[rohrpost] Offener Brief an Dirk Baecker (Microsoft Studie
betreffend)
Till von Heiseler
Till_N_v_Heiseler at web.de
Fre Jul 16 19:41:29 CEST 2004
Offener Brief an Dirk Baecker
Dirk Baecker, der sich in den letzten Jahrenzehnten durch Publikationen im Merve Verlag und durch Auftritte u.a. bei der ars electronica hervorgetan hat, hat nun eine Studie für Microsoft verfasst, in der er u.a. härtere Strafen fordert und davon ausgeht, dass es kein Unternehmen hinnehmen könne, dass die von ihm lizensierte Software ohne Lizenzerwerb kopiert wird. Die Studie ist unter http://www.microsoft.com/germany/digital-mentality/publikationen.mspx herunterladbar. Auch heise.de berichtete über diese Studie. http://www.heise.de/newsticker/meldung/48907
Ich hoffe nun, dass der folgende Brief einen weiteren Diskurs anregen wird.
Die u.U. erbaulichen Fußnoten sind nur in der pdf zu lesen.
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Baecker,
Pit Schultz schlug vor, Sie zur Rede zu stellen. Äh --- das ist ein schlechter Anfang, ich beginne von vorn:
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Baecker,
nun haben Sie sich doch ein wenig vergaloppiert mit Ihrer Studie für Microsoft! ---- auch nicht so gut, ich beginne ein drittes Mal:
Sehr geehrter Herr Professor, lieber Dirk Baecker!
Vorneweg: Ich muss sagen, ich mag Sie persönlich, ich schätze Ihren Geist und Ihre Scharfsinnigkeit, aber beides ist nutzlos, wenn Sie von den falschen Grundlagen ausgehen .
Sie haben nun eine Studie für Microsoft verfasst, die man in vielerlei Hinsicht als erbärmlich bezeichnen könnte. Einerseits könnte man folgendermaßen argumentieren: „Als Soziologe müssten Sie eigentlich die Fähigkeit haben, kritisch zu denken, d.h. immer auch gegen die eigenen Positionen anzudenken. Wenn man eine Studie über Raubkopien anfertigt, muss man zunächst einmal überprüfen, ob die Unterscheidung zwischen ‚Recht’ und ‚Unrecht’, die das Wort ‚Raub’ impliziert, selbst recht oder unrecht ist. Wenn Sie nun aus Angst, den Anforderungen Ihres Auftraggebers nicht zu genügen und geistig zu versagen, diese Unterscheidung von ‚Recht’ und ‚Unrecht’ nicht auf Recht und Unrecht prüfen, verbietet sich jede ethische Argumentation (und damit Begriffe wie ‚Ehrlichkeit’ und ‚Digital Honesty’).“ – Wenn wir diesen Gedanken weiterverfolgten, würde dies eher auf einen philosophischen Diskurs hinauslaufen, den wir hier zunächst zurückstellen wollen.
Die andere Argumentation wäre, dass mit Ihrem weitgehend unreflektierten Festhalten an der Unterscheidung von „Recht“ und „Unrecht“ nicht einmal Ihrem Auftraggeber gedient sein kann. Diese Unterscheidung muss, wenn man für ein Unternehmen arbeitet, immer mit der Leitdifferenz des Profits behandelt werden.
Konkret gesprochen, gehen wir davon aus, dass Softwaregesetze eine neue Form von Gesetzen darstellen, die nicht mehr mit Ihrem Einhalten rechnen, sondern sich radikal als funktionale Rechtsprechung verstehen. Das wird empirisch evident, indem man die Zahlen der so genannten „Raubkopierer“ betrachtet. Software-Copyright-Gesetze sind operative Gesetze, die mit ihrer Übertretung rechnen. Die großen Softwareunternehmen kalkulieren in ihre Produkt- und Preispolitik diese Grauzone schon mit ein. Dieses Einkalkulierern könnte Aufgabe einer theoretischen Konzeption und Untersuchung sein. Die Konzerne stellen sich gar nicht mehr die Frage, was passieren würde, wenn alle, die das Programm nutzen, es kauften. Mit der Verwendung der alteuropäischen Unterscheidung von Perfektion und Korruption ist, unter den heutigen ökonomischen Bedingungen nicht mehr viel anzufangen.
