[rohrpost] betrifft: deutsche medientheorie

sebastian at rolux.org sebastian at rolux.org
Fre Okt 15 23:59:30 CEST 2004


 > wenn es franszosische philosophie gibt, warum dann auch nicht deutsche
 > medientheorie?"

woran wuerde man denn erkennen, dass es eine gibt? französisches kino,
italienische gegenkultur, hamburger popmusik usw. waren immer daran zu
erkennen, dass mehrere leute miteinander geredet haben. mehr als zwei,
und öffentlich, weswegen der hinweis, benjamin habe brecht getroffen,
kluge mit negt zusammengearbeitet oder kittler mal mit theweleit
gesprochen, noch keine schule macht.

wenn es allerdings britpop '95 gibt oder young berlin art '02, dann
natürlich auch deutsche medientheorie - also das gemeinsame interesse
der marketingabteilungen deutscher universitäten, angesichts zunehmender
standortkonkurrenz ein nationales label zu lancieren. das aber keine
denktradition bezeichnet, oder überhaupt nur irgendeinen gedanken
(der nicht in henning zieglers bemerkung: "in santa cruz war 'german
media theory' und die so genannte kittlerjugend neulich übrigens auch
der letzte schrei" bereits vollständig zusammengefasst wäre), sondern
bloss die schicksalsgemeinschaft deutscher professoren. das hat mit
französischer philosophie, die ja nie "französisch" war, nichts zu tun.

ich dachte ohnehin, der "letzte schrei" wäre das, womit man vor der
kittlerjugend reissaus nimmt - falls der begriff "kittlerjugend" nicht
auch schon von irgendeiner werbeagentur als bloss besonders witziges
synonym für deutsche medientheorie getrademarked worden ist, sondern
weiterhin, wovon ich ausgehe, der präzise begriff für jene neue
generation akademischer männerbünde sein soll, in denen sich kittlers
wunsch einer "austreibung des geistes aus den geisteswissenschaften"
genau falsch erfüllt. die kittlerjugend wäre selbst ein fall für
theweleit, dessen - ziemlich einsame und kaum systembildende - versuche,
zumindest ein paar der vertriebenen geister wieder zurückzulocken, ich
zur zeit noch für die lichtesten momente jener deutschen medientheorie
halte, die ich nirgendwo erkennen kann.

falls der wissenschaftsstandort deutschland nun aber wirklich nur noch
durch eine anthologie "deutscher medientheorie" zu retten ist, dann
fragt halt bolz und horx. enzensberger, dem mit seinen "aussichten auf
den bürgerkrieg" ("der molekulare bürgerkrieg beginnt unmerklich, ohne
allgemeine mobilmachung. allmählich mehrt sich der müll am strassenrand.
im park häufen sich spritzen und zerbrochene bierflaschen. an den wänden
tauchen überall graffiti auf.") das kunststück gelungen ist, alles, was
er je an medientheorie hinterlassen hat, auf ein paar seiten wieder
einzureissen, kann meinetwegen das vorwort schreiben. für das kapitel
"sloterdijk und die folgen" würde ich fünf bis zehn texte von artur p.
schmidt vorschlagen (http://heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2566/1.html
bleibt mein favorit, den rest von http://wissensnavigator.com), dessen
"medientheorie" die deutscheste ist, die man sich vorstellen kann.

ohnehin denke ich, dass, wenn es zur medientheorie nicht reicht, sich
zumindest ihre abwesenheit noch als spezifisch deutsch verkaufen liesse.
ihren besten mann verjagt und in einem fernen gebirge verrecken lassen
haben ja noch nicht mal die nordkoreaner oder die österreicher. pits
liste wäre also fortzusetzen. es fehlen noch die v2, der volksempfänger
und, aus luhmanns zettelkasten, das kärtchen: "deutsche! kauft nicht
beim turing!"