[rohrpost] CFP: Junges Forum für Bildwissenschaft V

Ingeborg Reichle ingeborg.reichle at kunstgeschichte.de
Son Mar 7 10:19:57 CET 2010


CALL FOR PAPER

Junges Forum für Bildwissenschaft V

IMAGE MATCH
Visueller Transfer, »imagescapes« und Intervisualität in globalen
Bild-Kulturen

Tagung der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Bildkulturen der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

9.-11. Juni 2010

Deadline für Vorschläge: 18. April 2010

Im Zuge der Globalisierung geraten Bilder gegenwärtig mitsamt den sie
tragenden Kulturen in neuer und massenhafter Weise in Bewegung: Bilder
werden Teil transnationaler und transregionaler Migration, fließen
millionenfach durch neue globale Kommunikationskanäle, sind gebunden
an neue Perspektivitäten, an Vektoren und Beweglichkeiten - und
fusionieren ununterbrochen zwischen sozio-kulturellen Domänen,
Teilkulturen oder vormals separierten Bedeutungsräumen. Bilder und
visuelle Ensembles werden in der Folge vermehrt zu Trägern, »Orten«
oder auch symptomatischen Indizes kultureller Austausch-Bewegungen.
Schon ist stellenweise von »flowing images« die Rede, die nicht
zuletzt in Phänomenen der »Global Art« und vielen Bereichen der
Naturwissenschaften bereits sichtbar sind.
In diesen von jeher bedeutsamen Bewegungen der Bilder und Bildkulturen
entstehen nicht nur neue Bildformen, sondern darüber hinaus auch
»third spaces« (Edward Soja) von Bildern in den Transferräumen - d. h.
neue, reale und virtuelle Bildarchive, Bildmärkte und visuelle Bühnen.
Mit ihnen formen sich spezifische transkulturelle Bildensembles und
neue Interpretationsgemeinschaften im Sinne von Bildkulturen, in denen
diese vielfältigen visuellen und ikonischen Begegnungen kultiviert,
enkulturiert oder verhandelt werden. Einzelne Bildkulturen wie etwa
Street Art, Fotomontage oder das VJing (Visual Jockeys), Kino-Remakes
mit ihren Übersetzungen über kulturelle Großräume, islamische
Superheldencomics u. ä. lassen sich inhärent nur in ihren kulturellen
Übertragungen von einem Bildraum in den anderen deuten. Aber auch
»traditionelle« Bildkulturen der sogenannten Hochkultur und die
tradierten Bildmedien sind in ihren visuellen Referenzen oft nur durch
ihre Übertragungen aus anderen Bildbeständen zu verstehen.

IMAGE MATCH stellt die Frage nach den Neubestimmungen einer
Bildwissenschaft unter den Bedingungen der massenhaften und mitunter
bewusst bzw. reflexiv stattfindenden Bildtransfers zwischen
bestehenden Bildkulturen. Fokussiert werden sollen dabei neu
entstehende Gleichzeitigkeiten und Verkoppelungen zwischen kulturellem
und bildlichem Raum und damit zwischen unterschiedlichen, sich jedoch
ergänzenden Perspektiven des praktischen Sehens. Inwieweit muss die
Idee der kulturellen (Bild-)Produktion bspw. von der Dublette »Making«
und »Matching« (McLuhan) um ein »Mixing« ergänzt werden? Was ist, wenn
Bilder - und Medien überhaupt - Zeit und Raum nicht überwinden,
sondern kulturelle Akteure und Bedeutungsräume vielmehr verflechten?
Was bedeuten Bilder gerade im Austausch - in oder nach einem
anspruchsvollen Transfer? Welche Bedeutungen entstehen in Sphären, die
als Drehkreuz zirkulierender Bilder, sich überkreuzender Bildachsen
und produktiver Hybridisierungen verstanden werden? Wie verstehen sich
»Meta-Bilder« (W.J.T. Mitchell), wenn man sie nicht einfach als Orte
beliebig verschachtelter Bildlichkeiten, sondern gleichzeitig auch als
Räume kultureller Überlagerungen betrachtet? Welche Art von »Frames«
bestimmen Bilder, die die Rahmen einer Kultur überschreiten, um sich
behaftet mit den Spuren ihres Ur-Sprungs in neue kulturelle
Bedeutungsräume einzuzeichnen? Wie bestimmen sich kulturelle und
bildliche Perspektivenübernahmen gegenseitig bzw. inwieweit sind sie
überhaupt unterscheidbar? Gefragt wird nach den damit einhergehenden
und neu entstehenden hybriden kulturellen Bildpraktiken und
Bildsystematiken sowie nach dem Einfluss auf den Status je bestehender
»alter«, etablierter Bilddomänen - also auch nach der historischen
Entwicklung und Veränderung von Bildkognition selbst.