Die neuen Formen des gesellschaftlichen Handelns, in denen sich Kommunikation und Anonymität nicht mehr ausschließen, basieren auf dem entscheidenden Unterschied digitaler und materieller Güter: Materielle Güter können nur hier ODER dort sein, sie sind Teil eines Nullsummenspiels, digitales Gut dagegen kann SOWOHL hier ALS AUCH dort sein. Von daher enttäuscht mich folgende Argumentation: „Der wirtschaftliche Schaden, entstanden allein durch den Einsatz unlizenzierter Software (...) in Deutschland“ sei auf soundso viele Millionen Euro zu beziffern. „Aus Sicht eines Softwareunternehmens kann es daher keine Verhaltensoption sein, Raubkopien als unangenehmes, aber ökonomisch nicht weiter relevantes Phänomen zu dulden.“ (p.10) Auf Seite 6 hieß es bereits: „Gelingt diese Durchsetzung trotz der eindeutigen Rechtslage nicht, kann es (...) keine Verhaltensoption sein, Raubkopien als unangenehmes Phänomen zu dulden, auch wenn es einige Softwareunternehmen gibt, die sich auf Grund ihres wirtschaftlichen Erfolgs eine solche Haltung zumindest kurzfristig leisten könnten.“ Auf Seite 27 schlagen Sie dann Ihre Lösung vor: „Zum einen muss das Sanktionierungspotenzial, also die Höhe der angedrohten Strafe, ausreichend sein, um die geforderte Verhaltensänderung zu rechtfertigen, und zum zweiten muss die Wahrscheinlichkeit, dass gesetzwidriges Verhalten im Einzelnen auch tatsächlich sanktioniert wird, hinreichend sein.“
Wenn ich in Ihrer Biografie lese, dass Sie Ökonomie studiert haben, dann muss ich mich wirklich wundern, wie naiv Sie in Ihrer Studie argumentieren. Da heißt es: „Die Software-Industrie sieht sich herausgefordert, in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für diesen Schaden durch das Phänomen Raubkopien zu schaffen“. Sie gehen davon aus, dass der „Schaden“, der daraus entsteht, dass eine bestimmte Person ein Programm kopiert, dem Kaufpreis des Programms entspreche. So als würde auf diese Weise ein knappes Gut vernichtet. Da sind die Softwareunternehmen in ihrer profit-orientierten Pragmatik weiter und abstrahieren einfach auf maximalen Gewinn. Und da gibt es eine ganz einfache Prämisse: Geld kann man nur daher bekommen, wo es vorhanden ist! Ein Hacker, der nicht für die Industrie arbeitet, würde die Programme, die er zum Spaß kopiert, sowieso nicht kaufen (können). Das Modell des Verlustes einer möglichen Zahlung greift hier also nicht. Wenn man die Situation ohne moralische Scheuklappen betrachtet, muss man sagen: Softwareunternehmen können nur da Geld verdienen, wo Geld und Zahlungsbereitschaft vorhanden sind. Im Gegensatz zum ersten Faktor (Geld) ist der zweite (Zahlungsbereitschaft) u.U. bearbeitbar.
Virtuelles Geld, das verloren geht, d.h. der Betrag, der aus der Differenz zwischen Kauf- und Raubkopie entsteht, ist an sich unbedeutsam. Es interessiert nur der Fall der konkreten Umsatzsteigerung und die Situation am Markt. Die erste Frage, die sich stellt, ist: Könnten die Personen, die zur Zeit Raubkopien machen, die Originale kaufen? (Der Raubkopierer also muss als potentieller Kunde gesehen werden, kommt aber nur als dieser in Betracht, wenn er Geld besitzt.) Wenn hier nicht genügend finanzielle Mittel vorhanden sind, braucht man sich über die Frage der Raubkopie nur noch dann den Kopf zu zerbrechen, wenn diese Gruppe für andere Personen kopiert (die im anderen Fall das Programm kaufen würden).
...Wenn man das Ganze vor dem Horizont einer National-Ökonomie betrachtet, würde übrigens auch kein „Schaden“ entstehen, wenn eine Person schwarz ein Programm brennt, statt es zu kaufen und dafür Essen geht und die Gastronomie ankurbelt, und damit eben nicht einem US-Amerikanischen Multi die Bilanzen verschönert, sondern entsprechende Arbeit in der Gastronomie mit ermöglicht.
Die erste Frage, die man sich bei so einer Studie stellen muss ist: Kann und soll die Firma das, was ihr als Problem erscheint, alleine lösen oder soll/muss aus ihrer Sicht das Problem „grundsätzlich“ gelöst werden? Die Fragen, die sich stellen, sind:
1) Welche konkreten Folgen hat die augenblickliche Praxis? Welches Geld entgeht der Firma (das muss es dann aber zumindest als Zahlungsfähigkeit geben)? 2) Wie entwickelt sich die Marktsituation und das Image durch die bestehende Praxis? 3) Was sind die positiven Auswirkungen von Raubkopie?
