den Freak"
haben nur zum Teil funktioniert. Als wir nämlich angefangen haben, uns
auf  Bauherrensuche [14] zu begeben, sind die meisten ausgestiegen,
allen voran die Architekten. Was als Modell niedlich anzuschauen ist,
wäre in Realität natürlich "bad taste", bekamen wir zu hören.

Genau an diesem Punkt "funktionieren" die Bilder von restmodern.de
erstaunlich gut: Zumindest aus der Kunsthistoriker-Ecke, aber auch von
Architekten kamen die meisten Emails, die uns dazu ermutigen, noch viel
mehr zu archivieren und zu zeigen. Bisher hat uns nur ein
erzkonservativer Berliner Architekturkritiker vorgehalten, wir hätten
ja wohl eine Art Gruselkabinett der schlimmsten Bausünden der
Nachkriegszeit zusammengetragen. Ihm gefiel die Seite als Konzept dann
aber doch: Als "Gedächtnis", womit er wohl meinte: Zur Mahnung an
künftige Generationen, nicht wieder solche Scheußlichkeiten zu
schaffen.

Links

[1] http://www.architekturtexte.de
[2] http://www.baunetz.de/sondermodelle
[3] http://www.modellforschung.de
[4] http://Restmoderne.de
[5] http://www.muhs.de
[6] http://www.architekturtexte.de/volltexte/ahorn.html
[7]
http://kuenstlerdatenbank.ifa.de/datenblatt.php3?ID=1010&NAME=M%FCther&A
CTION=kuenstler&SUB_ACTION=1%7C8
[8] http://www.nachkriegsmoderne.de/
[9] http://www.baunetz.de/architekten/kollhoff/
[10] http://www.restmodern.de/buchprojekt/01.html
[11] http://www.restmodern.de/dienstleistung/03.htm
[12] http://www.artnet.com/ag/fineartthumbnails.asp?aid=14677
[13] http://www.kgi.ruhr-uni-bochum.de/archphot/ruff/haus.htm
[14] http://www.bauherrensuche.com/

Telepolis Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/sa/15211/1.html

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