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das ende der nahrungskette jg at monochrom.at
Sam Jan 10 02:29:14 CET 2004


FARM DER TIERE

Filmvorführung im monochrom-Raum (Museumsquartier, Wien) am 11. Jänner 2004,
20:30 Uhr.

Mit Vortrag von Stephan Grigat.

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"Farm der Tiere"
 
Wenn man/frau/sonstige der Wikipedia glauben schenken will, dann ist Farm der
Tiere ("Animal Farm") ein Roman von George Orwell, erschienen im Jahr 1945, in
dem eine Gruppe Tiere den Farmer vertreibt und sich bemühen die Farm selbst zu
betreiben. 
Ich schenke ihr glauben, deckt es sich doch mit meinem Wissenstand. 
Nach der Revolution auf der Manor-Farm (danach in "Farm der Tiere" umbenannt)
übernehmen die Schweine, die die Theorie des Animalismus entwickelt haben,
allmählich die Kontrolle. Zwischen zwei Ebern, Napoleon und Schneeball,
entbrennt ein Machtkampf der in der Vertreibung Schneeballs endet. Das Leben für
die anderen Tiere auf der Farm wird immer härter. Am Schluss sehen sie, wie
Schweine und Menschen zusammen feiern und können keinen Unterschied mehr
zwischen ihnen erkennen. 

Orwell hatte das Werk als anti-stalinistische Satire konzipiert, um die
englische, gegenüber Josef Stalin (1878-1953) unkritische Öffentlichkeit über
die "Korruption der ursprünglichen Idee des Sozialismus" in der Sowjetunion
aufzuklären. Der Satz "Alle Tiere sind gleich, aber einige Tiere sind gleicher
als andere", der das anfängliche Gleichheitsstatut der an sich solidarischen
Tiere im letzten der zehn Kapitel in die Restauration eines Zweiklassensystems
zurücksinken lässt, wurde zum geflügelten Wort. 

Orwell bezeichnete Animal Farm als sein erstes Werk, in dem er "politische und
ästhetische Intentionen" zu einer Einheit verschmelzen konnte ('Warum ich
schreibe', 1946). Die Einsicht in die politischen Zusammenhänge, in die
einzelnen Charaktere, vermag er in seiner schlichten, klaren Prosa mittels
scharfen Witzes und einer Mischung von Humor und Pathos sinnfällig zu vermitteln.

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Der Zeichentrickfilm
 
1954 erschien in Großbritannien eine Zeichentrickversion des Stoffs. 
Regie führten John Halas und Joy Batchelor. Das Buch wurde von Lothar Wolff,
Borden Mace und Philip Stapp geschrieben, frei - aber dennoch getreu - nach
Orwells Roman. 

Schon nach kurzer Zeit war klar, dieser Film würde einer der großen Klassiker
des Zeichentrickfilms werden. Die Grätsche des Films (halb als Kinderfilm, halb
bittere politische Parabel) hat schon Generationen an Kindern Albträume beschert. 

Wir monos haben uns jedenfalls gedacht, dass der Film wieder mal thematisiert
und gezeigt werden sollte. Und zwar in der Zeichentrickversion, nicht als
"Schweinchen Babe"-Verschnitt. 

Deshalb organisierten wir uns eine Kopie und am 11. Jänner 2003 wird der
Streifen im monochrom-Raum im Museumquartier gezeigt.

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Wir baten Stephan Grigat ...
.. die einleitenden Worte zur Filmvorführung am 11. Jänner 2004 zu sprechen. 
Er sagte zu und wird nun am Sonntag, kurz vor dem Screening im monochrom-Raum,
seine Thesen über Orwells Werk zu Gehör bringen.

