[rohrpost] Niedergang von "Telepolis"
Tilman Baumgärtel
mail at tilmanbaumgaertel.net
Mon Nov 24 14:47:04 CET 2003
At 11:46 24.11.2003 +0100, you wrote:
>...die rohrpostalische telepolis-debatte - jetzt auch in der
>zeitschriftenhandlung ihres vertrauens. hmm.
>
>"[...]Es scheint, als würde ein allgemeineres Bezugnehmen auf das Netz
>einem tendenziell den Boden unter den Füßen wegziehen: Wenn die so
>genannte Netzkultur-Szene auf Rohrpost kritisiert, dass sie nicht mehr
>beim Online-Magazin Telepolis verhandelt wird, gibt es keine inhaltlichen
>Argumente, warum das eigene Erscheinen notwendig, zwingend sein könnte,
>sondern nur den Hinweis, dass die eigenen Projekte nicht mehr Thema sind,
>dass man selber nicht mehr schreiben darf: Eine Aufmerksamkeitsökonomie,
>die größtenteils auf einen selber gerichtet ist. Aber die Definitionsmacht
>darüber, was Netzkultur ist, liegt nicht mehr bei einer mehr oder weniger
>überschaubaren Gruppe Netzkritiker, sondern bei jedem dritten Jugendlichen
>[...]"
>alexis waltz, de:bug #76
>
>/wolfie
Nachdem ich den obigen Abschnitt dreimal gelesen habe, verstehe ich, glaube
ich, so ungefaehr, was er bedeutet. Wenn ich es richtig verstehe, dann sind
das einschlaegig bekannte, populistische Argumente, bzw. altbekannte
Animositaeten gegen Intellektuelle, die besser mal was gescheites arbeiten
gehen sollen statt immer bloss rumzuquatschen. Wenn "jeder dritte
Jugendliche" darueber entscheidet, was Netzkultur ist, dann entscheiden die
uebrigen Mitbuerger in Zukunft am besten auch darueber, was im Museum
gezeigt wird, was fuer Kultur gefoedert wird oder was an der Uni geforscht
wird. Dann ist das auch nicht immer so abgehoben.
Im uebrigen habe ich den "Netzdiskurs" auch nie als Gegensatz zu der
natuerwuechsigen, aus dem gesundenen Netzbuergerempfinden hervorquellenden
Orginal-Internetkultur verstanden, als der er hier romantisiert wird. Ich
habe das eine und das andere in einem eher komplementaeren Verhaeltnis
gesehen. Wenn es diese ganzen Netzphaenomene wie Linux, Mp3, Netzaktivismus
nicht gegeben haette, haette die "Netzkultur" auch nichts zu analysieren
gehabt, bzw: das ist ja eigentlich die Netzkultur. Gleichzeitig hat z.B.
gerade Linux stark davon profitiert, dass sich Intellektuelle die Muehe
gemacht haben, diese Aktivitaeten in einen groesseren
geistesgeschichtlichen Zusammenhang zu setzten und Lobby-Arbeit zu leisten,
die "jeder dritte Jugendliche" eher selten am EU-Parlament durchfuehrt.
Ich sehe die Debatte ueber solche Phaenomene jedenfalls ungern auf
Download-Tips, Linklisten und Diskussion von Details des Linux-Kernels
beschraenkt. Leider besteht in den deutschen Medien und namentlich dem
Feuilleton derzeit kaum Interesse an diesen Themen, und das war wohl auch
der Ausloeser fuer die ganze Debatte. (Die De:Bug ist da eigentlich eine
ruehmliche Ausnahme, deswegen wundere ich mich, dass ausgerechnet von da
solche Stammtisch-Argumente kommen.)
Die Telepolis-Leser scheinen jedenfalls mit dem derzeitigen Themen-Mix ganz
zufrieden zu sein. Die Telepolis hat ja kuerzlich eine Umfrage gemacht, und
da wurde sie eigentlich in ihrer Themensetzung bestaetigt. "Netzkultur"
wuenschten sich uebrigens immerhin auch fasst 10 Prozent der Leser.
Gruesse,
T.
PS: Dass es im Bereich der selbsternannten Netzkritik auch viel
unertraegliches Gelaber gegeben hat, sei mal dahin gestellt. Aber da
muesste man aber konkrete Beispiele diskutieren. Die Idee, aus
europaeischer Perspektive diesen US-Cyberhype etwas entgegen zu setzen,
hatte aber schon ihre Richtigkeit....