[rohrpost] Auschreibung

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Mon Mar 28 17:26:39 CEST 2005


Am Montag, 28. März 2005 um 14:07:34 Uhr (+0200) schrieb Lotar Küpper:
> Hi Gisela, Hi Florian, Hi Johnannes,
> ich dagegen habe gelacht, wie ich das gelesen habe... und auf diese
> Rohrpost-Reaktionen "buch-stäblich" gewartet.
> 
> Seid wann ist Kunst und Kultur eigentlich humorfrei?
> Seid wann darf Kunst keine Anstöße mehr geben?

Ja, sehe ich auch so. Und ich bin normalerweise für politische
Inkorrektheiten gern zu haben. Zu Johannes' Ehrenrettung sei gesagt, daß
der Fehler bei mir lag und ich offenbar nur mit halben Ohr gelauscht
hatte, als er mich anrief und für die Jury des Junggesellenpreises
anfragte.  Daß der Preis so heißt, war mir bewußt, und dies finde ich
auch gut, nicht klar war mir jedoch die Geschlechterklausel in der
Ausschreibung.

Das Problem, aus meiner Sicht, ist ein zweifaches: 

1. Gibt es von Camilla Paglia bis zur Harald Schmidt-Show bereits eine
etablierte Kultur ostentativer politischer Inkorrektheit, der
Provokationen der 80er Jahre-Subkulturen (von Punks mit Hakenkreuzen,
Songtexten wie "Tanz den Mussolini" und "Zurück zum Beton" bis zur
Ästhetik von Laibach/NSK) in eine billige Larmoyanz übersetzt hat, an
der nichts mehr provokativ ist und in der Ironie nur noch als
Schmiermittel für sich smart findendes Dumpfbackentum fungiert. 

Nun ist zwar nicht die Absicht, aber die Gefahr solch eines Wettbewerbs,
in die Nähe solcher Schenkelklopfer zu geraten.

2. Wenn ich an Netzkünstler denke, die ich schätze und deren Arbeit
potentiell auch für den Preis in Frage käme, dann komme ich, ohne
Quoten-Bretter vorm Kopf, auf mehr als 50% Frauen: jodi, die 01er, mez,
Cornelia Sollfrank. Auch das Klischee vom einsamen männlichen
Maschinenfetischisten ist nicht mehr ganz zeitgemäß, wenn ich mich z.B.
in der jüngeren Generation des CCC oder in der italienischen
Hackerkultur umsehe. 

Man vernichtet so Chancen für den Wettbewerb, zumal beim problematischen
Netzliteratur-Genre, das immer das rückständige Stiefkind der
elektronischen Künste war. Auch ohne Geschlechter-Einschränkungen könnte
es schon schwer genug werden, auch nur eine preiswürdige Einreichung zu
erhalten.

-F


-- 
http://cramer.netzliteratur.net