[rohrpost] Malmoe ueber Open Source und die Grenzen der Offenheit

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Mit Jun 30 14:29:38 CEST 2004


Am Mittwoch, 30. Juni 2004 um 12:19:55 Uhr (+0200) schrieb ar at gnuwhv.de:
 
> > Mir sind keinerlei personelle oder institutionelle Verbindungen zwischen
> > Grünen und Berliner Netzkulturprojekten bekannt, übrigens auch keine
> > WOS-Mitorganisatoren mit grüner Parteiaffiliation.
> 
> Wo ist denn da das Problem? Ich hätte nichts dagegen, wenn sich die 
> Grünen mal ums Thema kümmern würden. Ich hätte auch nichts gegen die FES 
> oder die Naumann Stiftung.

Ditto. Nur lautete ja Matzes ursprüngliche Behauptung, die WOS seien
grün, und es gäbe in Berliner Netzkultur-Projekten ähnliche
Querverbindungen zu den Grünen wie sie offenbar in Wien existieren. Das
scheint mir faktisch schlicht nicht zuzutreffen. Da tut Einspruch not,
um falschen Legendenbildungen entgegenzuwirken. In Bezug auf die WOS muß
ich mich dagegen schon als ex-FDP-Mitglied wehren. :-)

> >>ultrakurze begruendung: die geforderte Flatrate
> >>fuer den demokratischen neuer mittelstand-kommerz (stichwort
> >>Online-VerwertungsGesellschaft) 
> >
> >
> >Halt, bitte differenzieren. Dies war keine Forderung _der_ WOS, sondern
> >eine Forderung, die _auf der_ WOS von einzelnen Teilnehmern aufgestellt
> >wurde. Sie ist, wie derzeit auf der WOS-Mailingliste nachzuvollziehen,
> >WOS-intern nicht unumstritten. 
> 
> Nicht ganz: Das kam von Grassmuck persönlich.

Volker ist zwar der Projektleiter der WOS, aber ganz gewiß der letzte
Mensch, der diese Rolle als eine Art ZK-Vorsitz auslegen würde. (Ich
lache schon innerlich beim bloßen Gedanken!) Deshalb sind seine
Positionen nicht per se WOS-Konsens. 

> > U.a. gehören Stefan Merten und ich zu
> > ihren entschiedenen Gegnern. Ich halte sie für in jeder Hinsicht
> > undurchdacht, unpraktikabel und unwünschenswert.
> 
> Mag sein, nur wer nicht in der Lage ist diese Forderung im Kontext des 
> derzeitigen politischen Diskurses zu sehen, der sollte lieber schweigen.
> 
> Es geht um eine Alternative zu DRM. Vielleicht einfach mal "lesen".

Das ist mir schon klar. Nur ist es meiner Meinung nach falsch, dazu eine
defensive Position einzunehmen und stellvertretend für (meiner Meinung
nach: historisch überholte) Teile der Medienindustrie Gedanken zu
machen, wie man sie durch zentralistisch-bürokratische Subventionen
wieder profitabel macht. 

Das ist etwa so, als wenn Fernsehsender wie RTL und SAT.1 sich
u.a. wegen der Verbreitung digitaler Videorecorder mit Timeshifting nicht
mehr durch Werbespots finanzieren könnten. Meine Position wäre schlicht:
Pech gehabt, dann müssen sie sich entweder neu erfinden oder den Weg
anderer obsolet gewordener Medien (wie z.B. Kino-Wochenschauen) in die
historische Versenkung gehen. Daß diese Sender, solange sie noch mächtig
wären, mit allen Mitteln das Verbot digitaler Videorecorder fordern
würden, wäre nur logisch - und geschieht sogar real derzeit in den USA.
Es wäre jedoch meiner Meinung nach unklug, sich davon bange machen zu
lassen und, nur um Schlimmeres zu verhindern, vorzuschlagen, die
Rundfunkgebühren zu erhöhen und die privaten Sender an den
öffentlich-rechtlichen Gebührentopf anzuschließen.

Die Filesharing-Flatrate, wie sie die "Berliner Erklärung" vorschlägt,
atmet aber genau den medienhistorischen Geist des letzten Jahrhunderts,
in dem Musik- und Filmindustrie noch operieren, und ähnelt darin ihrer
vermeintlichen Gegenposition. So soll das Modell primär Musik- und
Filmdateien abdecken, nicht z.B. proprietäre Software, als ob man solche
Differenzierungen digitaler Datenströme noch sinnvoll vornehmen könnte
(und etwa ein generatives Musikstück oder eine DVD mit interaktiven
Elementen nicht auch als "Software" firmieren könnten). Wenn auch Texte
abgedeckt und somit Buch- und Zeitungsverlage kompensiert werden müssen,
kreiert man ein Gebühren- und Verteilungsfaß ohne Boden.

> Schutz der verbraucher. Wo ist da das Problem?

Ein als Verbraucherschutz deklarierter Subventions-Schutz der Industrie.
Das ist etwa so, als wenn Autofahrer eine monatliche "Auto-Flatrate" an
eine Gebührenzentrale der Autoindustrie für das Recht bezahlen müßten,
ihr Auto an andere Personen zu verleihen, gebraucht zu kaufen oder zu
verkaufen, mit Nicht-Herstellerteilen (wie z.B. Sitzbezügen oder
Autoradios) zu bestücken, in freien Werkstätten warten zu lassen und an
freien Tankstellen zu betanken.

> > Die EFF ist aber nicht grün, sondern steht - wie auch die Free Software
> > Foundation - in der politischen Tradition und in Kontinuität der
> > amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen, die man in den USA zu recht
> > "liberal" nennt.
> 
> Libertarian wohl eher. 

Bürgerrechtler - wie in die USA an vorderster Front die ACLU -  berufen
sich auf Freiheiten, die von Verfassung und Gesetzen garantiert werden,
glauben somit an rechtsstaatliche Demokratie und sind liberal.
Libertäre (wie in der Open Source-Bewegung Eric S. Raymond) lehnen den
Staat, und damit auch staatliche Regulierung von Bürgerrechten, als Übel
ab.

-F
-- 
http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/