[rohrpost] FRONTBILDUNG I: »Ressource : Kreativität«

cornelia sollfrank cornelia at snafu.de
Don Okt 4 20:57:13 CEST 2007


Im Rahmen des European Art Festival Hamburg (2. - 28.10.2007) finden  
jeden Sonntag unter dem Titel FRONTBILDUNG "Theorie-Blöcke" mit  
Gesprächen und Podiumsdiskussionen statt. Der Auftakt ist diesen  
Sonntag zum Thema »Ressource : Kreativität«

Weitere Informationen zum Programm finden Sie unter:  
www.wirsindwoanders.de


Sonntag, 07.10.2007, Ex-Karstadt, Große Bergstraße 172, 22767 Hamburg  
(Nähe Bahnhof Altona)

FRONTBILDUNG I
»Ressource : Kreativität«
17:00h, Vorträge mit moderierter Podiumsdiskussion im
Anschluss

»Kreativität« – mit diesem Begriff wird bis heute jene schöpferische  
Energie assoziiert, die zur Hervorbringung von außergewöhnlichen  
Werken befähigt. Obwohl der Begriff und die damit verbundenen  
Erwartungen an die Kunstproduktion von KünstlerInnen immer wieder  
kritisch hinterfragt oder sogar vehement abgelehnt wurden, schien der  
Terminus dem
künstlerischen Feld vorbehalten. Neben Spontaneität, Mobilität,  
Talent und Offenheit findet sich Kreativität heute als
Qualifikationsbeschreibung in der Sprache von Marketing- und  
Managementabteilungen wieder. Kreativ zu sein, gehört inzwischen wie  
selbstverständlich zum beruflichen Anforderungsprofil. Innerhalb  
einer Verwertungslogik, die mit »Human Ressources« operiert, werden  
auch KünstlerInnen zu einem berechenbaren Faktor: Ihnen kommt die  
Rolle zu, Ideen zu
produzieren, die einen verwertbaren Nutzen haben sollen. Gegen welche  
Erwartungen haben KünstlerInnen vor
diesem Hintergrund ihre Arbeitsweisen durchzusetzen? Welche Rolle  
wird dem Künstler/der Künstlerin heute
gesellschaftlich zugeschrieben? Welche anderen (gesellschaftlichen)  
Rollen lassen sich denken? Ist der Begriff Kreativität für die  
Beschreibung von künstlerischer Produktion noch brauchbar oder hat er  
sich endgültig disqualifiziert?

Referenten:
Karl-Heinz Brodbeck, Wirtschaftswissenschaftler, FH Würzburg, gelesen  
von Belinde Ruth Stieve, Schauspielerin
Christoph Behnke, Kultursoziologe, Leuphana Universität Lüneburg
Laurence Rassel, Künstlerin, constant, Brüssel

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Karl-Heinz Brodbeck: Neue Trends der Krativitätsforschung

Die neuere Kreativitätsforschung hat sich aus dem engen Umkreis der  
Intelligenzforschung gelöst. Der Kreativitätsbegriff wurde erweitert,  
und andere Disziplinen bemühen sich neben der Psychologie um die  
Erklärung der Kreativität. Im Beitrag werden einige neuere Modelle  
vorgestellt und kritisch diskutiert. Dabei zeigt sich, dass die  
Kreativität durch zwei Dimensionen – Neuheit und Wert – zu  
charakterisieren ist, die funktional getrennt operieren und situativ  
eine unterschiedliche Ausprägung erfahren. Der Text schließt mit  
einem Ausblick auf verschiedene Anwendungen der vorgestellten  
Ergebnisse.

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Christoph Behnke: „Creative Industries“ – Kulturindustrie

Der Begriff „Creative Industries“ hat seit seiner Einführung in den  
90er Jahren vor allem in der politischen Rhetorik eine große Rolle  
gespielt. Er kontrastiert  radikal mit den Intentionen, die sich um  
den Begriff „Kulturindustrie“ in der Tradition der
Kritischen Theorie gebildet hatten. Im Vortrag sollen die  
Grundstrukturen der so genannten „Creative Industries“  
herausgearbeitet und kritisch kommentiert werden. Dabei wird es  
sowohl um die Frage der Kommodifizierung von Kunst gehen als auch um  
die spezifischen, mit der Ressource Kreativität verbundenen  
Arbeitsbedingungen, die sich durch
Mobilität, Flexibilität, Projektorientierung und Selbstprekarisierung  
auszeichnen.

