[rohrpost] betrifft: deutsche medientheorie

Till von Heiseler Till_N_v_Heiseler at web.de
Sam Okt 16 14:29:15 CEST 2004


1. Notizen zur Beantwortung der Frage, ob es eine deutsche Medientheorie gibt

Medientheorie heute schafft es nicht, sich selbst als Theorie in Medien zu begreifen und entsprechende Konsequenzen daraus zu ziehen. Sie ist angeschlossen an den akademischen Betrieb und nutzt weitgehend reflexionslos die traditionellen Formate der Wissenschaft, die sich aus der Geschichte der Wissenschaft und den vielen kontingenten Einzelentscheidungen für Reputation ergeben. In diesem Zusammenhang wird das Buch als einzig würdiger Lorbeer umkämpft. 

Was die Diskurse angeht, so unterscheidet Sybille Krämer folgende und versieht deren Knotenpunkte mit den Etiketten a) „literarische Medien“, b) „technische Medien“ und 
c) „Massenmedien“ (vgl. Medien / Computer / Realität - Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien, p.11f, Frankfurt am Main 1998).

Dazu kommt dann noch der „medienarchäologische Blick“, der eher von der Technik und Technikgeschichte ausgeht und dann natürlich Luhmann.

Die Stellung zu Luhmann bestimmt die jeweilig eigene Position vielleicht am deutlichsten. Sein Vokabular übernehmen (mehr oder weniger) Krämer, Baecker, Seel, Esposito, S.J. Schmidt u.a. Die anderen verstehen Luhmann als Sondersprache (so oder ähnlich Pias auf der Kybernetik-Tagung bei Coy). Wenn man also von „deutscher Medientheorie“ sprechen wollte, dann wäre aus meiner Sicht Luhmann der einzige, der stark genug polarisiert, um in diesem Sinne labelfähig zu sein. Hinzu kommt, dass er tatsächlich eine konkrete Technik der Verarbeitung von Texten entwickelt hat (Zettelkasten); eine Methode, die auf Kollektivierung und Digitalisierung wartet. Außerdem eignen sich seine Theorien gerade durch die Vermischung von Abwegigem und Fruchtbarem zum Weiterdenken... 

Dass nun Luhmann sprachlich eine deutsch-italienische Angelegenheit bleiben könnte, legt ein letztlich gehörter Vortrag nah (http://theater.kein.org/node/view/137),
in dem „Sinn“ tatsächlich mit „meaning“ übersetzt wurde. (Es ist ja gerade Luhmanns entscheidende Pointe, dass das, was einer „meint“ und die gesellschaftliche Ausdifferenzierung von Sinn zweierlei ist und damit Gesellschaft nicht mit Bewusstsein, Motiven, Individuum und Subjekt etc. erklärt werden kann.)

Also, wenn man von deutscher/deutschsprachiger Medientheorie sprechen wollte, käme Luhmann in den Blick; insbesondere, weil er sich auf Hegel, Husserl, Günther bezieht und Parsons ohne Weber auch nicht vorgekommen wäre. 


2. Die Frage nach der Frage

Aber WOLLEN wir von „deutscher Medientheorie“ sprechen und wozu? Was würde man mit diesem Begriff gewinnen? Welche Strategien verfolgt der Begriff? Von dieser Strategie müsste dann abhängig gemacht werden, was der Begriff bezeichnet. Denn ein Begriff ist ja nicht nur etwas, was etwas tatsächlich Vorkommendes bezeichnet, sondern auch etwas, was eine Sichtweise schafft und in seiner Verwendung reproduziert. Welche Sichtweise also reproduzierte der Begriff „deutsche Medientheorie“? Für wen und in welchem Zusammenhang?

Wäre nicht eine andere Frage viel interessanter und zwar die Frage, ob Medientheorie, wenn sie sich als eine Theorie in Medien verstünde, das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis (vielleicht womöglich auch in der politischen Dimension) noch einmal vollkommen neu konzipieren könnte? 

Was wir zur Zeit diskutieren, ist, könnte Systemtheorie (und insbesondere systemtheoretische Evolutionstheorie) eine Grundlage für konkrete mediale Explorationen bilden? Kann es einen experimentellen Medienaktivismus geben, der sich auf Theorien bezieht, die nicht mehr Moral/Subjekt in ihr Zentrum stellen, sondern mit Spinoza und Heinz von Foerster die Unterscheidung zwischen Gut und Schlecht (unter Einbeziehung der Kontingenz der Wirkung jeder Einzelentscheidung: eher besser / eher schlechter) und nicht mehr zwischen Gut und Böse machen? 


Glück zu allen!
till



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