Bild-Bedeutung im Transfer
Ein zentraler Begriff der Fragestellung des diesjährigen »Jungen
Forums für Bildwissenschaft« ist der des »Transfers« als einer
zunehmend durchgängigen Größe allgemeiner Lebenserfahrung und -praxis
für ganz unterschiedliche Gruppen von Akteuren und einer umfassend
sich geltend machenden Realität der neuen Informations- und
Kommunikationsverhältnisse: soziale Netzwerke, weltumspannende
Imagepools, neue Verfügbarkeiten von Kommunikationskanälen, wachsende
multidimensionale Mobilitäten, globale kulturelle Märkte. All dies
führt zu neuen, teilweise inzwischen alltäglichen Übertragungen. Als
Topos wie auch als anspruchsvolle methodische Herausforderung an einen
rein kulturvergleichenden und komparatistischen Zugriff wird
»Transfer« bereits seit Längerem in den Literaturwissenschaften
verhandelt. Ähnliches zeichnet sich in ersten Umrissen für die
Bildwissenschaften ab, in denen die Thematisierungen und
Programmatiken einer »Intervisualität« oder »Interikonizität« bereits
in Ansätzen diskutiert werden. Fragen nach »Transfer« und
»Intervisualität« können mit der Betrachtung transversaler
Kulturalität verknüpft und im Sinne einer systematischen Neufassung
des Kulturellen unter den Bedingungen der Globalisierung verhandelt
werden. Die Bedeutung von »Transfer« und »Perspektivenübernahme« für
komplexere kulturelle Prozesse wie die des Lernens, des Dialogs oder
der Empathie sollen dabei bewusst mitgedacht werden. Auch der »Kampf
der Kulturen« bietet eine Gegenfolie für die hier eingenommene
Blickrichtung.

»Intervisualität«, »Imagescapes« und die Eigenwertigkeiten neuer
Bild-Kulturen
In diesem Rahmen stellt sich ebenso die Frage nach der kulturellen
Bedeutung von Bildtransfers. In reflexiven Bildprozessen - von denen
man in Zeiten eines millionenfachen Gebrauchs von Bildern und einer
Massenkultur der Bildproduktion und -rezeption ausgehen muss - finden
an den verschiedenartigsten kulturellen Übergangsstellen Bildtransfers
statt, in deren Vollzug sich die Akteure bewusst mit verschiedenen
Formen von Bildlichkeit auseinandersetzen. Wo von »user-generated
content«, sozialen Netzwerken und Partizipationskulturen die Rede ist,
muss auch eine Kultur des Transfers als eines emphatischen und
expliziten Bildgebrauchs angenommen werden. Ausgegangen werden muss
also auch von Aneignungen, die von den Akteuren mehr oder weniger
bewusst erörtert und geprägt werden und in denen sich Taktiken,
Strategien und operative Kulturen ausbilden, auch als
Auseinandersetzung mit den übernommenen Bildern und deren heterogener
Kulturalität. In diesen Prozessen der Fusion, Montage, Entlehnung und
der impliziten wie expliziten Bilddialoge werden nicht nur bestehende
Kontexte überbrückt und vermittelt, sondern es entsteht immer auch ein
neuer, dritter und übergeordneter Kontext. Innerhalb der übertragenen
Aneignung bestehender Bildmotive, -bestände und -repertoires tritt mit
diesen Übersetzungen von Bildwahrnehmungen und Bildhandlungen immer
auch eine Repositionierung von kulturellen Subjekten in Erscheinung.
Die Frage nach einer »globalen Bildkultur« erhält eine neue
Konfiguration, wenn der Fundamentalperspektive der »Intertextualität«
eine kulturell verstandene »Intervisualität« an die Seite gestellt
wird und wenn neben die Erkenntnis von globalen »ideascapes« oder
»mediascapes« auch die von im Austausch allererst entstehenden
»imagescapes« tritt. Auch umgekehrt scheint die Bestimmung solch
gearteter neuer intervisueller Bildzusammenhänge ein
vielversprechender Zugang zu der Frage nach einer Bestimmung des
Umfangs, des Charakters und der aktuellen Erscheinungsformen von
»Kultur(en)« in global verfassten Gesellschaften.