Grundsätzlich müssen die Personen in der Studie als Konsumenten verstanden werden. D.h. die erste Frage ist, wie viel Geld können die Personen für Software ausgeben? Mit der Beantwortung dieser Frage wird geklärt, inwieweit eine „Person“ in die Studie eingeht. Die Strategie kann sich aber nur auf die möglichen Kapitalflüsse beziehen und nicht auf Personen. Nicht die Person hat Gewicht, sondern das jeweilige Konsumpotential .
Wenn nun geklärt ist, wer welches Geld ausgeben würde, um gewisse Leistungen zu erhalten, müsste weiterhin geklärt werden, unter welchen Bedingungen dies geschehen könnte. Konkret: Wann tritt die Frage Kauf oder Raubkopie auf?
Diese Frage muss mindestens in folgenden Dimensionen erörtert werden:
Preispolitik
Technische und situative Möglichkeiten der Raubkopie
Gesetzgebung und Durchführung
Image der Firma
Es ist erstaunlich, dass das Rechtsempfinden in Ihrer Studie nicht differenziert wird. Rechtsempfinden kann nämlich zweierlei heißen: Es gibt einerseits das Empfinden: „Ja, das ist verboten, mein Gefühl für Gesetze und Staat sagt mir, das ist nicht legal und dafür gibt es möglicherweise Strafen“ und andererseits etwas, was man „Gewissen“ nennt. Der User empfindet hier sehr viel differenzierter als Sie, Herr Prof. Dr. Baecker, es vermögen aufzuzeigen. Er empfindet keine grundsätzliche Schuld, diese wäre vielleicht eher mit der Angst, erwischt zu werden, verbunden, sondern eine spezielle Schuld oder eben gar nichts. So wie man (wenn man nicht grundsätzlich religiös geprägt ist) gegenüber demjenigen, dem man etwas gestohlen hat, ein schlechtes Gewissen hat. Das heißt, während die Angst vor Strafe und das Empfinden für das Gesetz allen Firmen gegenüber gleich bleibt, variiert das persönliche Schuldgefühl gegenüber der jeweiligen Firma. Die Frage nach persönlichem Schuldempfinden ist also mit dem Image des Unternehmens verbunden.
Die Fragen, die sich daraus ergeben, wären:
1) Variiert das persönliche Gefühl beim Herstellen einer Raubkopie mit dem Unternehmen, das die Rechte lizenziert hat? (Interview)
2) Hat dieses Gefühl Handlungswirkungen? Also: Hat das Image der Firma konkrete Auswirkung auf die Entscheidung Raubkopie/Kauf? (empirische Untersuchung)
=> Weiterführende Studie: In welcher Weise müsste das Image ggf. verändert werden?
3) Welche Faktoren - Kaufkraft vorausgesetzt - bestimmen die Entscheidung zu Kauf oder Raubkopie ? (theoretische Überlegungen)
Grundsätzlich muss dieses Unterscheidungspaar Raubkopie/Kauf ins Zentrum einer solchen Untersuchung gestellt werden. Nur durch einen möglichen Kauf, also die Entscheidung für die Raubkopie bei finanziellen Ressourcen, geht dem Unternehmen Geld (das es einnehmen könnte) verloren.
Unsere Vermutung ist, dass das Gefühl mit dem Image wechselt, dass aber auf diese Weise eher die Dimension des Erlebens als die des Handelns berührt wird. Doch das müsste untersucht werden (Frage 2 und 3).
Zwei Punkte sind zentral:
Wo ist das Geld, das aufgrund von Raubkopien, nicht eingenommen werden kann?
Wie läuft der Entscheidungsprozess Kaufen/Raubkopieren im Einzelnen ab?
Dies alles nur aus der Perspektive des Unternehmens, für das Sie sich stark machen. Ehrlich gesagt, geht das Gerücht um, dass Sie Herr Prof. Dr. Baecker, eigentlich diese Studie anonym machen sollten, incognito und als Basisstrategie-Papier. Nun, so das Gerücht weiter, scheint aus Ihrer Studie nichts Rechtes geworden zu sein und der Konzern baut nun das gescheiterte wissenschaftliche Projekt in eine PR-Aktion um, in dessen Zentrum Sie stehen...
