[rohrpost] Staatsexperiment Afghanistan - from Shakespeare to the election: Kabul

Felicia Herrschaft F.Herrschaft at soz.uni-frankfurt.de
Fre Sep 16 13:27:39 CEST 2005


Heute auf Radio x  91. 8 fm, Gespräche mit Robert Klyver, Foundation for
Culture and Civil Society, Kabul,  Daniel Massat-Bourrat, Centre
Culturel Francais de Kaboul, Said Ismael Noori, Kurator Afghan Pavillon
Biennale Venedig 2005, Momak = virtuelles Museum of Modern Art Kabul
u.a.
 
Weitere Informationen unter www.fehe.org <http://www.fehe.org/>
Sendungen demaechst als podcasts.
 
 
Mitten in Kabul, im August und während lauer und langer Sommerabende
(sieben Jahre hat es in Kabul nicht geregnet), hinter verschlossenen
Türen und hohen Mauern, scheinen Staatsexperimente der dritten Art in
der Ersten Welt realer als erwartet: 
 
„A simple thought experiment, concrete and elemental, can, I think, help
us see this. Visualize, or try to, what-assuming there to be such a
thing-the prototypical new state of the last half-century-just emerged
from a disused and distanced colonial past into a world of intense and
implacable great-power conflict-had to address-ab initio, from a
standing start. It had to organize, or reorganize, a weak and disrupted,
"underdeveloped" economic system: attract aid, stimulate growth, and set
policies on everything from trade and land reform to factory employment
and fiscal policy. It had to construct, or reconstruct, a set of popular
(at least ostensibly), culturally comprehensible political
institutions-a presidency or prime ministership, a parliament, parties,
ministries, elections. It had to work out a language policy, mark out
the domains and jurisdictions of local administration, elicit a general
sense of citizenship-a public identity and a peoplehood-out of a swirl
of ethnic, religious, regional, and racial particularisms. It had to
define, however delicately, the relations between religion, the state,
and secular life; train, equip, and manage professional security forces;
consolidate and codify a thoroughly pluralized, custom-bound legal
order; develop a broadly accessible system of primary education. It had
to attack illiteracy, urban sprawl, and poverty; manage population
growth and movement; modernize health care; administer prisons; collect
customs; build roads; shepherd a press. And that was just for starters.
A foreign policy needed to be established. A voice in the expanding and
proliferating system of trans-, super-, and extra-national institutions
needed to be secured. Attitudes toward the half-hated, half-loved,
politically discarded but very much not forgotten, metropole
civilizations-London, Paris, Amsterdam, Madrid-needed to be rethought,
their heritage, the only even quasi-modern one the country had,
reassimilated; which meant, among other things, turning nationalism
around from a restive and reactive, what-we-are-not, separationist
ideology to a persuasive image of a natural, organic, what-we-are,
historic community, ready for deals, development, and practical
alliances: Mazzini modernized. It was a heady time. No wonder it was
followed by ambiguous successes, precipitate turnarounds, sobering
disappointments, and, often enough, murderous disruptions.” (Geertz,
2005
<http://www.dissentmagazine.org/menutest/archives/2005/wi05/geertz.htm>
http://www.dissentmagazine.org/menutest/archives/2005/wi05/geertz.htm
siehe auch Uebersetzung dieses Artikels in Lettre International, Nr. 69
2005)


Afghanistan könnte alles sein, würde es diese transnationalen
Staatsexperimente nicht geben, die irgendwie nur einer Welt, der Welt
der UN entsprechen zu scheinen: Lieber eine Welt in Stücken, lieber
abgeschottet sein und den nächsten Krieg planen, als funktionierende
neue Staaten zu bilden, denn, wer würde dann denn noch die UN
finanzieren? 
 
Diesen Krieg wird es nach den Wahlen in Afghanistan direkt geben, dann
wird man dort wieder härter durchgreifen, sagt die ausländische Polizei,
denn die afghanische Polizei ist zu korrupt, zu viele Drogentransporte
verschwinden in den Kammern der Beamten, Entführer werden für 8000
Dollar wieder auf freien Fuß gesetzt, Karzai nimmt sich eine Zweitfrau
und neben den ungefähr 6 Milliarden Dollar, die in seinen und weiteren
Taschen verschwunden sind, deckt er seinen Bruder, der in den Drogen-
und Waffenhandel verstrickt ist. Minister werden aus Versehen
beschossen, sie sind zufällig am Kugelhagel vorbeigefahren und aus
Hubschraubern, die in die Luft gesprengt werden, können die Insassen
rechtzeitig rausspringen, Bomben findet man bevor sie explodieren, auf
belebten öffentlichen Plätzen, weil die Taliban einfach nicht so gut
organisiert sind und alle anderen auch, denn das sind eben Afghanen,
sagen die  Erfahrenen, die zu lange dort geblieben sind, die abwarten
und Tee trinken, das tun sie alle, bis die nächste  NGO (es gibt insg.
2400 in Afghanistan) und Foundation gegründet und von ausländischer
Hilfe finanziert, ein besseres Leben verspricht: für die Internationalen
und für die Afghanen. 
 
Solange spielt man dort Theater, bringt sich in Gefahr und auch die
Schauspieler, denn Frauen dürfen auf der Bühne nicht tanzen und nehmen,
wenn es ihre Familie nicht gerade verbietet, an den Aufführungen nicht
teil, obwohl es gelingt- es gelingt in diesem zivilisatorischen Prozess,
die Afghanen sind ja nicht die Barbaren oder Kannibalen, auch wenn es
die Taliban gewesen sind, dass Männer und Frauen gemeinsam Gruppen
bilden, lernen sich als Teams zu verstehen, lernen Kontinuität zu
erfahren, die Dauer eines Stücks ertragen, ohne es zu unterbrechen und
in geschützten Gärten gemeinsam Volleyball zu spielen und nebenbei
erfahren sie, dass es auch die Liebe gibt, Romeo und Juliette (Aftab):
Die Väter, die sich in Afghanistan das Stück anschauen, haben bisher
jedoch nicht das Ende gesehen, denn durch ihren Hass sterben ihre
Kinder.
 
Geertz beendet seinen Artikel mit Foucault: „Dass wir meistens wissen,
wie wir handeln, und manchmal sogar, warum wir so handeln – dass wir
aber fast nie wissen, wie unser Handeln handelt, “ und lässt offen, ob
dies als Antwort auf den transnationalen, postkolonialen und paradoxen
Nationalismus von Drittweltländern oder als Antwort auf transpolitische
Kommunikationsstrukturen transnationaler Staaten gesehen werden kann.
 
Beste gruesse
 
 
Felicia Herrschaft
 
 
 
Links: 
 
http://www.afghanfccs.org/
 
 <http://www.worldchanging.com/archives/003446.html>
http://www.worldchanging.com/archives/003446.html
 
 <http://www.theatre-du-soleil.fr/> http://www.theatre-du-soleil.fr/