[rohrpost] Hartz 100: "PRIVATVERGNÜGEN" contra "HYPNOTISCHER ZOMBIßMUS"

GanzGarNix at aol.com GanzGarNix at aol.com
Mit Dez 8 10:03:05 CET 2004


"Das soll wirklich keine SCHIKANE sein, aber der STEUERZAHLER kann 
schließlich nicht für Ihr PRIVATVERGNÜGEN aufkommen! Suchen Sie sich einen JOB und 
machen Sie Ihre KUNST dann in der FREIZEIT - und alles ist gut..."
[O-Ton-Zitat: Neue Sozialamtangestellte, Brave New Cologne, Sommer 2004]

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Tom de Toys, 7.12.2004, 17-21 Uhr, Antiprosa-Essay:

KLEINER SKANDAL - WARUM WIR WEITERMACHEN
("PRIVATVERGNÜGEN" CONTRA "HYPNOTISCHER ZOMBIßMUS")

Ich freue mich insofern sehr auf das 1."verhartze" Jahr 2005 als daß ich zwar 
meinen Status als sogenannter "professioneller" Künstler nach 11 Jahren 
mangels "voraussichtlichem Mindestjahreseinkommen" (nach 3 unterbezahlten Jahren in 
Folge) bei der KSK (Künstlersozialkasse) kündigen mußte, aber dafür nun meine 
Berufung zum Hobby machen darf, was insofern fürchterlich absurd und pervers 
ist (und dadurch einen grotesk-satirischen Charakter annimmt), weil ich 
natürlich weiterhin gezwungen bin, zwischen 10 und 12 Stunden täglich zu ARBEITEN, 
um meine Beiträge für die anstehenden Projekte PROfessionell umzusetZen, obwohl 
es wohl auch zukünftig meist kein oder wenig Honorar (bzw. nur 
"Aufwandsentschädigungen") geben wird. Seltsamerweise (an)erkennen unsere Politiker und 
andere wohlhabende Personenkreise offensichtlich so wenig den GESELLSCHAFTLICH 
GEMACHTEN (=erfundenen!) Zusammenhang zwischen AUFWAND & ARMUT "ihrer" Künstler, 
daß es ihnen noch nicht einmal peinlich ist, sich mit den Erfindungen und 
Errungenschaften einiger "auserwählter" Schein-Stellvertreter zu schmücken. 
Vielleicht glauben sie wirklich, daß das "wichtige" innovative, kreative Potenzial 
automatisch identisch sein müßte mit Bekanntheitsgrad, Ruhm, Starkult, 
Medienrummel, Preisen, Stipendien und was sonst noch zur modernen Egomanie gehört. Wer 
sich aber nur 1 klitzekleinen Schritt in den ECHTEN UNDERGROUND wagt, wer 
sich also nach Feierabend nicht in seiner Villa abschottet und nur TV glotzt 
sondern einmal RAUS geht, wirklich raus in die real-existente Subkultur-Szene, der 
wird überrascht sein, WIE VIELE UNBEKANNTE kritische Geister hochinteressante 
fragile Aktionen und Projekte trotz maßlos unwürdiger Lebensumstände 
realisieren, weil das kleinlaute Kapitulieren für einen Künstler noch 
selbstzerstörerischer ist als die ganze Selbstausbeutung im Dienste spiritueller Wahrheiten 
und der Fortentwicklung ästhetischer Prozesse. So manch karrieregeile 
Sozialamtangestellte muß sich dabei zwar einbilden, daß Kunst per se ein 
"Privatvergnügen" sei, weil sie sich sonst beim Verwechseln der Begriffe Einnahmen und 
Einkommen enorm schämen müßte, wenn sie sich blind dafür macht, daß AUSGABEN für 
Recherche, (Be-)Werbung(en), permanente Promotion, akute Presse, Material, 
Arbeitszeit, Anfahrtskosten, gesundheitliche Folgenbekämpfung und und und: ...so wie 
bei jeder normalen Firma mit den Einnahmen verrechnet werden müssen, um ein 
eventuelles reales Einkommen zu definieren. Das Arbeitsamt (Pardon: die 
Arbeits-"Agentur"), sprich: der Steuerzahler, erstattet nur 
"Standard"-Bewerbungskosten (schickes Foto, Kopien der Anschreiben und Porto), die einen Künstler gar 