Noch einmal eine kleine Notiz zur Übereinstimmung von Recht und Intuition:
Sie beklagen in Ihrer Studie das „fehlende Rechtsbewusstsein“ (p.6) und meinen damit (indem Sie herrschendes Gesetz affirmieren), dass das allgemeine Bewusstsein von Recht nicht mit dem Ihren zusammenfällt: „Idealerweise stimmt ein Gesetz oder eine Verordnung mit dem intuitiven Rechtsempfinden überein.“ (p.27) Dieses Ideal sehen Sie wahrscheinlich in der Übereinstimmung des Gefühls gewisser politischer Kreise und den in der Wannseekonferenz beschlossen Judengesetzen verwirklicht, oder wie soll ich mir das vorstellen?
Der Fall völliger Übereinstimmung von intuitivem Rechtsempfinden und Recht ist die Verwirklichung einer Schönen Neuen Welt (Verbindungen ergeben sich zu dem, was Deleuze „Kontrollgesellschaft“ nennt). Dass Sie nun den viel misshandelten Begriff der Aufklärung in Ihren Mund nehmen und sagen: „Wo diese Übereinstimmung von intuitivem Rechtsempfinden und geltendem Recht nicht gegeben ist, braucht es A u f k l ä r u n g.“ ist eine Unappetitlichkeit, die ich mir schlicht verbitte.
Dass Sie dann auch noch vorschlagen, schon Schulkindern Ihre verqueren und antiquierten Vorstellungen von Recht und Unrecht einzutrichtern, ist glücklicherweise nur frommes Wunschdenken eines Anpassers, der nicht in Rechnung stellt, dass gerade Lehrer sich ihre Kritikfähigkeit bewahrt haben könnten.
Aber es gibt auch einen Lichtblick in Ihrer Studie, in der Sie von einem gemeinsamen Nenner fast aller Positionen sprechen, der darin bestehe, dass es eine Form von Investitionsschutz geben müsse. Die Frage, die sich nun stellt, ist, wie dieser Investitionsschutz gestaltet sein soll. Ob es möglich wäre, über die Ausgestaltung eines derartigen Investitionsschutzes gemeinsam nachdenken?
Unsere Position wäre:
1) Es muss mehr Geld für Software-Entwicklung zur Verfügung stehen.
2) Die Software selbst und ihre Kontribution müssen sozial verträglich sein. Dabei gehen wir von der Forderung nach allgemeiner Zugänglichkeit von Wissen als einem Grundrecht des Menschen aus. Dagegen hat eine Person, die vermittels Software Gewinne erzielt, natürlich die Verpflichtung, gewisse Gebühren zu zahlen.
=> Diese Differenz hat die Gema längst gezogen, indem sie dort Geld einfordert, wo ein gewerblicher Vorteil aus der Benutzung abgeleitet werden kann (Musik im Restaurant, kommerzielles Radio etc. ).
Die Forderung wäre: Alle Software müsste - solange damit kein Geld verdient wird - frei sein. Nur die professionellen Anwender müssen, idealerweise entsprechend ihres finanziellen Potentials, zahlen. Alle Privatpersonen und gemeinnützigen Vereine, Stiftungen und Non-profit-Kultureinrichtungen müssten Software unentgeltlich benutzen dürfen.
Das liefe auf Modelle hinaus, in denen die Software nach den Gewinnen bezahlt wird, die mit ihr gemacht werden. Sie würde dann als ausgeliehenes Produktionsmittel verstanden werden. Rechtlich könnte dann folgendermaßen argumentiert werden: Wenn jemand eine Software gewerblich benutzt und mit ihr Gewinne erwirtschaftet, ist es das Recht des Lizenzinhabers, in angemessener Weise am Gewinn teilzuhaben. Es ist also nicht damit getan, die Standardlizenz nachzuzahlen, sondern, da Gewinne mit etwas erwirtschaftet wurden, was jemand anderem gehört, kann dieser aufgrund fehlender Vereinbarung einen Teil des Gewinnes verlangen. Die Geldbuße würde sich also nach dem kommerziellen Nutzen und nicht nach dem Preis der Software richten. Da kein Lizenzvertrag zustande kam, befand sich die Software, mit der Geld verdient wurde, gar nicht als Produktionsgut im Unternehmen. Der Softwareanbieter kann also einen Anteil am Gewinn fordern, der mit Hilfe der Software erwirtschaftet wurde. Dieser Anteil müsste dann mit dem Spitzensteuersatz belegt werden, womit ein gewisser Anreiz für den Staat entstünde, Unternehmen nicht nur auf Einkünfte, sondern auch auf die verwendete Software zu prüfen. – dies nur als Vision...
Also, Herr Prof. Dr. Baecker, machen Sie keine Milchmädchenrechung, sondern versuchen Sie in Zukunft Ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden!Genüge zu tun! –
So viel zunächst von der Heimatformat.
Glück zu allen!
t.
[to be continued...]
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