[rohrpost] react - Beobachtungen zum Screens Projekt am Potsdamer Platz

Mirjam Struppek struppek at interactionfield.de
Son Okt 9 12:27:30 CEST 2005


Zurück in Berlin mit meiner Erfahrung von Urban Screens 05, war ich sehr
gespannt auf das "Screens Projekt" react - "Sie werden beschrieben... "
gestern am Potsdamer Platz. Horst Konietzny Projekt Initiator hatte mir
schon vorher von seine frustrierten Zusammenarbeit mit Sony und dem
Desinteresse erzählt...

http://www.reframes.com/

Eine schöne eigentlich besonders "deutsche Idee" wie mir einer der Passanten
erklärte... ja ja das Land der Dichter und Denker..... in der tat reite sich
das Projekt ein in Ideen wie "urban diary" damals in der U2..... nur diesmal
waren es zusätzlich 4 Autoren die das Potsdamer Platz Tagebuch live
schrieben, ununterbrochen 3 stunden lang, was dann in fast realtime auf dem
großen LED Screen erschien und per sms kommentiert werden konnte. Das
Projekt reiste schon durch Deutschland und kam nun hier an.  Ich bin
gespannt auf die Dokumentation der Erfahrung an den unterschiedlichen Orten.

Eigentlich ideal, der Platz war voll, das Wetter gut... Deutlich wurde,
aber, das nicht nur der Fakt des privaten Besitztums des Ortes das Resultat
beeinflusste sondern auch die überinszenierte Gestalt des Raumes es einfach
verhindert, dass sich "bürgerhaftes" verhalten in Form eines simplen
Interesses dafür was im Raum vor sich geht entwickeln kann. An einem ort, an
dem ein Tee 4 Euro kostet ist man fast gezwungen sich schon deswegen auf das
Trinken und das Cafesitzen zu konzentrieren und es besonders intensiv
zwangszugeniessen. Für mich war dann auch die Motivation zu gering,
zusätzlich noch die Kosten einer SMS für die Beteiligung zu tragen wo doch
extra auf dem Screen stand: nur die normalen Anbietergebühren fallen an!
Man merkte ausserdem deutlich, dass wir uns gerade in einer bewusste Oase
für Touristen befinden, (clever geplant, um sie von den städtischen Kietzen
so fernhalten zu können um in Ruhe gelassen zu werden) Dieses Publikum ist
natürlich nicht wahrlich an lokalen Prozessen interessiert und starrt lieber
in den beschirmten Fujihimmel, oder geniest gerade, sich selbst
wahrzunehmen, an diesem ungewöhnlichen Ort seiend. Wo doch die Intention des
Projektes ist, "sich plötzlich als literarische Figur in Texten wider zu
finden." Es schein hier zu viel verlangt, auf einen Screen zu schauen, auf
dem Literaten versuchen mit dem Publikum in Kontakt und Austausch zu treten.
Oder es war einfach nicht passend verpackt gewesen. Sicher war es zu wenig
inszeniert für einen derartigen Ort im Kampf um die Aufmerksamkeit. Zumal
auch keine ungewöhnliches Event durch offensichtliches herumstehen und in
die Luft schauen signalisiert werden konnte, da das dort sowieso üblich ist.
Da halfen nur ein bisschen die netten Mädels in oranger Warnuniform, die
aktiv auf Passanten losgingen, mit ihren Erklärungen zum Projekt.  Einen
Tourist beobachtete ich allerdings, wie er das arme Mädchen gar nicht so
weit kommen ließ, ihn auf das Projekt aufmerksam zu machen, sondern gleich
ins flirten verwickelte....... als, ob wir hier in einer Bar wären!

Es war nicht einfach, Reaktionen auf den Screen zu beobachten, außer
natürlich an Hand der geschriebenen SMS Kommentare, aber eine
vielschichtigere Interaktion zwischen dem Publikum, dem Screen und den
Autoren war kaum erkennbar. ....Horst Konietzny meinte hier in Berlin wäre
es schwerer gewesen Verbindung von Blickkontakten, quasi Berührungen,
erstaunte Gesichter zu entdecken... Sein Wunsch diesmal mit dem Reiz
derVerstecktheit, der Entdeckung zu spielen ( die Autoren saßen ziemlich
versteckt an unterschiedlichen Orten im ersten Stock im Schaufernster oder
auf dem Balkon) funktioniert nicht. Es hätte einen großen Gong benötigt,
eine festlich Eröffnungsrede um das Projekt einzuführen um es zur Geltung
bringen zu können, vielleicht einen Preis, wer findet alle Autoren?
Eigentlich ein reizvolles Spiel, neben den ganzen anderen Labtopusern, die
das offenen WLAN des Sonycenters bevölkern, herauszufinden, wer denn nun ein
offizieller Schreiberling ist....