nicht betreffen, während unsereins Demo-CD`s, Buch-Rezensionsexemplare, 
Video-Bänder etc pp. verteilen muß, um überhaupt eine geringe Chance zu haben, in dem 
ganzen ekligen Klüngel, diesem Sumpf aus Intrigen und Vetternwirtschaft, 
mitmachen zu dürfen - ohne sich dabei "VEREINnahmen" zu lassen. Probleme, die kein 
Kanzler kennt - oder wenn, dann nur aus spannenden "Künstlerromanen" und von 
Hollywood aufgearbeiteten Biografien. Der hypnotische Zombißmus sowohl ersten 
als auch zweiten Grades (das sind die lebenden Verfechter toter Traditionen: 
2.Reihe-Star-Stellvertreter) funktioniert ja inzwischen multimedial umfassend, 
und im Grunde braucht diese Desinteresse-Gesellschaft (Begriff von Lord 
Lässig) genauso wenig echte, eigenständige ("eigenbrödlerische") Produzenten von 
Kunstwerken (es sei denn, sie lassen sich kapitalistisch instrumentalisieren!!!) 
wie sie auch keine echte, neue Kunst benötigt (es sei denn als schickes 
Alibi-Sahnehäubchen!!!) sondern immer wieder wechselnde Zurschaustellung ihrer 
Kellerarchive betreiben kann. Ich schreibe das hier nicht im Glauben, daß noch 
niemand davon wüßte, nein, es wissen ALLE Bescheid, restlos alle, und es steht 
auch in vielen Büchern bereits besser formuliert als ich das hier auf die 
Schnelle (vom vielleicht einzigen nikotinfreien Internetcafé Berlins aus für bis 
jetzt 6 Euro 10 online) kann, aber entscheidend ist hierbei, daß es wichtig ist, 
immer wieder und wieder an möglichst vielen Stellen auf die Schwächen unseres 
ach so "sozialen" Sozialstaates aufmerksam zu machen. Schwächen, die gerne 
unter den Teppich gekehrt werden - unter den roten Läufer einer Benefiz-Gala 
ebenso wie unter die Wohnzimmerteppiche all der zigtausend röhrenden Hirsche... 
aber zurück zur Idee des "Privatvergnügens": dieselbe Bürokraft, die einen 
LEBENDEN Künstler für einen Schmarotzer hält, geht nach Dienstschluß als Parfumwolke 
getarnt in die Philharmonie, um ihre eigene zarte Seele vielleicht mit Eric 
Satie`s Kinderliedern zu füttern, weil sie eine seiner Ohrwurm-Melodien aus der 
Margarine-Werbung kennt. Daß DER allerdings völlig verarmt und vereinsamt 
"frühvollendet" starb (das muß man sich als anständiger Spießer auf der Zunge 
zergehen lassen: früh-voll-endet, wie wunderbar), ist ihr ebenso unbekannt wie es 
ihren Vorstellungshorizont gnadenlos übersteigt, daß irgendein 
zeitgenössischer Künstler IN GENAU DEMSELBEN MOMENT IHRES KUNSTKONSUMS ein genialisches Werk 
schafft, das dann in weiteren hundert Jahren die Massen ins Museum lockt, 
oder zum Kauf von Margarine verführt... Also: WIR MACHEN ALLE WEITER (auch ohne 
Brinkmann), gleich der wilden Rosen, die immerzu bunt blühen (auch ohne Beuys), 
ja, in jedem Stadium ihrer Entfaltung in einem anderen Farbton blühen, im 
festen Glauben an den Wert unserer freien Forschung, wir machen weiter, Tag für 
Tag und Nacht für Nacht. Wir träumen schlecht und wir essen billig, aber wir 
lieben tief und ehrlich, unsere Arbeit, unsere Leidensgenossen und auch unser 
Land, das insgeheim DOCH das Land der Dichter und Denker ist. So wie wir jedes 
Land, jede Kultur und jede Vision lieben, die über den Tellerrand ihrer eigenen 
verschimmelten Buchstabensuppe hinausschaut.

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