[rohrpost] Cramer: Meine heimliche Mitarbeit am Just Do It!-Buch

Inke Arns inke.arns at snafu.de
Die Jul 12 10:49:17 CEST 2005


Date: Tue, 12 Jul 2005 00:29:40 +0200
From: Florian Cramer <cantsin at zedat.fu-berlin.de>
To: Stella Rollig <stella.rollig at lentos.at>,
	Thomas Edlinger <Thomas.Edlinger at lentos.at>, barr at gmx.net
Cc: Inke Arns <inke.arns at berlin.snafu.de>,
	Friedrich von Borries <fb at raumtaktik.de>
Subject: Meine heimliche Mitarbeit am Just Do It!-Buch


Offener Brief an Stella Rollig, Direktorin des Lentos Kunstmuseum Linz
und die Kuratoren Thomas Edlinger, Raimar Stange und Florian Waldvogel

Berlin, den 11.7.2005


Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Direktorin, sehr geehrte
Kuratoren,

wie ich vor wenigen Tagen herausfinden durfte, besteht das von
Ihnen herausgegebenen Buch "Just do it!, Die Subversion der Zeichen von
Marcel Duchamp bis Prada Meinhof" (Edition Selene Wien, 2005) auf den
Seiten 137-160 aus meinem Aufsatz "Vom freien Gebrauch der Nullen und
Einsen - 'Open Content' und Freie Software", den ich im Jahr 2002
geschriebe habe und der unter anderem unter der Adresse
<http://www.stuttgart.de/stadtbuecherei/druck/oc/cramer_opencontent.htm>
veröffentlicht ist. Dieser Text erscheint im Buch leicht gekürzt und
anonymisiert, ohne Autoren- und Quellenangabe, als Teil eines
246seitigen Gesamttextes, für den das Lentos Kunstmuseum verantwortlich
zeichnet. Wie Sie selbst wissen, bin ich zu keinem Zeitpunkt von Ihnen
wegen des Abdrucks gefragt oder auch nur informiert worden, habe kein
Belegexemplar erhalten und bin so nur durch Zufall - als Käufer des
Buchs nämlich - auf meinen Text darin gestoßen.

Zunächst zum Formalen:

Juristisch gesehen, da sind wir uns gewiß einig, verstößt der Abdruck klar
gegen meine Rechte als Autor des Texts. Nun bin ich ein Kritiker des
heutigen Urheberrechts. Mein Aufsatz handelt deshalb von Open Content-
und Copyleft-Lizenzen, und er steht auch unter einer solchen, der Open
Publication License [http://www.opencontent.org/openpub/]
Ironischerweise erklärt er jedoch - und zwar so, wie er in Ihrem Buch
publiziert ist -, weshalb eine Open Content-Lizenzierung eben kein
pauschaler Freibrief zur beliebigen Manipulation von Texten ist. Ich
zitiere meinen Text aus Ihrem Buch, S. 150 und 151:

  "Wieso ist es überhaupt nötig, für 'Open Content' eigene
  Spielregeln zu erfinden? [...] Beide Probleme, Zensur und
  kommerzielle Ausbeutung, sind in neueren Open Content-Lizenzen
  berücksichtigt. Die 'Open Publication License' zum Beispiel,
  erlaubt es digitale Texte frei in Netzen zu verbreiten,
  stellt aber Modifikationen und Nachdrucke auf Papier unter
  Urheber-Vorbehalt".

Ich schließe daraus, daß Sie als Herausgeber des Buchs den Text gar nicht
richtig gelesen haben. Das enttäuscht mich bei der ganzen Geschichte am
meisten. Denn wenn Sie das, was der Text erklärt, ernstnähmen, hätten
Sie sich an die Open Content-Spielregeln halten müssen. Würden Sie es
nicht ernstnehmen und hätten Sie die Regeln absichtlich ignoriert, dann
wäre der Text in Ihrem Buch inhaltlich deplaziert. So drängt sich der
Eindruck auf, daß der Text, weil ja er irgendwie zu Ihrem Thema paßt und
Freie Software/Open Source irgendwie hip und zeichensubversiv sind, nur
sporadisch überflogen und ohne Sinn und Verstand ins Buch integriert
wurde.

In der Open Publication License heißt es wörtlich:

  IV. REQUIREMENTS ON MODIFIED WORKS

  All modified versions of documents covered by this license,
  including translations, anthologies, compilations and partial
  documents, must meet the following requirements:

  1. The modified version must be labeled as such.

  2. The person making the modifications must be identified and
  the modifications dated.

  3. Acknowledgement of the original author and publisher if
  applicable must be retained according to normal academic
  citation practices.

