[rohrpost] tell.net // Andreas Broeckmann: Fuer eine neue Maschinen-Kunst

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Mit Apr 5 17:15:36 CEST 2006


Am Dienstag, 04. April 2006 um 09:53:59 Uhr (+0200) schrieb Stefan Heidenreich:

> Die Einsicht kommt ziemlich spät.
> Der Versuch, Medienkunst als eigenes Genre zu etablieren und 
> institutionalisieren, läuft mittlerweile seit gut 20 Jahren (Planung zkm 
> 1984, khm Anfang 80er).

Beziehungsweise der ars electronica 1979. Man kann aber noch weiter
zurückgehen, etwa zur Gründung des IRCAM im Jahr 1970 und zu
Publikationen wie Jack Burnhams Aufsätzen zu kybernetischer und
konzeptueller Kunst in den späten 1960er Jahren, Gene Youngbloods Buch
"Expanded Cinema" von 1970, in dem weniger von Kino, als von
elektronischen Installationen die Rede ist, sowie Abraham Moles' "Art et
Ordinateur" von 1971, das eine Ausarbeitung seines "ersten manifests der
permutationellen kunst" von 1963 ist. Bereits seit den frühen 1960er
Jahren gab es eine universitär institutionalisierte elektronische
Experimentalkunst, z.B. die Stuttgarter Schule um Max Bense oder an der
State University of New York at Buffalo.  Die früheste Erwähnung von
"Medienkunst" beziehungsweise "media art" stammt meines Wissens von Nam
June Paik, der sich damit auf McLuhan und dessen Gleichsetzung von
Medien und technischen Apparaten bezog. 

Im deutschsprachigen Raum geht die Installation des
Parallel-Kunstbetriebs "Medienkunst" historisch auf das Bauhaus zurück
und dessen spezifische Verknüpfung von angewandter und freier Kunst,
Gestaltung und industrieller Produktion, Kunst und Technologieforschung.
Mit Max Bills Ulmer Hochschule für Gestaltung seit 1950 und Heinrich
Klotz' Gründung des ZKM als "Bauhaus der zweiten Moderne" ist diese
Traditionslinie völlig explizit und bedarf keiner Deutelei.

Der Gedanke hinter allen genannten Institutionen der elektronischen
Kunst war, daß "Medienkünstler" teure Hightech-Laboratorien benötigen:
Computermusikstudios, Silicon Graphics-Workstations, Videostudios etc.
Die Lothar-Späth-Landesregierung, die noch das ZKM aufbaute, sah dies
wohl als Teil ihres Investitionsprogramms in Baden-Württemberg als
Hightech-Region und erhoffte sich vom neuen Digital-Bauhaus kreative
Impulse für Industrieentwicklungen, vergleichbar dem "Media Lab" des
MIT. Auch die KHM in Köln war Teil einer von der Landesregierung
betriebenen Strukturpolitik, mit der Nordrhein-Westfalen vom Industrie-
zum Medienstandort umgekrempelt werden sollte und u.a. Millionen für
gescheiterte Filmstudios in den Sand gesetzt wurden.

Ohne diese handfesten wirtschaftlich-politischen Interessen würde es den
"Medienkunst"-Betrieb in seiner heutigen Form nicht geben, vielleicht
nicht einmal das Wort "Medienkunst", das ja kunsttheoretisch unsinnig
ist [weil jede Kunst Medien involviert], sich aber politisch zumindest
bis zum Crash der neuen Ökonomie gut verkaufen ließ.

Weitgehend obsolet sind die Hightech-Institutionen des
"Medienkunst"-Betriebs aber deshalb geworden, weil heute niemand mehr
teure, zentralisierte Laboratorien und Silicon Graphics-Workstations
braucht, um mit elektronischen Technologien künstlerisch zu arbeiten.  Das
hat Mitte der 1990er Jahre die Netzkunst dem "Medienkunst"-Betrieb
schockartig vor Augen geführt.

> Medienkunst im engen Sinn ist eine recht bornierte Angelegenheit, die 
> sich weitgehend damit begnügt, technische Effekte als mehr oder weniger 
> aufwändige Spektakel vorzuführen. 