Stephan Grigats Thesen zu "Animal Farm", die er mir übermittelte, lauten:
 
I. 
"Stalinismus" war lange Zeit ein Schlagwort im Kalten Krieg der bürgerlichen
Ideologen mit dem autoritären Staatssozialismus, welches dem Antikommunismus -
und in den postnazistischen Gesellschaften auch dem Anti-Antifaschismus - einen
moralischen Anstrich verlieh. Es ermöglichte, vom Totalitarismus zu
schwadronieren, ohne über die Totalität des Kapitals reden zu müssen. Die
bürgerliche Totalitarismustheorie, über deren Horizont auch George Orwell nur
selten hinauszublicken vermochte, müsste vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
Sozialistische und kommunistische Bestrebungen tendieren gerade dann zur totalen
Herrschaft, wenn sie bürgerliche Vergesellschaftungsformen wie Staat, Nation und
Wert adaptieren und glauben, sie für die eigenen emanzipativen Zwecke dienstbar
machen zu können. Mit der Übernahme des wertverwertungsimmanenten
Produktivitätsideals hat der Sozialismus sich die Vorstellung vom Schaffenden
und dieses Schaffen torpedierenden zersetzenden Kräften zu eigen gemacht - und
damit den Antisemitismus geradezu abonniert.

II. 
Der Stalinismusbegriff dient heute Trotzkisten, Leninisten und verwandten
Sozialdemokraten zur Abgrenzung. Lenin und Trotzki auf der einen und Stalin auf
der anderen Seite sollen das jeweils ganz Andere gewesen seien. Doch bei allen
offensichtlichen Unterschieden - Orwell hätte für seine Kritik autoritärer
Herrschaft nicht der Erfahrungen aus dem Spanischen Bürgerkrieg und der
stalinistischen Sowjetunion bedurft. Ein Hinweis auf die bolschewistische
Niederschlagung des Kronstädter Aufstands hätte vollauf gereicht. Kritik des
Stalinismus muss immer Kritik des Bolschewismus sein. Und eine Kritik des
Bolschewismus muss bei allen Gegensätzen einen Begriff von den Gemeinsamkeiten
von Stalinismus, Faschismus und Demokratie entwickeln. Wer über Totalitarismus
redet, muss von der Totalität der Warengesellschaft sprechen. Wer aber von der
Warengesellschaft redet, muss die Möglichkeit ihrer barbarischen Aufhebung
reflektieren.

III. 
Der Stalinismus hat die Vorstellung von einer Assoziation freier Individuen zu
einer Utopie weltfremder Spinner erniedrigt. Eine Kritik an Staat und Kapital
zum Zwecke der allgemeinen Emanzipation müsste sich heute vor allem gegen den
Stalinismus in der Theorie richten. Die Leninschen Dogmen haben in der Form des
vom Stalinismus zur Legitimationsideologie erhobenen Marxismus-Leninismus nicht
nur Einfluss auf die ML-Linke gehabt. Zwar ist der Marxismus-Leninismus schon zu
Zeiten seiner Kanonisierung von Linkskommunisten angegriffen und später in der
Kritischen Theorie in Grund und Boden kritisiert worden. Dennoch scheint er
heute in der Linken allgegenwärtig zu sein, sei es in Form der barbarischen
Parole vom Selbstbestimmungsrecht der Völker und einer Imperialismusvorstellung,
die von einer Globalisierung und Modifizierung der Wertverwertung nicht reden
möchte, aber antikommunistische und antisemitische Massenmörder, mit denen im
Vergleich Orwells Diktatoren wie Humanisten erscheinen, fest die Treue halten,
sei es in Parteiaufbaukonzepten und Avantgardevorstellungen, deren Kritik man
heute am liebsten Humoristen und Satirikern überlassen würde, sei es in
erkenntnistheoretischen Überlegungen zu einer "Wiederspiegelungstheorie", die
schon in ihrer leninschen Fassung von der Marxschen Kritik der politischen
Ökonomie gänzlich unberüht geblieben ist und in ihrer stalinistischen, ebenso
autoritären wie positivistischen Fassung zum Gegenentwurf zur materialistischen
Ideologiekritik, zur Kritik des real-abstrakten Fetischismus der kapitalen und
staatlichen Vergesellschaftungsweise geworden ist.

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Stephan Grigats Einführungsvortrag beginnt am Sonntag, den 11. Jänner 2004 um
20:30 bei uns im monochrom-Raum im MQ. Danach Screening des Films. 



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