[rohrpost] Medientheorie, jetzt im Wiki

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Die Nov 9 02:20:23 CET 2004


Am Montag, 08. November 2004 um 23:02:47 Uhr (+0100) schrieb Janus von Abaton:

> Das wichtigst ist immer das ziemlich bestimmte Ding und das müssen wir alle
> mal festhalten und in die Arme schließen, dass es uns zur
> Sachwertvorstellung wird: Die IDEA mit dem Wiki, die WIKI-Idea kam von
> Sophia. Weisheitsgeborene Erblickung! Hierzu nun: Joviales Schweigen, haha,
> lustig machen über die kleine Süße. Und dann wurde die Erblickung, die Idea
> aufgegriffen eher schlecht als recht. Wir wollen also festhalten, dass die
> Idee mit dem WIKI von Sophia kam. 

Moment, habe ich etwas verpaßt? Ein Blick ins rohrpost-Archiv bringt
mich auf folgendes posting von Sophia Nabokov vom 19.10.:

| mal ganz praktisch: Vielleicht könnte man die
| Medientheoretiker, mit denen du einen e-mail-Wechsel
| hattest, fragen, ob man diese mails im Netz
| veröffentlichen darf.
| 
| Man könnte nun die jeweiligen e-mail-Wechsel in einem
| wiki ablegen. Jeder Briefwechsel, also der ganze
| Dialog mit dir, wäre ein Eintrag (Vielleicht am
| besten: NachnameVorname?).
| 
| Nun bekommen alle beteiligten Theoretiker den Link
| zugeschickt und können noch Ergänzungen anbringen und
| auf eigene oder fremde Literatur verweisen. Das machen
| doch Wissenschaftler immer gerne. Sie können auch
| Kommentare an eigene oder fremde Dialoge in Form von
| selbstständigen wiki-Artikeln reintun. Man müsste sich
| darüber einigen, ob man in anderen Texten rumschreiben
| darf oder ob es allen vielleicht lieber ist, dass man
| nur kommentiert.

Es ging hier um jene Medienwissenschaftler, die Geert Lovink für seinen
Lettre-Artikel interviewt hatte (von denen keine/r in die rohrpost und
ihre Mediendiskussion involviert war und ist). 

Ich betreibe völlig unabhängig davon mein Projekt-Wiki auf dem Server des
Piet Zwart Institute in Rotterdam, hatte mit Sascha Brossmann eine
Privat-Korrespondenz über den Text meiner versuchten Zusammenfassung der
Medientheorie-Diskussion - mit dem Ergebnis einiger Korrekturen und dem
Wunsch, irgendwie gemeinsam weiter an dem Text zu arbeiten. Aber
Urheberschafts- und Ideenansprüche jeglicher Art für das jetzige
rohrpost-Manifest-Wiki sind wirklich das letzte, was mich umtreibt. Von
mir aus kann die Seite auch gerne an einen anderen Ort migrieren. 


> Nu wo der Vorschlag dann von einem
> erstzunehmenden Mann übernommen wurde, einem Profi(t)denker, mit Eiern und
> akademischen Ehren und allem drum und dran, 

Zwar sollte man auf diesem Niveau nicht mehr antworten, doch sei nur
angemerkt, daß Dein Bild von mir noch weitaus grotesker falsch ist als
das von deutschen Medienwissenschaftlern in Luxuslimousinen.

> 2. 
> >>Was soll denn diese [... Wort bitte einfügen] Arroganz?<<
> (Florian Cramer)
> 
> Nein, Janus sagt: Nein - unverschämt war das nicht, zu schreiben „bitte Wort
> selbst einfügen“, das ermöglicht dem Leser vielmehr zum Co-Autor zu werden
> (ganz im Sinne von InteraktivZKMkunst). 

Ich habe, falls Du das nicht gemerkt hast, nur Deine eigene Formulierung
zitiert.

