[rohrpost] Nachgedanken zur Medientheorie-Debatte

Stefan Heidenreich stefan.heidenreich at rz.hu-berlin.de
Mit Jan 19 09:22:53 CET 2005


Die Debatte um den Begriff der Medien hat sich zu einem
Streit um universitäre Definitionshoheiten entwickelt.
Darin gleicht sie etwa der Frage "Was ist ein Bild?"

"Arbeit am Begriff" findet hier nicht statt. Florian
dividiert ein paar Schulen auseinander. Dann schlägt
Tilman vor, Theorie durch Pornografie zu ersetzen.
Vielleicht kann er einen "Adult Filter" so umschreiben
dass das sich das Denken ganz einfach erledigt?

Dahinter gibt es eine pragmatische Seite:

Tilma braucht gar keinen Medienbegriff. Im populistischen
Feuilleton darf - (oder muss?) - man auf die "Arbeit am Begriff" 
verzichten.

Florian braucht einen schwammigen ("inklusiven") Medienbegriff.
Damit kann er den für eine Institutionalisierung nötigen
Distinktionsgewinn abschöpfen, ohne sich inhaltlich
weiter festzulegen. Es geht nicht darum, zu wissen
was ein Medium ist, sondern darum, alles "als Medium"
beschreiben zu können.

Die ominöse Kittlerschule wil nicht aufhören, erwähnt
zu werden. Weil dort einer der selteneren Versuche unternommen
wurde, Medien als etwas bestimmtes - als technische Medien -
zu begreifen und die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Seit im Namen von "Medien" Lehrstühle und Disziplinen
gegründet und finanziert werden, ist die Arbeit am Begriff
vom Drang zur "Stelle" kontaminiert. Der Begriff "Medium" ist,
um es ganz feuilletonistisch zu sagen, auf den Stand einer
akademischen "Cash Cow" heruntergekommen. Die Debatte
um eine "deutsche Medientheorie" führt die Kuh ein wenig
im Stall herum, damit sie mehr Milch gibt.

Wiele Grüsse,
Stefan Heidenreich

Und noch was:
wenn wir über Fragen und Begriffe diskutieren wollten, dann
vielleicht eher über Florians immer falsches Argument, dass
Shannons Kommunikationsmodell nicht fürs Netz taugt.


Tilman Baumgärtel schrieb:
> Matthias, ich wollte Florian nicht Kopflastigkeit vorwerfen. An seine 
> Arbeiten fand ich gerade immer gut (und interessanter als die ewige 
> Debatte, was denn nun Medien sind), dass sie nah an den Dingen dran waren.
> 
> Gruesse,
> Tilman
> 
> At 16:52 18.01.2005, you wrote:
> 
>> Ahoi Tilman,
>>
>> möglicherweise hast Du meinen ironisierenden Vorwurf gegen Deine
>> Herangehensweise überlesen.
>>
>> Aber zum Thema: Einen einen neuen Thread öffnest Du, wenn Du z. B. 
>> Florian
>> komplexe Kopflastigkeit vorwirfst. Vielleicht musst Du - vereinfachend
>> gesagt - ein wenig schärfer zwischen einer deskriptiven, an der Erfahrung
>> orientierten "Theorie" und einer Theorie, welche eher an Ableitungen und
>> auf der Basis bereits bestehender Theoriekonstrukte interessiert ist,
>> trennen, ansonsten geht einiges durcheinander und simple Menschen wie ich
>> verstehen Dich dann nicht. Denn Dein Reply auf Florian lässt dessen
>> Beschreibung des generellen Denkens über Begriffe wie Medium außer Acht
>> und behauptet eher als es argumentiert.
>>
>> Du behauptest, dass man sich per Begriffsdefinition nicht dem
>> "Eigentlichen" der Ideen nähert:
>>
>> > zu interessanten Ideen über die Natur oder
>> > Bedeutung dieser Medien zu kommen
>>
>> Dann sag mal, was ist denn die Natur, was die Bedeutung "dieser Medien"?
>> Und wie kannst Du die Begriffe, welche Du verwendest, verständlich 
>> nutzen,
>> wenn Du nicht ihre Voraussetzung, Grenzen und Bezugsfelder etc.
>> argumentativ klärst?
>>
>> Du wirfst den Diskutierenden vor, dass Begriffsdebatten Schulen 
>> bilden. Ja
>> und? Was meint dieser Vorwurf? Gibt es institutionelle Fragestellungen?
>> Ich finde es sehr interessant, wenn wir in dem Wiki und andernorts
>> beispielsweise immer von der Kittlerschule lesen. Ja, aber geklärt ist 
>> das
>> damit Gemeinte nicht.
>>
>> Im allgemeinen glaube ich nicht daran, dass eine Debatte durch schieres
>> Namedropping lebendig wird.
>>
>> > Phänomenologie der vielen tausend Dinge, die mit diesem
>> > "Medien" gemacht werden.
>>
>> Dieser Satz ist sehr interessant. Auf welchen Begriff der Phänomenologie
>> beziehst Du Dich? Bzw. welche Schule? Heidegger, Husserl, Merleau-Ponty?
>>
>> > Ich halte es mit den Medien wie andere mit der Pornografie:
>> > ich kann sie nicht definieren, aber ich erkenne sie, wenn ich sie sehe.
>>
>> Frei nach Goethe: "Ich sehe nur, was ich weiß". Damit aber postulierst Du
>> m. E. Theoriefeindlichkeit:
>>
>> > Das mag zwar etwas hemdsärmelig sein, ist mir aber
>> > lieber als immer spezialistenhafter werdende und
>> > den Horizont einengende Definitionen. Oder gar
>> > Linguistik als Unterabteilung der Medienwissenschaft,
>> > schauder!
>>
>> Nun doch die Freiheit des Praktikers? Was ist denn "Wissenschaft" nach
>> Deinem Verständnis? Gelangweilte Mäkelei über die Arbeit der Kollegen?
>> Immer noch frage ich mich, was denn die Chance sein soll, die aus einem
>> nichttheoretischen Begriffsgebrauch für das Verstehen von Medien und ihre
>> Theorie erwächst. Ich verstehe auch nicht, warum Begriffe so 
>> bedauernswert
>> in Raster "gepresst" werden, wenn man ihnen Gehalt zuschreibt, und zwar
>> unabhängig, aus welcher "Schule" man stammt. Also ein Neue
>> Medien-Begriffs-Christus in der Kelter? Und wir im Adorantengestus? Du
>> metaphorisiert etwas von 100prozentiger Erfassung eines Begriffs durch
>> Definitionen, fragst nach der Behinderung bei der Arbeit durch das Fakt
>> einer Uneinholbarkeit, und schon haben wir eine Schleifenkonstruktion. 
>> Und
>> genau um das zu verhindern, wird weiter definiert: Es ist ein
>> approximatives Verfahren, dessen Ziel ungewiss ist. Dessen Basis die
>> Episteme ist, die in der Gemeinschaft der Wissensproduzenten in der Regel
>> in Bewegung gehalten wird, eben durch diese albernen Spielchen der
>> Auseinandersetzung mit Begriffen.
>>
>> Na ja, mir ist das alles ansonsten ein wenig dürftig, was Du da aus der
>> Hüfte in den Raum geschossen hast.
>>
>> Hast Du nun meinen Einwurf verstanden?
>>
>> Liebe Grüße
>> Matthias
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