[buug-l] "top down" vs. "bottom up" bei Freie Software-Migrationen
Alexander Stielau
aleks at oerks.de
Don Feb 26 10:10:44 CET 2004
Am Wed, Feb 25, 2004 at 11:21:18PM +0100 schrieb Florian Cramer:
> IMHO funktionieren Migrationen auf freie Software dann nicht, wenn sie
> top-down beschlossen statt bottom-up implementiert werden, und vor allem
> dann, wenn die Entscheider keine Techniker sind und keinen Überblick
> über Ihre IT-Landschaft haben.
Unsere (Linux Information Systems AG :-) Erfahrungen an diesem Punkt
sind sehr gemischt. Trotzdem ist das folgende meine private Meinung,
nicht die meines Arbeitgebers!
Bundeskartellamt
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Beim Bundeskartellamt war die Umstellung der Serverlandschaft aus meiner
persönlichen Sicht eine politische Entscheidung im eigenen Hause, um einen
unliebsamen, sehr mächtigen Mitarbeiter und wirklichen Windows-Wizard zu
entmachten. Diese Entscheidung hat nicht wirklich die IT-Leitung
getroffen, sondern wahrscheinlich die Gegenspieler eine Etage tiefer -
durch das Angebot des BSIs, Pilotmigrationen zu finanzieren, wurde es
möglich, dies der IT-Leitung auch als 'wir sind vorne dabei' zu verkaufen.
Leider haben die Jungs sich dabei tierisch geschnitten, denn der
Windows-Wizard ist dort ganz offensichtlich der einzige, der eine
fundierte klassische Unix-Ausbildung hat und mit dem Rempel, den wir
dort aufgebaut haben, gut umgehen kann.
Die Umstellung auf neue Administrationstools wurde in der Tat sehr
widerwillig betrachtet, weil diese augenscheinlich erstmal nicht den
gleichen Komfort boten, wie der Windowsbenutzermanager - was natürlich
bei jeden neuen Werkzeug der Fall ist und nix mit Freier Software zu tun
hat.
Die Migration ist dort technisch geglückt, die Systeme rennen, aber die
Einstellung der Administratoren gegenüber den Kisten hat sich nicht
wirklich unixalike: Es gibt keine vorbeugende Wartung, sondern nur
Geschrei, wenn mal irgendwas nicht geht (weil zum Beispiel ne Platte
vollgelaufen ist).
Der vorhandene Supportvertrag wurde kaum genutzt, um z.B. eigenes Wissen
aufzubauen und zu erproben - was wir mehrfach ausdrücklich angeboten
hatten - die Stunden dafür waren ja eh bezahlt.
Schon während der Schulungsphase war das Interesse der Admins sehr
unterschiedlich, einer ist z.B. regelmäßig eingeschlafen (kein Witz).
Tenor war: Wir sind so überlastet, wie soll das nur alles in unsere
kleinen Hirne, und wozu brauchen wir eine Komandozeile?
Die Frage ist, ob man dies als gelungene Migration bezeichnen kann -
technisch ist sie das sicher, aber reicht das aus?
Bayr. Oberster Rechnungshof
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Scheint andersrum zu laufen (läuft gerade noch, keine abschliessende
Bewertung).
Die IT-Landschaft vor Ort ist kompetent und will vor allem aus
technischen Gründen die Umstellung, der Präsi will sie aber auch sehr
massiv, um den bayrischen Institutionen, die begutachtet werden, zu
zeigen, das dies geht und Kosten spart.
Die Migration erfolgt von Novell auf Linux und ist in diesem Projekt
ebenfalls auf die Serverlandschaft beschränkt, hat aber eine starke
Option, auch Desktops umzustellen.
Die IT scheint Unix-Knowhow zu haben und hat auch genaue Vorstellungen,
wie es funktionieren soll - sie brauchen einen Dienstleister, um z.B.
Samba/ldap richtig ausreizen zu können und sicher auch, um ihren eigenen
Hintern aus der Schlinge zu ziehen.