Bildwissenschaftliche Transferleistung - auf dem Weg zu neuen
Bildtheorien?
Noch unbedacht sind bislang die Implikationen für eine Bildtheorie,
wenn die Referenzordnungen der Bilder und ihre klassischen
Bildsemiotiken im Spannungsraum des Kulturtransfers ergänzt werden
durch die inhärente Bedeutsamkeit ihrer kulturellen Verweise und eine
Praxis der Verknüpfung sowie des expliziten Bezugs auf heterogene
Sozial- und Bedeutungsräume. Richtet man den Blick dabei auf die
Subjekte und Akteure der neuen Transfer-Bild-Kulturen als
»Interpretanten« von Bildbedeutungen (im Sinne von C. S. Peirce),
stellt sich die Frage nicht nur aus kultur- oder
sozialwissenschaftlicher Sicht, sondern auch in ihrer weitreichenden
Bedeutung für Grammatiken, Signifikationsweisen und Semiotiken des
Bildlichen selbst. Ändert sich in einer globalen Transfer-Kultur
Bildlichkeit selbst? Braucht eine globale Kultur, die sich als
Verhandlungsraum von sich überkreuzenden und überlagernden Kulturen
darstellt, eine neue Theorie, gar eine neue Methodik der Beschreibung,
Analyse und Deutung des Bildlichen? Was bedeutet es für
die Bildbedeutung, wenn Referenzen immer auch einen bestimmten und
internalisierten Verweis auf Externes beinhalten, mit einem
stereoskopen Blick der »zwei Kulturen« verbunden sind und in ihrer je
bestimmten Verklammerung eine spezifische Aufhebung artikulieren?
Welche Theorien erfassen gleichermaßen die neuen Bildlichkeiten und
visuellen Perspektiven globalisierter Bildproduktion wie auch die
verdichteten, vervielfältigten und beschleunigten
Austauschbeziehungen, die sich hinter diesen Bildern verbergen? Welche
Rolle spielen für kulturelle Transferbilder Konzepte, die sich
kulturwissenschaftlich mit Transfers und Vermischungen verbinden -
etwa Synkretismus, Patchwork, Fusion, Mixing, Mestizisierung,
Kreolisierung Inwieweit wird eine neue Terminologie für die Analyse
von Bild-Kulturen benötigt, in denen Originalität, Authentizität,
Provenienz u. ä. keine originären Werte und Bezugsgrößen mehr sind?
Erscheint am Horizont zukünftiger Welt-(Bild-)Kultur eine
Bildwissenschaft, die sich systematisch auf Hybridität, Ambiguität,
Interferenz, Resonanz, Anamorphose, Montage oder Puzzles bezieht? Oder
müssen Bildsemiotiken gar grundlegend neu formuliert werden - als
»cultural relations« vor dem Horizont dialogischer Methodologien?

Vom 9. bis 11. Juni veranstaltet die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe
Bildkulturen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
zum fünften Mal ein »Junges Forum für Bildwissenschaft«. Die Tagung
»IMAGE MATCH: Visueller Transfer, »imagescapes« und Intervisualität in
globalen Bild-Kulturen« richtet sich insbesondere an
Postdoktorand/innen und Doktorand/innen der Geistes-, Sozial- und
Naturwissen-schaften. Sie soll Gelegenheit geben, die im Call for
Papers formulierten Fragen aus einer dezidiert interdisziplinären
Perspektive zu diskutieren.

Mit der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Bildkulturen erforscht die
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften mithilfe eines
ganzen Spektrums von akademischen Disziplinen - von der
Kunstgeschichte und Archäologie über Philosophie und Ethnologie,
Japanologie und Sinologie, Ägyptologie und Theologie bis hin zu
Mathematik, Biologie und Informatik - Phänomene transkultureller
Bildkulturen in einer zunehmend globalisierten Bildwelt.

Erbeten sind an die unten angegebene E-Mail-Adresse ein kurzes, nicht
mehr als einseitiges Abstract für eine halbstündige Präsentation sowie
ein knapper Lebenslauf mit Stichworten zu den Forschungsinteressen.
Stichtag der Einsendung ist Sonntag, der 18. April 2010. Eine
Publikation der Tagungsbeiträge wird erwogen. Die Erstattung von
Reise- und Übernachtungskosten ist voraussichtlich möglich.

Einsendungen bitte an: bildwissenschaft at bbaw.de (Stichwort: Junges Forum)

Für weitere Informationen zur Interdisziplinären Arbeitsgruppe
Bildkulturen und zu den Tagungen sowie Publikationen des »Jungen
Forums« in den Jahren 2006, 2007, 2008 und 2009 siehe
www.bbaw.de/bbaw/Forschung/Forschungsprojekte/Bildkulturen/

Wissenschaftliche Konzeption und Organisation:
Dr. des. Martina Baleva, Dr. Ingeborg Reichle und Oliver Lerone
Schultz, M. A.

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Bildkulturen
Jägerstraße 22/23
D - 10117 Berlin