Das stimmt sicherlich für den institutionellen Mainstream der
sogenannten "Medienkunst". Eine (immer wieder als Klassiker angeführte)
Arbeit wie Jeffrey Shaws "Legible City" zum Beispiel wäre außerhalb des
ZKM-Ghettos, im allgemeinen Kontext zeitgenössischer Kunst und
Ästhetik schlicht indiskutabel - digitaler Kitsch und banales
Techno-Gimmick.

> Für den großen Rest der Kunst bleibt 
> es sich ziemlich gleich, welches Medium eingesetzt wird. 

An diesem Punkt möchte ich widersprechen. Wie Walter Benjamin ja bereits
1936 feststellte, definiert sich das moderne Kunstwerk nicht mehr durch
seinen Kult- sondern durch seinen Ausstellungswert. Ausstellbarkeit ist
seitdem das K.O.-Kriterium für zeitgenössische Kunst, das in der
Konsequenz auch ihre Medien bzw. Materialität determiniert. Der "white
cube" des Ausstellungsraums ist heute das Maß, an dem Kunst gemessen
wird, und was nicht paßt, ist entweder die arrivierte Ausnahme, die die
Regel bestätigt oder fällt schlicht aus dem Kunstbetrieb heraus.  Selbst
konzeptualistische und prozessuale Kunst à la Fluxus, deren Werke sich
laut Lucy Lippard "dematerialisiert" haben, war in Wahrheit immer darauf
bedacht, von ihren Performances und Konzepten materielle, ausstellbare
Artefakte zurückzulassen - von auratisierten Fotographien bis hin zu
Objekten -, von denen heute Kataloge wie der "Fluxus Codex"
backsteindickes Zeugnis geben.

Bei aller Kritik hatte der "Medienkunst"-Betrieb deshalb eine sinnvolle
Funktion: Künstler durchzufüttern, deren Arbeit nicht oder nur schlecht
in white cubes ausstellbar war und sich auf den "Medienkunst"-typischen
Festivals besser präsentieren ließ; wie z.B.  jodi, Mongrel und I/O/D,
Heath Bunting, 0100101110101101.org, Cornelia Sollfrank,
socialfiction.org, ubermorgen.com, Yes Men, um nur einige zu nennen,
deren Arbeit für mich zur interessantesten zeitgenössischen Kunst
gehört.

Allerdings zeigt sich an der neueren Entwicklung dieser Künstler (was
Deine These wiederum bestätigt), daß sie sich vom "Medienkunst"-Betrieb
emanzipiert haben. Ihr Aktionsgebiet hat sich vom Internet in
den öffentlichen Raum verlagert, und sie intervenieren auch erfolgreich in
den regulären Kunstbetrieb; Cornelia Sollfrank zum Beispiel durch den
Verkauf der computergenerierten Warhol-Blumen-Variationen oder
0100101110101101.org in ihrer Zusammenarbeit mit Galeristen.

> Die beiden letzten Documentas haben gezeigt, wie die Fixierung auf ein
> "Medium" durch inhaltliche und thematische Schwerpunkte abgelöst wird.

Sicherlich wäre das gut - wobei mich Deine Position allerdings erstaunt
angesichts der Tatsache, daß Du zuvor auf dieser Liste für eine
Medientheorie plädiert hast, die technischen Medien ein Diskurs-a priori
zuschreibt.

Auf der anderen Seite operiert auch die Documenta, siehe oben, mit
einer impliziten Medienfixierung auf den Ausstellungsraum. Und gerade
die unfaßbare Naivität, mit der auf der letzten Documenta Video als
soziopolitisches Dokumentarmedium ausgestellt wurde, zeigt, daß es dort
an kritischer (und künstlerischer) Medienreflexion mangelte.  Und so,
wie der "Medienkunst"-Betrieb auf Techno-Kitsch à la Shaw reinfällt, tat
es die letzte Documenta auf den Ethnokitsch von Shirin Neshat...

> Eine eigenständige "Medienkunst" zu fordern, wiederholt die uralte
> vorstellung eines Paragone, eines Streits zwischen den klassischen
> meeidenbezogenen Kunstgattungen Skulptur und Malerei. Und das zu dem
> durchschaubaren Zweck, spartenbezogene Festivals oder Institutionen
> gefördert zu bekommen.

Sicher. Das muß allerdings nicht zwangsläufig schlecht sein. Im besten
Fall nimmt man das Label nicht übertrieben ernst, sondern nutzt es
taktisch dafür, Freiräume zu schaffen oder zu bewahren, die es anderswo
nicht mehr gibt. 

-F

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