[rohrpost] "Meine Filme sind banale Tatsachen digitalen
Zeitgeschehens"
draschan thomas
scum at blogwar.org
Fre Aug 13 16:41:34 CEST 2004
Die visuellen Medien explodieren. In der hochtechnisierten Kultur
werden Informationen durch Bilder übertragen. Der Bilderkosmos der uns
umgibt, wird dabei immer dichter. Da verliert mancher den Überblick und
die Erdung zum "wahren Leben". Aber es gibt auch erfreuliche
Überraschungen.
Die junge Videokünstlerin Beate Friedhelm ist ein Voyeur. Im Gespräch
betont sie, dass sie es für wichtig hält, etwas vom Leben mitzubekommen
und es zu gestalten. Sie arbeitet nicht im Studio und bevorzugt
Lichtquellen, die in jedem Haushalt zu finden sind. Beate Friedhelm
entdeckt dabei neue Welten und nimmt sich die Freiheit, diese direkt
und unverschnörkelt abzubilden.
Geprägt vom Züricher Nachtleben, vermeidet sie bewusst abgeklärte
Statements über die Clubkultur dieser Stadt. Dennoch ist diese Welt in
ihren Filmen zu spüren. Wie die Geräuschkulisse, die den narrativen
Soundtrack zu ihren Clips bildet, ist ihr Blick mit dem Körper des
gefilmten Gegenstandes verbunden. Ihre Bilder wären nicht denkbar ohne
die Erfahrung der transurbanen Lebensweise, die sie als visuellen Code
benutzt.
Für Beate Friedhelm ist kein Ding zu gering, um gefilmt zu werden. Sie
ist in seinem künstlerischen Ausdruck frei. In der aktuellen
politischen Landschaft, die arrogant, kriminell und ohne Moral
daherkommt, setzt sie ihre eigene Definition einer "wahren Welt"
dagegen. Beate Friedhelm filmt mit einer handelsüblichen Videokamera
aus extremen Perspektiven heraus. Viele der Effekte werden erst durch
die nachträgliche Bearbeitung erreicht. Für ihre ungewöhnlichen
Arrangements wird z.B. durch Glasfenster hindurch gefilmt. Weiterhin
arbeitet sie mit Projektionen, die auf den zu filmenden Gegenstand
gerichtet sind. Diese "Reflexionen" sind ein Spiegel, durch den wir uns
selber sehen. Ohne sie können wir keine sinnvollen Entscheidungen
treffen.
Durch die Geste der Filmemacherin präsentiert sich Beate Friedhelm
nicht als passives Objekt. Für "Normas Pictures" war es ausschlaggebend
für das Zustandekommen der Internet-Präsenz, dass sie das aktive
Subjekt wiederspiegelt. "Solche Spiegel müssen – sofern sie existieren
– die Kontrolle nicht nur über den Filmemacher, sondern auch über die
Geste des Filmschaffens selbst gestalten. Die Selbstbeherrschung ist
eine andere Form der Freiheit." So der Philosoph Vilém Flusser in
seinem Buch "Gestern". "Der Moment", führt er weiter aus, "da der
Fotograf aufhört, in den reflektierenden Spiegel (sei er real oder
imaginär) zu schauen, ist der Augenblick, in dem sein Bild symbolisiert
wird. Wenn er zu früh aufhört, wird signifikante Kette unterbrochen
sein. Hört er zu spät auf, wird das Bild verworren und ohne Interesse
sein. Es wird durchdringend und enthüllend sein, wenn der, der die
Kamera führt, einen guten Moment gewählt hat, um seine Reflexion über
sich selbst abzubrechen."
Das ist zwar etwas unscharf formuliert, denn eigenlich haben die Bilder
nicht zu einer Bedeutungsverscheibung des Obszönen in den Medien
geführt, sondern eine – vorsätzlich – verschobene Besetzung des
Begriffs der Obszönität in den Medien hat zur Kontextualisierung von
primär ausschliszlich kontemplativem Bildmaterial geführt. Stellen Sie
sich vor; hätte Roland Barthes das Bild von der amerikanischen
Militäpolizistin mit Kippe und dem nackten Araber in seinen Mythen
beschreiben müssen: die moralisch-ethische Begriffsebene wird erst
durch die Erhebung der strukturellen Signifikanz jener Abbildung in den
Stand des Mythos betreten, was eben der Ohnmacht entspringt, die den
Betrachter umhüllt, wird er gewahr, dass das Gezeigte keine Neuigkeit
im Sinne einer Steigerung innerhalb besetzter Qualitätsmerkmale ist,
sondern nur im plötzlichen Bewusstseinwerden sich zeigen kann, dass es
sich nicht um Fiktion handelt. Das ist pervers, die Möglichkeit dieser
Fiktion ist signifikant pervers, die Möglichkeit der Möglichkeit und
die deduktive Betroffenheit selbst sind pervers. Das muss jedoch der
Betrachter – und der Medien-Gestalter, der die Bilder zeigt und
dementsprechend konnotiert, ist immer nur Betrachter – verschleiern, um
diesen Rest zu bewahren, auf dem sich seine Subjektivation gründet: im
durchgang der Nachträglichkeit, die jener Metonymie vom perversen
Subjekt zur kontingenten Obszönität der Objektbesetzung zugrunde liegt.
Durch das Öffentlichmachen ihrer Filme im Netz, gibt sie der
"chemischen Generation" der vielen ehemaligen 16mm-Filmer unserer
Kunsthochschulen eine spannende Privatlektüre in die Hand. Im Gegensatz
zu den Chronisten des Nachtlebens Anfang der neunziger Jahre, die mit
ihren "Modellen" die jeweilige Situation durchlebten, ist für Beate
Friedhelm das interessant, was die Modelle sehen. Friedhelm ist auf der
Suche nach dem Gegenstand des selbstbewusst verklärten Blicks dieser
Epoche, wie z.B. Matthias Weiß ihn im Rahmen des Netzkunstprojekts "Der
Reisende" festgehalten hat. Es ist eine Suche nach der verlorenen
angehaltenen Zeit – und gleichzeitig die Antwort einer selbstbewussten
jungen Frau, die den Gesichtern, die inzwischen von den Zeitschriften
und der Werbung unbarmherzig totgefilmt worden sind, keinen Glauben
mehr schenkt.
Aktuelle Arbeit:
http://designerziehung.de/spasskultur.mov
Weitere Filme von Beate Friedhelm finden Sie hier:
http://pingelfraaten.de
Title: Normas Pictures
Keywords: identity, live, machine, marginality, net art, privacy,
public space, gender, underground, video
Genre: Documentary
Type: Video
This piece of net art concentrates 1-year view upon working in
Switzerland. It's a contemplative moving pictures
documentation about all the 30ies generation of artists and
financial employees. Needs Quicktime for viewing.