[rohrpost] Nachgedanken zur Medientheorie-Debatte

Stefan Heidenreich stefan.heidenreich at rz.hu-berlin.de
Don Jan 20 22:07:12 CET 2005


Lieber Florian,

ich greife nur ein paar Punkte heraus, um es kurz zu halten.

> Weshalb nennt sich diese Medientheorie dann noch Medientheorie ..?
 > Daß "Medium" nun einmal "Mittler" heißt, läßt sich mit keiner Theorie 
wegradieren.

Der Begriff "Medium" wurde im Sinn von McLuhan übernommen. In Kontrast 
zu den "Massenmedien" der empirischen Sozialforschung. Mit der Idee, 
Techniken, die Information vermitteln, speichern, übertragen (und 
erweitert: verarbeiten, eben durch Algorithmen...)
1) in ihrer Entstehung und Geschichte zu beschreiben und
2) zu untersuchen, wie Techniken Aussagen oder "Botschaften" (McLuhan) 
hervorufen.
Ein Medium ist kein neutraler "Mittler".

>>...die Dichotomie von "Substanz" und "Träger" zu hintergehen.
> Das leuchtet mir ja ein. Aber dann noch von "Medien" zu reden, erinnert
> mich an einen Atheisten, der zwar Gott abgeschafft hat, aber immer noch
> vom heiligen Geist spricht.
Vielleicht liegt der Fehler bei der "Substanz". Natürlich gibt es - ganz 
nachrichtentechnisch - einen physikalischen Träger und ein Signal, das 
verschiedenen Trägern aufgesetzt wird. Von Substanz würde ich an keiner 
Stelle sprechen.

> .. Wort "Theorie", Sichtweise, steckt ja bereits das Konzept der Deutung
> und Zuschreibung von Bedeutung. ..
Es gibt eine seltsame ideologische Blockade bei Zeichentheoretikern. Auf 
den Einwurf, das man nicht mit dem Begriff "Zeichen" (und seiner immer 
notwendigen Doppelung von Zeichen und Bezeichnetem) operieren will, 
reagieren sie mit einer Art von formaler Ablehnung.
Man kann Elemente in Informationen isolieren (Bits, Words ...) oder das 
Auftauchen von Aussagen (im Sinn von Foucault: Archäologie d.Wissens) 
nachvollziehen, ohne sie als "Zeichen" zu begreifen, also als "etwas, 
das für etwas anderes steht".

Ich weiss nicht, ob dein Einwand genau dieser Blockade entspricht, aber 
es hört sich danach an.

> Einspruch. Es ist eine Zeichentheorie, die von klassischer Semiotik
> lediglich darin abweicht, daß sie Bedeutung nicht mehr im Signifikanten
> liest - bzw. behauptet, dies nicht mehr zu tun, s.o. -, sondern im
> Kontext.
Ja, so würde man den Ansatz wohl beschreiben, wenns in den Begriffen der 
Zeichentheorie sein muss.

> Mit Peirce gesprochen, ist technische Medientheorie eine Semiotik, die
> ihr Augenmerk auf indexikalische Zeichen legt.
Von der technischen Medientheorie her gesehen, erscheinen die Ansätze 
Pierce's und Saussures als Theorie-Antwort auf die Telegraphie, die eben 
die grundlegenden Elemente von Signalen und deren Codierung ins 
Bewusstsein rückt. Sie reagieren darauf, indem sie Modelle der alten 
Grammatik reaktiveren, bzw. das Bedeutungsmodell der herrschenden 
Interpretationswissenschaften auf elementare nachrichtentechnische 
Einheiten herunterbrechen.

> Das ist so, also
> wenn man einen ab (McLuhan-)Werk kaputt designten Sphaghetti- und
> Chaos-Code zu debuggen versucht, obwohl man ebenso an einer zwar
> älteren, aber vorausschauender und eleganter geschriebenen Codebasis
> weiterarbeiten könnte.
sehr schöner Vergleich, aber der Pierce-Code in seinem verfummelten 
Begriffswirrwarr scheint mir nicht grade besser.

> Medientheorie erinnert mich insofern an Windows
> und die seit Jahrzehnten irrationale Erlösungshoffnung, daß es nach dem
> nächsten großen Update endlich zuverlässig wird, nur weil niemand Lust
> hat, sich mit so etwas altem, langweiligen und unbunten wie
> Unix-Terminals abzugeben.
ich weiss nicht, was dann auf Theorie-Seite Unix / Linux entsprechen 
soll. Die Idee, dass es ein Manifest oder ein fixes Set 
theorie-methodischer Regeln geben müsste, wird zumindest innerhalb des 
Ansatzes einer technischen Medientheorie nicht verfolgt. Ich finde es 
beinahe schade, dass eine explizite Methodendiskussion dort nicht statt 
gefunden hat - kaum bei Kittler und auch nicht wirklich danach.

> Gar nichts würde solch eine Bastelei als Wissenschaft qualifizieren. 
> Kultur- bzw. Geisteswissenschaften einschließlich Kunst- und
> Medienwissenschaft "Wissenschaft" zu nennen ...
Wofür plädierst du? Für Selbstauflösung? Ich halte es für wichtig, 
digitale oder mediale Kultur weder Betriebswirtschaftlern ("new economy 
etc...") noch Informatikern zu überlassen, mit ihrer jeweilig 
spezifischen kulturellen Unkenntnissen.
Insofern unterstütze ich eine eigenständige Medientheorie oder eine
Kulturwissenschaft, die Medien mit bedenkt. Und noch immer sind 
Universitäten ein Ort, an dem dieses Wissen kultiviert werden kann - 
auch wenn sie gerade zu höheren Schulen geschrumpft werden - und man 
nach Alternativen suchen müsste.

Stefan