Andere Behörden / öffentliche Einrichtungen will ich hier mal nicht
nennen.
Das oben spricht erstmal für Florians These - wobei ein großer Teil des
Gegenwindes nicht von den Admins kommt, sondern witzigerweise von den
Usern, und das auch, wenn die Desktops nicht angefasst werden.
Die Angst vor Veränderung und des Verlierens von Geheimwissen (ggü. den
Kollegen) ist bei Usern wie Admins sehr deutlich spürbar.
Die IT-Leitung im BKartA ist aus meiner Sicht von den eigenen Admins
mit niederen Motiven überrumpelt worden, es hat jemand anderes bezahlt,
und es gab die Chance, sich innerhalb der Bundesbehörden mit dem 'wo wir
sind, ist vorne'-Sticker zu schmücken, ohne wirklich etwas tun zu müssen -
wer würde da nicht migrieren?
Die IT-Leitung dort hatte aus technischer Sicht eher keinen Plan
Ich glaube, das man auch eine politisch gewollte Migration
erfolgreich durchführen kann, wenn man auf diese Befindlichkeiten
achtet und z.B. permanent transparent macht, was und warum dort was
geschieht.
Das Problem bei politisch gewollten Migrationen ist sicher auch, das die
IT-Abteilungen sich da schnell Pest & Cholera ins Boot holen (also
beispielsweise T-Systems und IBM), die solche Aufträge nach Schema-F
abfackeln, will sagen, die bei der Erstellung des Pflichtenheftes davon
ausgehen, daß sie kompetente und den Umgang mit Industrieconsultants
(ja, mkr, das ist ein Schimpfwort) gewohnte Gegenüber haben.
Das (dann oft unzureichende) Pflichtenheft wird dann stumpf
abgearbeitet, eine Änderung ist nicht möglich, lieber läst man sich
verklagen. Dadurch hat man dann eine Migration, die das tut, was im
Pflichtenheft steht, die aber nicht das abbildet, was man haben wollte.
Damit ist dann auch keiner zufrieden und das schadet dem Image von
Freier Software natürlich.
In der Wirtschaft sieht die Sache allerdings anders aus, schon die
IT-Abteilungen sind aus anderem Holz geschnitzt - wenn da mal was 4
Stunden nicht geht, bekommen die richtig Druck von oben und von unten.
D.h., das Interesse an einer funktionieren IT-Landschaft ist ein völlig
anderes.
Die Umstellung auf neues wird dort viel weniger Beharrung entgegen
gesetzt, auch aus den Reihen der normalen Mitarbeiter.
Allerdings ist es der Wirtschaft zumindest in verantwortlichen
Positionen total schnurz, ob die Produktion/Verwaltung/wasauchimmer mit
VMS oder NT oder Linux läuft, hauptsache, sie läuft.
Eine entsprechende Entscheidung wird erst dann kritisiert und
hinterfragt, wenn sie sichtbar nicht die Erwartungen erfüllt.
> Die Frage ist, ob man dieses Thema in dieser Form auch auf den nächsten
> Wizards of OS diskutieren sollte, - also im Extremfall mit einem Podium,
> auf dem "bottom up"-Praktiker den "top down"-Theoretikern kräftig in die
> Suppe spucken...
Wenn Du entsprechende Leute in die Finger bekommst, fände ich das gut.
Ich fände auch (latürnich überhaupt nicht aus privaten Motiven) eine Einladung
von Christel als Referentin zum Thema "Migrationen in der öffentlichen
Verwaltung - ein Rückblick" gut.
>
*urgs* mein Scheffe will, das ich arbeite.
Später mehr.
Aleks
--
Wenn Sie mich suchen, ich halte mich in der Nähe des Wahnsinns auf, genauer
gesagt auf der schmalen Linie zwischen Wahnsinn und Panik, gleich um die
Ecke von Todesangst, nicht weit weg von Irrwitz und Idiotie!
Bernd -- Brot und Endzeitphilosoph im KiKa