[rohrpost] “Hors-champ und Montage” - 30.5.07 HFF Potsdam-Babelsberg

Till Nikolaus von Heiseler till.n.v.heiseler at googlemail.com
Mit Mai 16 15:45:31 CEST 2007


zu Gast im Montageforum am 30.5.07

in der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" Potsdam-
Babelsberg
Kleine Videovorführung (2017),
ab 17:00 Uhr,
HFF SG Montage:

Kayo Adachi-Rabe

"Hors-champ und Montage"
Ein Vortrag über das filmische Off.

Die wörtliche Bedeutung von hors-champ ist „Außerhalb des
Bildfeldes". Das Off bzw. die imaginäre Peripherie der
Filmeinstellung wird vom Zuschauer gewöhnlich als integraler
Bestandteil der dargestellten Welt wahrgenommen. In der Praxis und
auch in der Theorie entwickelten sich verschiedene Behandlungsweisen
des hors-champ als ein besonderes Kriterium der künstlerischen
Darstellung. Béla Balázs z.B. begreift den Off-Bereich der
Stummfilme, die ein souveränes Raumverhältnis entfalten, als eine
metaphysische Dimension des Films. André Bazin versucht hingegen, im
Off der Tonfilme eine reale Fortsetzung der dargestellten
Räumlichkeit nachzuvollziehen. Gilles Deleuze stellt die These auf,
dass im modernen Film im Wesentlichen kein hors-champ mehr existiert,
da die Bilder nur für sich allein stehen und nicht mehr dazu streben,
sich miteinander und mit dem Außen zu koordinieren.

Wenn wir in die Geschichte des hors-champ zurückblicken, entdecken
wir sofort sein ambivalentes Verhältnis zum Verfahren der Montage.
Zunächst lässt sich der hors-champ als die Antithese der Montage
definieren. Wenn eine Einstellung auf einen umfangreichen Off-Bereich
verweist, wird der Schnitt, der dazu dient, einen anderen Ausschnitt
der Szene bzw. einen Gegenschuss zu veranschaulichen, überflüssig.
Dieser Antagonismus veranlasste eine Reihe von historischen Polemiken
über die Rezeption des hors-champ.

Aus einer anderen Perspektive betrachtet, beinhaltet die
Darstellungstechnik des hors-champ ihr eigenes Schnittverfahren:
Deleuze zufolge erfordert jede Kadrage die Dekadrage, d.h. die
Ausschließung des Off. Je mehr sich der hors-champ erweitert, desto
fragmentarischer erscheint die filmische Welt. In der
Wechselbeziehung zwischen den Sichtbaren und Nicht-Sichtbaren im Film
entsteht eine Kooperation zwischen Dekadrage und Montage, um ein
Weltbild zu dekonstruieren und ein neues, offenes Raumsystem zu
reorganisieren.

In meinem Vortrag versuche ich, die komplexe Beziehung zwischen hors-
champ und Montage anhand von repräsentativen theoretischen Debatten
sowie einigen klassischen und zeitgenössischen Filmbeispielen zu
erörtern.

Kurzbiographie:

Geboren in Hirosaki, Aomori-Präfektur, Japan. 1985 Abschluss eines
Germanistik-Studiums an der Rikkyô-Universität in Tokyo. 1993
Abschluss des Studiums der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an
der Freien Universität Berlin mit der Magisterarbeit Sergej M.
Eisensteins Literaturverfilmung. 2002 Promotion in Medienwissenschaft
an der Philipps-Universität Marburg zum Thema Abwesenheit im Film.
Zur Theorie und Geschichte des hors-champ (Münster: Nodus
Publikationen 2005). Derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Institut für Japanologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Thema
des laufenden Forschungsprojekts: Film als Paradox.



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