Ich musste lange warten um ein nettes Foto mit auf den Screen schauenden
Besuchern des Centers zu schießen. Obwohl es nicht ganz so düster war, aber
bemerkbar wurde die Aufmerksamkeit des Publikums erst, als der Screen
ausfiel und sich in der Pizzeria laute Proteste entwickelten.... Die
plötzliche Nichtinformation quasi. Diese Orte brauchen einen Ausfall der
Information um Bewegung ins Spiel zu bringen. ein Hoch auf die Unperfektheit
der Technik!

Wie geht man nun in einen derartigen überinszenierten Raum mit Medienkunst?
Helfen hier nur konfrontative Interaktionskatalysatoren, die das Publikum
schon ohne ihr dazutun fast aggressiv in die Handlung einbeziehen? Sicher
darf man ihn nicht begreifen als einen Stadtplatzes im klassischen Sinne,
ganz unabhängig davon, dass er privat ist. Denn es gibt mittlerweile auch
genug öffentliche Räume, die in ihrer Überinszeniertheit jegliches
konzentriertes Schauen und distanziertes Beobachten des Ortes gar nicht
ermöglichen.  

Die Literatin Ulrike Draesner, die an allen orten mit partizipierte,  sagte
dieser ort saugt einen viel zu stark ein, und macht einen selbst dadurch so
unsichtbar. Also kein ort des Flaneurs, des neugierigen Beobachters, da
kommt auch kein Spaß am Voyeurismus auf....

Hier zum Schluss ein wirklich nicht uninteressanter Ausschnitt der SMS
Kommentare, der kollaborativen Publikumspoesie die auf dem Screen erschien.
Zu schön eigentlich, um so wenig Aufmerksamkeit zu bekommen, zumal auch die
Abschlussveranstaltung im Filmmuseum fast leer war.

.... Ein Wort aus der menge anonym im Gedränge - poetic overkill.
.... In hamburg verliert mann die unschuld nicht sein herz.
.... +++ Textgeneratoren +++ Schreibmaschinen +++ Satzbauarbeiter +++
.... und da sitzt der chrizz allein hat sein zweites pilschenlein und wer
mag die frau da sein dass sie steht so allein
.... So jungs und mädels gebt mir mal ein tipp wo ich heute abend ausgehn
kann.
.... cosi van tutte demnächst in der oper
.... Ist poesie architektur?
.... Wir sollten alle mehr handke lesen
.... katja mapf net so viel
.... An schulz: n vers für mich für n euro?
.... Sms defekt? Greif zur Feder Kumpel !
.... basta ! (unwort)
.... Schreibt mir etwas über masse und macht.
.... An kolbe: wenn du react willst, mußt du action bieten.
.... Warum springt nicht mal einer aus Textwand? - Textdiving!
.... Was macht denn frau draesner eigentlich? -TECHNISCHE PROBLEME! gleich
wieder da. 
.... Schicke Tapete! - So ne Textwand sollte jeder im Wohnzimmer instalieren
.... Verrät mir ein Autor, wo er sitzt? - Küsschen.
.... Das board nervt sagt gerd!
.... Bedienung! 5 Bier an Tisch 1!
....  3 mädels aus hamburg!
.... mensch uwe, zeig, was ein kolben ist!.
.... 1 Mann aus Kreuzberg
.... alle interessenten bitte aufstehen!
.... Der mann sollte sich mit den mädels kreuzen
.... Wenn ich steige, werde ich lachen vor Freiheit. Es gibt keine Schuld.
Nur Unbekanntes. ....Geht ein mann die treppe hoch. Treppe weg.
.... Die Hamburgerinnen bitte einmal kurz kichern
.... an alle dichter: ist die kanzler-frage schon gestellt?
.... Orangener Trainingsanzug mit braunem Kragen - Sie werde gescannt
....  Ein gutes gedicht legt eine spur. Wie fühlt ihr euch heute dichter.
Jetzt? Wann zuletzt glücklich gewesen? Wirklich?
.... Übrigens: Das Sony Center ist unfotografierbar!
.... Ich brauche etwas naturbezug hier auf dem platz.
.... Tom ist wohl eingeschlafen. Oder träumt.
.... Ich kaufe ein "E" wieviel kostet das?
.... Mr. Gumze bonjour, lass die senzur weg!

Zum Schluss:

Autor: Tom Schulz
p.s.: es geht weiter, weiter mit kopfschmerzmusik, weiter mit
sensationsdarstellern ... usw. etc.
p.s.2: ab 18uhr im flimmuseum können sie uns lesen hören ...
wir vier dichter  legen ihnen das herz zu füßen;
um 18 uhr filmmuseum / direkt neben der leinwand

LASSEN SIE UNS NICHT ALLEIN!







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Mirjam Struppek
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