[rohrpost] Datenbank der virtuellen Kunst

Rudolf Frieling Rudolf Frieling <frieling@zkm.de>
Wed, 16 Feb 2000 14:57:31 +0100


Liebe "Kompetenz"-KollegInnen,

als einer der am ZKM insbesondere in bezug auf Archivierung,
Dokumentation und Recherche Verantwortlichen freue ich mich sowohl =FCber
die Initiative der Humboldt-Uni als auch =FCber die rege Diskussion.
Netterweise von Inke Arns "aufgefordert", will ich hier auch aus der
kuratorischen bzw. "Museums"-Sicht kommentieren.
Ich gestehe, dass ich aus dem ganzen Hin- und Herposten (incl.
emotionalem Feedback und eingestandener Missverst=E4ndnisse) nicht so
recht schlau geworden bin, die Einw=FCrfe von Florian Cramer  erscheinen
mir jedoch aus technischer Sicht notwendig
f=FCr eine Diskussion. Gleichzeitig stelle ich erfreut fest, dass paralle=
l

und unabh=E4ngig voneinander verschiedene Projekte starten oder schon
laufen, die sich der Thematik widmen und pl=E4diere einfach daf=FCr, hier
auch =FCber diese Liste Kooperationsmodelle zu entwickeln - zwischen CAT,
Humboldt-Uni, HGB (verybusy.org) und dem ZKM gibt es viele
Gemeinsamkeiten. Ich versuche daher mal aus meiner Sicht zu res=FCmieren:

1. Es gibt ein HU-Forschungsprojekt, dessen Hintergrund und Kontext
zumindest dem nicht-universit=E4ren Experten nicht erkennbar ist (der
Hinweis, erstmal die Hausaufgaben zu machen und die entsprechenden
vorliegenden Publikationen zu studieren, um mitreden zu d=FCrfen, halte
ich f=FCr wenig produktiv). Hier w=FCrde eine schlichte Mail mit den
Literaturhinweisen helfen.

2. Das DFG-Projekt bezieht sich dezidiert auf "virtuelle Kunst" und
schlie=DFt damit ebenso dezidiert die Netzkunst aus. Ein Grund daf=FCr is=
t
mir
nicht ersichtlich. Der Hinweis auf die bereits arbeitende Institution
ZKM, die ja von einigen geradezu als Inbegriff genau dieser "virtuellen
Kunst" kritisiert wurde, ist schon gemacht worden. Zu behaupten, dass
Museen dies bisher nicht "systematisch" gesammelt und dokumentiert
haben, ist zumindest f=FCr das ZKM nicht zutreffend (auch wenn nat=FCrlic=
h
immer eine mangelnde Systematik grunds=E4tzlich einklagbar ist). Den
Forschungsschwerpunkt auf einen Teil der Medienkunst zu richten, halte
ich f=FCr wenig ergiebig, ohne dass damit gemeint sein kann, dass man
"alles" sammeln
oder dokumentieren muss. Aber aus meiner Sicht sind gerade Zusammenh=E4ng=
e

und Querverbindungen wichtig. Also "telematisch" sollte auch das Netz
beinhalten und nicht nur stand-alone Installationen. (wenn es allein um
Immersion gehen soll, ist das sicher spannend, h=E4tte aber wohl kaum den
Anspruch einer umfassenden Datenbank)

3. Ich halte in jedem Fall den Ansatz f=FCr wichtig, dokumentarische
Arbeit zu leisten, und zwar jetzt. Dies liegt sicherlich auch im
Interesse des ZKM, und wir versuchen ebenfalls, erste Schritte in diese
Richtung zu unternehmen (siehe die von Inke bereits zitierte
Publikationsreihe). Gerade aus meiner Arbeit w=FCrde ich Tilman
Baumg=E4rtels Hinweis auf die Schwierigkeiten der Materialsammlung voll
unterst=FCtzen, zumindest in dem angestrebten "systematischen" Sinn. Die
Recherche in bezug auf ca. 200 K=FCnstler und auf ein vielfaches an
zus=E4tzlichen Rechteinhabern und Informanten hat uns bei der CD-ROM
"Medien Kunst Interaktion" 18 Monate gekostet - und das ist bei weitem
nicht eine vollst=E4ndige Datenbank, sondern ein erster Querschnitt.

