[rohrpost] FR: Vorratsdatenspeicherung als Tagesthema

Annett Zinsmeister az at ethicdesign.de
Sam Aug 26 18:49:50 CEST 2006


Frankfurter Rundschau, 25.8.2006

Analyse
Allen Internet-Surfern auf der Spur

Um Terrorverdächtigen und Straftätern auf die Spur zu kommen, sollen
künftig alle Telefon- und Internetverbindungsdaten gespeichert werden. Ein
Bundestagsgutachten listet schwere Bedenken auf.

VON VERA GASEROW (BERLIN)

Verfassungsmäßig "zweifelhaft", "erhebliche Bedenken" - das Urteil des
Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags könnte kaum vernichtender sein.
Auf 20 Seiten nehmen die Rechtsexperten des Parlaments jetzt zu einem
EU-Vorhaben Stellung, das vor dem Hintergrund der jüngsten Terrorpläne
hochaktuell ist: zur geplanten europaweiten Vorratsspeicherung aller
Telekommunikationsdaten.

Das neue Gutachten könnte die Bundesregierung und vor allem
Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) in Bedrängnis bringen. Denn
Deutschland muss gemäß einer EU-Richtlinie die seit Jahren umstrittene
Telefondatenspeicherung bis Mitte 2007 in nationales Recht umsetzen. Union
und SPD haben dem bereits zugestimmt, obwohl auch sie noch in der vorigen
Legislaturperiode - gemeinsam mit allen anderen Parteien - die
Datenhamsterei abgelehnt hatten.

Das Brisante an der EU-Vorgabe: alle Telekommunikationsanbieter werden
gesetzlich vergattert, die Daten aller Telefon-, SMS-, E-Mail- oder
Internetverbindungen ihrer sämtlichen Kunden zu speichern. Bisher durften
die Betreiber die Verbindungsdaten zu Abrechnungszwecken aufbewahren.
Künftig, das ist die neue Qualität, m ü s s e n sie die Daten unabhängig
von einem konkreten Straftatverdacht für Polizei und Jutiz vorrätig
halten. Längstens 24 Monate, mindestens aber sechs Monate lang.

Die große Koalition hat sich verständigt, dass die deutschen
Telekommunikationsanbieter die Daten mindestens ein halbes Jahr
aufbewahren müssen. Die Inhalte der Kommunikation dürfen dabei zwar nicht
festgehalten werden. Aber anhand der Verbindungsdaten können die
Strafverfolger minutiös feststellen, wer, wann, mit wem per SMS oder
E-Mail kommuniziert hat. Wenn die Daten über Monate gespeichert werden,
ließe sich sogar rekonstruieren, wer welche Internetseite aufgerufen hat.
Die elektronischen Besucher einschlägiger Webseiten etwa von
Terrornetzwerken oder Bombenbastlern könnten also identifiziert werden -
aber auch jeder ganz harmlose Internetsurfer.

Diese Datenspur zu Islamisten hatte auch Innenminister Wolfgang Schäuble
(CDU) wohl im Blick, als er eine schärfere Kontrolle des Internets
forderte. Doch angesichts der gigantischen Flut von wahllosen
Internetanmeldungen dürfte die Rückverfolgung von bestimmten Webseiten auf
ihre Kunden für Strafverfolger oder Terrorfahnder schwer praktikabel sein.
Aber auch bei SMS-Mitteilungen, so warnt man beim
Bundesdatenschutzbeauftragten, könnten die Ermittler leicht nicht nur auf
die Verbindungsdaten Zugriff bekommen, sondern auch auf den Inhalt der
Kommunikation selbst.

Während Union und SPD ihre Bedenken gegen die Vorratsspeicherung der
Telefondaten aufgegeben haben, laufen amtliche Datenschützer, FDP, Grüne
und Linkspartei Sturm gegen die flächendeckende Datenerfassung von auch
völlig unverdächtigen Telefon- oder Internetkunden. Die Linkspartei erwägt
eine Verfassungsbeschwerde gegen den von der Bundesjustizministerin
angekündigten Gesetzentwurf, mit dem die Bundesregierung die EU-Richtlinie
in deutsches Recht umsetzen will. Auch die Grünen sind sich sicher: "Gegen
diese Pläne muss Karlsruhe Grenzen setzen." Und selbst in der CDU erhebt
mit dem Rechtspolitiker Siegfried Kauder ein einsamer Streiter
"verfasssungsrechtliche Bedenken". Deutschland müsse auch den Mut haben,
einmal Nein zu Vorgaben aus Brüssel zu sagen, wettert Kauder. "Der Staat
kann nicht wahllos Daten zusammentragen. Es muss auch sinnvoll und
verhältnismäßig sein."

Genau diesen Sinn und die Verhältnismäßigkeit bezweifelt jetzt auch das
Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes. Es bestünden "große
Bedenken", ob die europaweite Vorratsdatenspeicherung für die effektive
Terrorismusbekämpfung erforderlich sei oder ob nicht andere, die Bürger
weniger belastende Fahndungsmaßnahmen wirksamer seien. Fazit des
Gutachtens: "Es erscheint zweifelhaft, dass dem Gesetzgeber Š eine
verfassungsgemäße Umsetzung gelingen wird." Das Justizministerium will
dennoch an den Gesetzesplänen festhalten.

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