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Launce Rassel: Kreativität als Werkzeugkiste oder "Ein eigenes Zimmer"

Wo wir Kreativität als Werkzeugkiste ansehen. Wo wir das Werkzeug und  
die Kiste ansehen. Wie Virginia Woolf in “Ein eigenes Zimmer”  
schrieb, ist die schriftstellerische oder künstlerischer Arbeit wie  
ein Spinnennetz mit den konkreten Lebensbedigungen verknüpft. Wir  
werden uns also mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen von  
Kulturarbeitern, Produzenten und Akteuren beschäftigen. Die Kiste –  
das sind dann die Bedingungen, der Ort, die Situation unserer
“kreativen” Handlungen, Tätigkeiten, und Gedanken. Aber, was meinen  
wir mit Arbeit? Wenn Leben Arbeit wird und Arbeit Leben, dann  
tendieren die Grenzen zwischen produktiver und kreativer Arbeit zu  
verschwinden. Bezahlte Arbeit wird
mehr und mehr durch die prekären und informellen Arbeitsbedingungen  
von kreativer Arbeit definiert. Diese Umwandlung ist durch das  
Auftauchen eines unbestimmten Pools aus Leben und Arbeit  
charakterisiert: Die Ausdehnung der Arbeitszeit nach
Hause, zeitbefristete Arbeitsverträge und individualisierte  
Abmachungen, die Nachfrage nach emotionalem Einsatz und affektiver  
Arbeit. Gibt es da eine Beziehung zwischen der ‚immateriellen‘ und  
‚unsichtbaren‘  Arbeit aller “Heimarbeiter”:
Hausfrauen, Opensource ProgrammiererInnen, KünstlerInnen, e-Worker,  
etc.? Gibt es mögliche Modelle für Verträge, soziale
Absicherung, Abeitsbedingungen, die die vielschichtigen, flexiblen  
und großzügigen ArbeiterInnen in die Visibilität rücken, ohne sie zu  
kommodifizieren oder abzuschließen?
Sollten wir eine gemeinsame Politik definieren? Wollen wir Regulation  
oder steigende Flexibilität? Wie lassen sich diese multiplen  
Arbeitsformen sichtbar machen, ohne sozialwissenschaftliche Forschung  
zu betreiben und dennoch Flexibilität, Freiheit und Transparenz auch  
für Arbeitsverträge und den eigenen Status zu fordern? Aber, was  
meinen wir mit Kunst?
Und meinen wir mit Kreativität und Kunst dasselbe? Kunst soll hier  
als ein Mittel zur Konstruktion von Räumen und Beziehungen definiert  
werden, ein Mittel zur konkreten und symbolischen Neuordnung eines  
gemeinsamen Territoriums, ein Mittel zur Besetzung eines Raums, indem  
die Beziehungen zwischen Körpern, Bildern, Räumen und Zeiten neu  
verteilt werden.
Aber, was meinen wir mit Raum, wenn wir uns aus der Position einer  
Non-Profit-Organisiation mit Fragen zu Kunst, Technologie und  
Bedingungen von Arbeit von Kulturarbeitern beschäftigen? Und was  
meinen wir mit Technologie? Wo wir ebenfalls unsere Werkzeuge  
berücksichtigen, die Software, die unsere natürliche Umgebung  
geworden ist. Aber Software ist niemals politisch neutral, so wie es  
Ästhetik nicht ohne Farbe gibt: jedes Produkt schreibt seinen  
Gebrauch und seine Resultate in spezifischen Formen vor. Wir nähern  
uns diesen Fragen, durch konkrete Erfahrung, Beispiele von  
KulturarbeiterInnen in einem dreisprachigen Land in einer  
vielprachigen Stadt und durch transdisziplinäre Praxis.