[rohrpost] fwd:Italienische Filmemacher dokumentieren den G-8-Gipfel: Bericht bei 3sat

julia_lazarus@gmx.de julia_lazarus@gmx.de
Sat, 11 Aug 2001 15:36:57 +0200 (MEST)


http://www.3sat.de/kulturzeit.html


Die letzten Tage von Genua

Italienische Filmemacher dokumentieren den G- 8-Gipfel


Gipfel-Tiefpunkte

Separatistisch, nationalistisch, rechtsradikal

Genua im August: Die Straßen sind menschenleer, flirrende 
Hitze, die Luft lässt einen kaum atmen. Eigentlich wie immer. 
Doch diesmal ist irgendetwas schief gelaufen: Die Demonstranten 
blasen zum Sturm auf den G-8-Gipfel, und die Polizei will 
die Regierungschefs schützen - gegen die gefährlich schwarz
gekleideten Anarchisten. In den Augen der Globalisierungsgegner
aber sind die Politiker schon lange keine Entscheidungsträger 
mehr. Die wichtigen Entscheidungen treffen multinationale 
Industriekonzerne. Ein unglaublicher Zustand - auch für 
Carlo Giuliani.

Wut und Angst auf beiden Seiten. Die Stimmung ist aufgeheizt.
Plötzlich Panik, zwei Schüsse fallen und treffen Carlo 
Giuliani ins Gesicht. Die Sicherheitskräfte, so der 
italienische Innenminister später, hätten sich mit 
beispielhafter Würde verhalten. Doch Genua ist Gegenstand 
für die Untersuchungsrichter geworden. Auch weil die tatsächliche 
Abwesenheit des Rechtsstaates tausendfach gefilmt und 
fotografiert worden ist: vom Fernsehen, von Videofilmern 
und vom Cinema Italiano; von 36 Regisseuren und 28 Kamerateams. 
Einer davon, der Regisseur Citto Maselli, berichtet von 
seinen Erfahrungen: "Es war schrecklich. Noch während der 
ersten,der friedlichen Demonstration, konnten wir eine 
Szene drehen, wo Carabinieri ein Maschinengewehr auf das 
Dach ihres Einsatzwagens montierten - und das bei einem Fest".

Der erste Auftritt des neuen "Movimento", wie die 
friedlichen Globalisierungsgegner seit Seattle in Italien 
heißen, am 19. Juli: es geht bunt, vielfältig und lustig 
zu, die charmante Premiere einer ernstzunehmenden Minderheit. 
Alternative, katholische Pfarrer,Basisdemokraten gehören dazu. 
Der Filmemacher Ettore Scola erzählt zum Beispiel von 
französischen Kommunisten oder auch griechischen
Umweltschützern, die die "Black Blocks" als "Faschisten"
beschimpften. Das alles wollten die Regisseure des Cinema 
Italiano dokumentieren.

300 Stunden Bildmaterial
"Die Idee, den G-8-Gipfel zu filmen, hatte Citto Maselli",
berichtet der Produzent Mauro Berardi. "Es gelang ihm, alle 
italienischen Regisseure und Kameramänner zu begeistern, 
die an dieser Problematik interessiert sind. Sie waren 
sofort Feuer und Flamme. Und konnten es gar nicht erwarten,
mit den Dreharbeiten anzufangen. Wir hatten zum Beispiel 
Probleme mit der Unterbringung, aber alle passten sich 
den schwierigen Umständen an. Keiner zeigte irgendwelche 
Allüren oder war launisch, wie Regisseure das ja manchmal 
sind. Im Gegenteil, sie waren fast dankbar, als ob sie auf
einmal wieder jung geworden wären. Sie waren nicht zu 
bremsen und stürzten sich ins Getümmel."

Im Herbst soll der kollektive Film in die italienischen 
Kinos kommen, wenn es bis dahin gelingt, die knapp 300 Stunden 
Bildmaterial zu schneiden. "Ein Fest hätte es werden sollen, 
ein Fest, das wir mit unserem Film dokumentieren wollten", 
erklärt Regisseur Mario Balsamo die ursprünglichen Pläne. 
Er war sehr beeindruckt von der positiven Stimmung in Genua,
die überhaupt nicht idealistisch oder romantisch gewesen sei, 
sondern sehr konkret, mit klaren Ideen und Projekten. 
Und Vorschlägen, wie jeder im persönlichen Bereich an 
einer weltweiten Kampagne gegen die negativen Auswirkungen 
der Globalisierung mitwirken könne. Darin sieht er sogar ein
mögliches Ende von Politikverdrossenheit und Apathie. Doch 
mit der Eskalation der Gewalt änderten sich die Pläne: 
"Schon am 2. Tag unseres Aufenthaltes mussten wir unsere 
Filmidee radikal ändern", erinnert sich Ettore Scola. 
"Plötzlich waren wir mit einer ganz anderen Geschichte
konfrontiert. Wir hatten auf einmal zwei Handlungsstränge. 
Auf der einen Seite das 'Movimento', diese wunderbare neue 
Protest-Bewegung, und auf der anderen Seite die Gewalt. 
Eigentlich waren wir nach Genua gekommen, um eine Art 
Liebesfilm zu drehen, aber vor unseren Augen war aus einer
Liebesgeschichte auch eine Geschichte der Gewalt geworden."

Symbol der Repression
"Viva il Duce" oder "Uno due tre, viva Pinochet" lauteten die
zynischen Schlachtrufe der Polizei in den Kasernen. In Genua 
sollten sie nicht nur für Ordnung sorgen, sondern Angst und 
Schrecken verbreiten und vor den laufenden Kameras ihre 
unerbittliche Härte zur Schau stellen. "Der G-8-Gipfel", 
so Ettore Scola, "das war vielleicht der wichtigste Sieg der 
neuen Rechten. Es ist ihr gelungen, die Distanz zwischen der 
Polizei, die für Sicherheit sorgen sollte, und den jungen, 
jetzt endlich wieder politisch interessierten Menschen, 
in einen tiefen Abgrund zu verwandeln. Der Polizist wurde
wieder zum Symbol der Repression."

Unter den Tausenden der digitalen Kameras filmte eine die 
Szene, in der ein Zivilagent der italienischen Polizei 
in voller Aktion zu sehen ist.Den Ausschnitt speisten 
Dokumentaristen ins Internet ein. Dort findet man auch
unabhängige, unzensierte Informationen, auf die zum Beispiel 
auch die römische Tageszeitung "il manifesto" - unabhängig 
und links -zugreift. Der Journalist Valentino Parlato von 
"il manifesto" ist überzeugt, dass Italien ein heißer 
Herbst bevorsteht. Die italienische Regierung sei zwar
stark,aber nur im Parlament. In der Gesellschaft sei sie 
es nicht. Viele leere Versprechen der Regierung könnten 
leicht Massendemonstrationen auslösen:

"Wenn das Verhalten des Staates in Genua als Modell gelten 
kann,dann wird im politischen Handeln ein enormer Rechtsruck 
stattfinden."

Sommer in Rom, in Mailand, in Florenz, Bologna oder Neapel -
überall ist Genua. In den gesellschaftlichen Gegenbewegungen, 
zum Beispiel dem "Movimento", den Globalisierungsskeptikern, 
wird nachgedacht: über die Exzesse der Polizei, über die 
Politik der Berlusconi-Regierung und über Strategien, um sich 
vor Unterwanderungen und Instrumentalisierungen zu
schützen. Italien steht vor einer schwierigen Gratwanderung
zwischen politischen Forderungen und gesellschaftlichen 
Bedürfnissen.

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