[spectre] Kleine 'Korrektur' der Kunstgeschichte (Living in Time:China)

Ruine der Kuenste Berlin ruine-kuenste.berlin@snafu.de
Tue, 18 Sep 2001 15:57:31 +0200


Für an Medienkunst und Kunstgeschichte Chinas Interessierte.
Es gibt keine Geschichte, es gibt nur Geschichten.
Wie Geschichte aus Geschichten gemacht wird, indem mehr oder weniger bewusst
Weniger oder Mehr, Eigenes oder Gehörtes... erzählt werden, wissen wir alle.
Trotzdem einigt man sich irgendwann unterschwellig darauf, eine der
Geschichten zu glauben,die anderen zu vergessen, baut darauf den 'Gang der
Geschichte' (wie auf Sand) auf... Wir sind nicht fürs
Später-die-Geschichte-Einstürzen-Lassen, darum lieber gleich hier eine
kleine 'Korrektur' der westlichen Rezeption der Kunst des heutigen China IN
BERLIN, falls es noch nicht zu spät ist.
Was z..B.heute im Hamburger Bahnhof bei der Pressekonferenz zur Ausstellung
Chinesischer Gegenwartskunst LIVING IN TIME nicht ansatzweise erwähnt wurde:

Die im sehr roten China lebenden Künstler der 80er Jahre (weiter wollen wir
erst mal nicht zurückgehen) hatten absolut keine Chance ihre Experimente
ausser im eigenen Atelier oder für einen oder zwei Tage als Exotika an der
eigenen Kunstakademie, ungefragt und darum oft am gleichen Tag wieder
unfreiwillig beendet, zu zeigen. Aber es gab sie natürlich. Da kam nämlich
ein chinesicher Künstler mit einem DAAD-Stipendium nach Berlin und sprach
von ihnen, nicht gleich, aber immer intensiver und stellte mir sie vor,
einen nach dem anderen,( weil ich seit 1985 in China, aber mehr noch in
Tibet arbeitete und mich die Künstlerfreunde dort interessierten.) Diesem
Künstler ZHU JINSHI gebührt alle Ehre. Schon 1989 stellten wir in der Ruine
der Künste Berlin die ersten vor, die Zhu schätzte, ihn selber erst 1991.
Dann holte er 1992 alle im Exil lebenden zur Gründung eines KONZEPT MUSEUMS
der zeitgenössischen Künste  Chinas (im Exil) in die Ruine,(und wir hatten
auch mal die Idee einer RUINE DER KÜNSTE PEKING zu gründen) über 30,
inzwischen weltweit bekannte bildende und Literaten ( Gu Wenda,, Ma Kelu,
Yang Peiming, Yang Yiechang, Zhang Jiangmin, Kung Changan, Ren Rong, Gu
Ching, Xie Ye ..) (später auch Bei Dao und Gao Xingjiang) und über 150 Gäste
kamen dazu ins Haus, wir diskutierten das virtuelle Museum im Exil, bis die
Elektrizität zusammenbrach, weil in der Küche Unmengen an Teigtaschen
gekocht wurden, und dann bei Kerzenlicht weiter. Der Diskussionsleiter war
der jetzige (Haupt-)Kurator Hou Hanru der Ausstellung im Hamburger Bahnhof.
Ich hatte ihn 1990 in der Akademie der Künste Peking (dem
kunstgeschichtlichen Forschungsinstitut, nicht der Studentenakademie)
schätzen gelernt, als er meinen Vortrag  über die Ruine der Künste Berlin
einfühlsam simultan übersetzte.Während einer Gastprofessur an der Hangzhou
University 1990 hatte ich Zhang Peili und andere dort  kennengelernt.
Es folgten in der Ruine Ausstellungen und Lesungen z.B.:
Lichtfluss 1992 in Zusammenarbeit mit dem DAAD, mit Rolf Julius/Timo
Kahlen/Zhu Jinshi/Xin Yufen-Reinhold Schneider/Chen Kaige/ Elke Erb und Yang
Liang. 1994 zu meiner Ausstellung in der Zhao Yao Galerie in Peking
entstanden die Freundschaften mit Yin Xiuzhen, Song Dong und Gu Dexin, Wei
Wei..., 1996 anlässlich meiner Einzelausstellung im Pekinger Kunstmuseum die
vielen weiteren zu neuen Künstlern. 1998 zeigten wir daraufhin in der Ruine
die erste Einzelausstellung überhaupt von Yin Xiuzhen, ihr Beton-Esstisch in
unserem Ruinegarten, der die Einschusslöcher der Fassade spiegelt, und eine
von uns edierte Photographik einer Installation in Tibet, machten sie
weltweit bekannt, dann Song Dongs Video-Installation als erste
Einzelausstellung ausserhalb Chinas, dann Huang Rui, der schon in den frühen
Achtzigern zur verfolgten Gruppe Star gehört hatte und darum heute noch in
Japan im Exil leben muss.
Eine grössere Zahl der heute im Hamburger Bahnhof Versammelten stehen mit
der RUINE DER KÜNSTE seit Jahren im engen Kontakt. Genannt werden bei
Pressekonferenzen aber eher andere, die heute auf dem von ZHU und der
gemeinützigen RUINE DER KÜNSTE BERLIN bereiteten Boden (nicht nur) ernten,
als die Idealisten, die die Initialzündung ausgelöst haben. Dank sei darum
erst mal Zhu Jinshi, sein Name wird sicher heute abend zu erwähnen
vergessen. Darum tun wir das hier.
Nicht uninteressant die Hintergründe, oder?!
Wer wesentlich mehr über chinesische, tibetische, mongolische und
taiwanesische Künste und Aktivitäten und solche, die aktiv daran arbeiten,
wissen möchte, kann das bei der RUINE DER KÜNSTE BERLIN tun
ruine-kuenste.berlin@snafu.de
http://home.snafu.de/ruine-kuenste.berlin
Übrigens heute abend Eröffnung im Hamburger Bahnhof gegen 19 h
Gruss Wolf Kahlen