4. Ich sehe ebenfalls nicht die Notwendigkeit, aus wissenschaftlicher
Sicht eine Sammlung aufzubauen. Eine Sammlung definiert sich ja gerade
durch eine bestimmte kuratorische (oder pers=F6nliche) Auswahl. Was also
f=E4llt unter die Kategorie "virtuelle Kunst"? Geht es hier um einen
Service f=FCr die K=FCnstlerInnen? Mein Interesse an einer Kooperation w=E4=
re
hier eher die exemplarische Forschung, n=E4mlich neue und effektive Tools
z.B. f=FCr eine Datenbank und eine Recherche zu bekommen. Wie lassen sich
Datenbanken f=FCr Medienkunst erstellen und dann vor allem neu und
sinnvoll darstellen?

5. Die Mailinglisten und Foren audiovisueller Archive sind voll mit der
Diskussion von technischen Handicaps und zuk=FCnftigen digitalen
Standards. Dies aus
dem Bereich der Akademiker wie auch Praktiker zu einem gemeinsamen
Problem zu machen, w=E4re interessant. Die problematische Konservierung
von Medienkunst ist kein neues Problem, neu ist allerdings das
grassierende Unwissen in bezug auf digitale Standards und ihre
Zukunftsaussichten. Eine Datenbank k=F6nnte auch hierzu Materialien
bereitstellen. Ich stelle mir so etwas vor wie ein Trouble Shooter....
(Der gerade von k=FCnstlerischer Seite oft obligatorische Hinweis auf den
prozessualen Charakter der Medienkunst sollte wie schon angemerkt eben
zu einer entsprechend sensiblen und intelligenten "Dokumentation"
f=FChren, nicht aber zum "Erhalt" dieser Kunstwerke - das w=E4re dann doc=
h
die origin=E4re Aufgabe des K=FCnstlers und/oder des Sammlers - der open
source einer interaktiven Installation ist nur f=FCr die eventuelle
museale Rekonstruktion eines Projekts von Interesse).

6. Bleibt schlie=DFlich das Problem noch jeder Datenbank - irgendjemand
muss das alles ja noch eintippen, einscannen, einspielen etc. und davor
muss dies systematisiert erfassbar gemacht worden sein. Ein oft
frustrierendes Sysiphos-Unterfangen, dass nur dann erfolgreich ist, wenn

es im gesetzten Rahmen konsequent nach einheitlichen Kriterien umgesetzt

wurde. Wenn ich an all die Kataloge zu Kongressen, Messen,
Medienausstellungen etc. denke, die mir die ewiggleichen unkritischen
Darstellungen von Projekten wiederabdrucken (ich =FCbertreibe bewu=DFt),
dann fehlt mir hier eher die kritische Auseinandersetzung mit
spezifischen Problemen der Produktion, Rezeption etc. - und nicht noch
mehr lose Materialsammlung. Also: ein Pl=E4doyer f=FCr eine spezifischere
Analyse dessen, was "wir" brauchen. Aus meiner Sicht: eine Datenbank,
die Verbindungen herstellt, altes Material erstmals in neue
Zusammenh=E4nge stellt, den Projekten entsprechende
(Audio-)Visualisierungen offeriert und nicht zuletzt eine Freude zum
Browsen sein soll.

In diesem Sinne
Gr=FCsse
Rudolf Frieling

Zentrum f=FCr Kunst und Medientechnologie
Mediathek
Lorenzstr. 19
76135 Karlsruhe
Tel. 0721-8100-1703/Fax-1709


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