  4. The location of the original unmodified document must be
  identified.

  5. The original author's (or authors') name(s) may not be used
  to assert or imply endorsement of the resulting document without
  the original author's (or authors') permission.

Diese Bedingungen sind klar formuliert, und der unabgesprochene,
anonymisierte Abdruck meines Texts in Ihrem Buch verstößt ebenso klar
gegen sie.

Nun führen die Ausstellung und das Buch "Subversion der Zeichen" im
Untertitel und haben Appropriationskunst und "culture jamming" zum
Gegenstand. Es geht also um künstlerische Strategien, die klassische
Begriffe von Urheberschaft und Werk gezielt unterlaufen und torpedieren.
Das Buch soll, so nehme ich an, diese Strategien nicht nur beschreiben,
sondern auch praktisch umsetzen. Prinzipiell leuchtet mir das ein. (Und
es ist nicht ohne Charme, wenn die antikapitalistische Subversion der
Zeichen von einem staatlichen Kunstmuseum gegen einen Arbeitslosen
betrieben wird, der von ein paar hundert Euro im Monat lebt.)

Diese praktische Umsetzung aber geschieht nicht konsequent, und Sie
messen mit zweierlei Maß. Denn das Buch selbst ist nicht anonym,
sondern trägt Ihre namentlichen Signaturen sowie die des Lentos-Museums.
Mit Orwell gesprochen, hat es also Urheber, die noch gleicher sind als
die anderen gleichen. Es ist der klassische Fall eines "Rebranding" als
hegemonialer, kanonisierender Umwidmung. Nicht, daß ich darüber klagen
würde. Dies ist das Normalste der Welt und der unvermeidbare
kapitalistische Lauf der Dinge. Nur bin ich nicht sicher, ob dies Ihrem
selbstgesetzten kritischen Anspruch entspricht und sich Ihr Projekt
nicht auf eine ganz andere Weise subvertiert, als Sie es reflektieren.
Nicht anders verhält es sich mit "culture jamming" insgesamt, das ja
auf nicht mehr hinausläuft als eine pseudo-nonkonformistische
feel-good-Spielart der Lifestyle- und Logo-Kultur von Nike & Co.

Es befremdet schließlich, daß auf Ihrem primären Arbeitsgebiet, dem
Ausstellungsmachen, die Spielregeln des Buchs offenbar nicht gelten,
sondern sich die "Just Do It"-Ausstellung mit ihren namentlichen
Künstler- und Werknennungen an die Konventionen des Museumsbetriebs
hält. Angesichts dessen mutet das anonymisierte Sampling des Buchs
weniger als praktische Umsetzung eines Konzepts an, denn als schlichte
Geringerschätzung des Mediums Text.

Selbst die rechtliche Frage ist nicht vom Tisch, weil Sie in Ihrem Fall
auch eine ethische ist. Das Lentos Kunstmuseum ist eine öffentliche
Institution und hat sich als solche nun einmal an staatliche Regeln zu
halten, sprich ans Gesetz. Wenn Sie das Projekt in Ihrem Museum
verwirklichen, müssen Sie sich an institutionelle Ethik und rechtliche
Spielregeln halten, zumal gegenüber Zu- und Mitarbeitern wie jenen
ungefragten und anonymisierten Schreibern der Buchtexte. Was hätten Sie
denn gesagt, wenn Ihnen die Stadt Linz sämtliche Gehalts- und
Honorarzahlungen sowie die Nennung Ihrer Namen für "Just Do It"
gestrichen hätte, mit der Begründung, Ihre Arbeit sei ja subversiv,
also habe man Ihnen gegenüber auch keine arbeitsrechtlichen
Verpflichtungen mehr?

Wenn es Ihr Konzept ist, rechtliche Spielregeln zu verletzen, dann
sollten Sie Ihr Projekt als Underground-Veranstaltung außerhalb einer
staatlichen Institution und ohne öffentliche Gelder verwirklichen. Sie
können nicht beides zugleich haben, einerseits die anarchische Freiheit
von Underground-Kultur und andererseits die Annnehmlichkeiten einer
öffentlichen Institution.

Wenn eine öffentliche Institution wie das Lentos Kunstmuseum glaubt,
Recht und institutionelle Ethik vorsätzlich brechen zu können, handelt
es wie ein Staat, der seine eigenen Gesetze gegenüber seinen Bürgern
systematisch mißachtet. Dies ist nicht subversiv oder kritisch, sondern
zynisch.

Mit freundlichen Grüßen,

Florian Cramer


-- 

Dr. Inke Arns
Künstlerische Leiterin / Artistic Director
Hartware MedienKunstVerein
Güntherstrasse 65 * D-44143 Dortmund
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