> Ein wenig unverschämt dagegen war es
> schon, von einem „Geert-Lovink-Institut für Selbstvernetzung“ zu sprechen.
> Das war schon unverschämt. Allerdings kann der Begriff ja auch mit einem
> gewissen Fug benutzt werden und soll entsetzlichgrässlichst aufmerksam
> machen darauf, dass es keine Formen der offenen vernetzten Kollaboration in
> besagtem Institut gibt: kein Wiki, ein geschlossenes Blog, Bewerbungen
> hinter dem Rücken, statt öffentlich und für alle einsehbar. 

[Darauf kann nur G.L. antworten, ich kenne sein Institut nicht bzw.
nicht gut genug; obwohl ich seine Bitte in dieser Liste um Bewerbungen
und Projektvorschläge für akademische Verhältnisse außergewöhnlich offen
finde.]. Ich hatte Deinen abfälligen Kommentar über die
Webdesign-Konferenz so verstanden, daß dir das Thema zu banal,
kommerziell oder in welcher Form auch immer nicht diskurswürdig
erscheint. Dabei fehlt doch genau das: eine Medienwissenschaft, die sich
nicht zu fein für eben solche Themen ist, und sie mit historischem,
analytischem und kritischem Blick anpackt, so wie es die niederländische
Konferenz tut, und eben nicht in Form eines Dreamweaver-Kurses für
künftige Agenturgraphiker.


> Was ich von einem Netzinstitut dringend erwarten darf, ist, dass sein
> Programm in Netzwerken entsteht. In einem Diskurs. Und zwar nicht ein
> Diskurs über deutsche Medientheorie, der dann im Handumdrehen „angeeignet“
> werden kann, wie Sophia sagen würde, sondern es geht um das Programm, mit
> dem man sich nicht nur beschäftigen, sondern fertig beschäftigen muss. 

Jetzt gehört der Spieß mal umgedreht: Du bist derjenige, der hier
auf Institutionen fixiert ist.  Die Diskussion über "deutsche
Medientheorie" begann mit Geert Lovinks Anfrage zu seiner geplanten
Konferenz. Daraus hat sich eine völlig eigenständige Diskussion
entwickelt, die meiner Auffassung nach mit der Konferenz und dem
Institut gar nichts mehr zu tun hat, sondern vor allem eine
intellektuelle Bilanz und Seelenfindung der rohrpost nach fast
fünfjähriger Existenz ist, in Zeiten einer allgemeinen Krisenstimmung
hinsichtlich allem, was das Beiwort "Medien" trägt. - Ob unser
Diskurs in irgendeiner Form in der Amsterdamer Konferenz präsent sein
wird, ist zumindest mir (sorry Geert) nicht wichtig.  

> >>viel eher gilt es den einzug der literatur in die harten wissenschaften zu
> feiern, zum ende des subjekts kommt die subjektivierung des wissens.<<
> (Pit Schultz)
> 
> Gibt es dafür auch konkrete Beispiele, womöglich aktuelle und in deutscher
> Sprache?

Fink Verlag, Neuheiten-Verzeichnis 2004, Bernhard J. Dotzler und Sigrid
Weigel (Hrsg.): "Fülle der combination", Literaturforschung und
Wissenschaftsgeschichte, 400 Seiten, EUR 52,-. Zitat aus dem
Ankündigungstext: "Zunehmend erweisen sich die science studies von
Begriffen geprägt, die - wie 'Repräsentation', 'Text', 'Metapher' - dem
Bereich der litary studies entstammen. Dadurch wächst der
Literaturforschung mit ihren Methoden der Philologie,
Rhetorik-Forschung, Metaphorologie und Diskursanalyse eine neue Rolle
als Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Wissenskultur(en) zu".

Ich bin allerdings etwas skeptisch, wieviel Wunschdenken auf Seiten der
Geisteswissenschaften hier mitschwingt.

> Hinweggeschafft mit der Kampfkraft der offensiven Langeweile, übrigens: Ein
> Manifest ist ein Instrument der Distribution und nicht der Produktion. - 

Wer sagt das? 

-F 

-- 
c/o Media Design Research, Hogeschool Rotterdam
Overblaak 87, NL-3011 MH Rotterdam, +31 (0)10 241 41 58
http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/