[rohrpost] WOS 3 - wissensallmende, freiheit usw.

sascha brossmann brsma at gmx.net
Mit Jun 2 00:44:40 CEST 2004


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liebe listige,

habe soeben volker grassmucks apologie der "zukunft der digitalen 
allmende" gelesen ("der planet des freien wissens" 
http://www.heise.de/tp/deutsch/special/wos/17543/1.html). ein paar 
dinge - nicht nur in direktem zusammenhang mit dem verlinkten text - 
verursachen mir trotz der geteilten leidenschaft für 
visionär-utopisches (und übereinstimmung in vielen punkten) geballten 
schluckauf. dazu ein paar lose gedanken in relativer eile.

zuallererst (und nicht zum ersten mal) wäre da die virulent um sich 
greifende, komplett ahistorische und zutiefst verklärende verwendung 
des begriffs "allmende". die allmende ist für mich systemisch so tief 
im feudalismus mit all seinen auswüchsen und konnotationen (die 
allesamt herzlich wenig mit einer freiheitlichen gesellschaft zu tun 
haben) verwurzelt, dass ich mich jedesmal wenn der begriff fällt fragen 
muss, wo denn nun endlich der dazu passende digitale feudalismus 
mitsamt der leibeigenschaft bleibt und welchen 'herren' man demnächst 
lehnstreue zu schwören hat (sofern man noch das glück hat, zu den 
privilegierten zu zählen). gerade in einer "semiotischen demokratie" 
(dieses zitat erfolgte ohne weitere prüfung seiner sinnhaftigkeit) 
sollte man m.e. gegenüber begriffen und ihrer geschichte (sowie deren 
exhumierung) einigermassen sorgfalt walten lassen. das mittelalter mag 
vielleicht nicht ganz so finster gewesen sein, wie manche bewohner 
dieses planeten nach wie vor glauben. es (oder sein sozialsystem) taugt 
mir aber erst recht nicht als hort unschuldiger glückseligkeit. wann 
fangen wir endlich an, hoffentlich neuen wein auch in *neue* schläuche 
zu füllen? (die wühlerei in sedimenten ist demgegenüber irgendwie dann 
doch eher eine aufgabe für --- würmer.)

etwas (nicht ganz) anderes: die im verlinkten text beschworene freiheit 
ist derzeit nach wie vor primär die freiheit gut subventionierter 
privilegierter, sprich: der angehörigen einer priesterkaste (dazu passt 
die feudale "allmende" dann fast schon wieder) und spiegelt überwiegend 
deren bedürfnisse wider. wogegen auch im prinzip erst einmal nichts 
einzuwenden ist. ich fände es dennoch wünschenswert, die eigenen 
privilegien erheblich klarer zu sehen und auch zu thematisieren, 
möglicherweise ergäben sich damit auch andere und vor allem 
*weitergehende* ideen. die welt der freien software, des freien wissens 
etc. wird meiner einschätzung nach so lange ein einigermassen 
selbstbezogenes biotop bleiben (wenngleich auch ein agiles und höchst 
liebenswertes), solange sie sich nicht deutlicher auch der menschen 
*ausserhalb* dieses biotops bewusst wird. und der gar nicht so freien 
strukturen auf denen diese wunderbare welt gebaut ist.

abschliessend noch ein wenig polemik: "das prinzip der westlichen 
wissenschaft" (e. moglen) ist *längst* (darf ich z.b. an die frühe 
biografie eines gewissen einstein erinnern?) verkommen zu einem 
quasireligiösen system institutionalisierter akademischer kriecherei 
mitsamt einigermassen effektiver verhinderung von originalität, einer 
starken tendenz zur zersplitterung des wissens in mikroskopische und 
zusammenhanglose teile (divide et...), damit lose zusammenhängend einem 
vorzug analytischen vor synthetischen denkens, und und und, kurz: einem 
dummen, trägen, narzisstischen machtapparat sondersgleichen (allen 
zahlarmen ausnahmen zum trotz). ich wehre mich massivst dagegen, 
*darin* einen "entwicklungsweg für das 21. jahrhundert" (nochmal e. 
moglen) zu sehen - eher die dringende notwendigkeit für *mindestens* 
einen paradigmenwechsel. gewähren sie bewusstseinserweiterung, sire! 
und auch weniger blindheit gegenüber den feinen unterschieden. dann 
wird es vielleicht auch nochmal etwas mit der freiheit.

und dennoch: besser *etwas* von all dem als *gar nichts*.

herzlichst

sascha
- --
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