[rohrpost] Offener Brief an Dirk Baecker (Microsoft Studie betreffend)

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Sam Jul 17 17:01:46 CEST 2004


[Hier eine erweiterte Fassung meiner schon gestern an Till privat
geschickten Reaktion:]


Ich finde das Anliegen verständlich, den Brief jedoch nicht glücklich
formuliert.  Die Formulierungen sollten meiner Meinung nach erheblich
gestrafft und versachlicht, d.h. von Polemik, persönlichen
Anschuldigungen sowie von Dingen befreit werden, die vom eigentlichen
Gegenstand ablenken ("US-amerikanische Monopole" etc.).

An dieser Studie ist aus meiner Sicht vor allem ein Punkt perfide, daß
sie nämlich unlizenzierte Kopien proprietärer Software mit frei
lizenzierter Software unter dem Stichwort "Software [...] [als] ein
freies Gut, über das niemand eigentumsrechtlich verfügen können sollte"
(S.16) zusammenfaßt. Zunächst fällt die so subtile wie dreiste
Verwechselung von Eigentums- und Urheberrecht auf. Und selbst wenn man die
Formulierung ändern würde in "ein freies Gut, über das niemand
urheberrechtlich verfügen sollte", würde sie ein propagandistisches
Zerrbild der freien Softwarebewegung produzieren, deren Lizenzen sehr
wohl auf dem Urheberrecht basieren und die Urheberschaft der
Programmierer honorieren.

So wurde den Probanden der Studie, wie man das aus soziologischer
Meinungsforschung hinlänglich kennt, eine Suggestivfrage gestellt. Die
Antworten hätten gewiß anders gelautet, wenn man sie gefragt, ob (a) sie
es gutheißen, wenn Software von ihren Urhebern den Nutzern als freies
Gut zur Verfügung gestellt wird oder (b) Software denselben
Nutzungseinschränkungen und -freiheiten unterliegen sollte, wie sie das
klassische Urheberrecht für andere Werke vorsieht. Dies schließt ja z.B.
das Recht auf freien öffentlichen Verleih von Werken ein und die freie
Verwendung von Werken im Schulunterricht.

Deine Antwort läuft aber genau in die Falle, der o.g.
Suggestiv-Argumentation zu folgen, die - schlicht gesagt - freie
Software und freie Information mit "Warez" gleichsetzt. Eine Diskussion
über die politische oder ökonomische Legitimität von Warez zu führen,
ist genau den Gefallen, den man Microsoft und den Autoren der Studie
nicht tun sollte.

Das Ärgerliche an dieser Studie ist, daß sie offensichtlich von Ökonomen
und Soziologen ohne juristischen Sachverstand geschrieben wurde, aber
letztlich juristische Fragen verhandelt. Z.B. scheinen die Autoren,
aber auch Baecker, der irrigen Annahme aufzusitzen, Herstellerlizenzen
seien synonym mit Urheber- oder gar Eigentumsrecht. Ein Urheber kann mit
einer Lizenz weitgehendere Nutzungsrechte einräumen, als die das
Standard-Urheberrecht vorsieht. Aus diesem Grund sind EULAs ("End User
Licensing Agreements"), deren Lizenzen die gesetzlichen Spielregeln
nicht erweitern, sondern restringieren, juristisch umstritten und sehr
wahrscheinlich rechtsungültig. [Um dies in den offenen Brief zu
schreiben, müßte hier aber noch mehr juristischer Sachverstand als mein
Laienwissen eingeholt werden.] Auch reflektiert weder die Studie, noch
Baecker in den Aussagen, die der Heise-Ticker zitiert, daß im
europäischen Rechtsraum anders als in den USA das Urheberrecht
unveräußerlich ist, also nicht eine Softwarefirma, sondern ihre
angestellten Programmierer das Urheberrecht am Code besitzen und
höchstens die Verwertung vertraglich an die Firma abtreten können.

Stattdessen, und das ist wiederum das Ärgerliche, produziert der Text
Wortschwaden - genau besehen: Dummwörter - wie "Digitale Mentalität" und
"digital honesty", die in der Tat vage nach Merve-Verlag und ars
electronica klingen, um die schnöde Tatsache einer inhaltlich banalen,
typischen bestellten Industriestudie auf Fachhochschulniveau zu
übertünchen.

Würde man Begriffe wie "digital honesty" ernstnehmen, dann könnte ja ein
Schluß sein, daß Privatleute statt unlizenzierte Kopien proprietärer
Software einzusetzen, Konsumverzicht zu üben oder proprietäre Lizenzen
zu kaufen, Freie Software einzusetzen sollten. Damit wäre im Sinne der
Ehrlichkeit beiden Seiten gedient, die proprietäre Softwareindustrie
hätte kein "Raubkopie"-Problem mehr, freie Software hätte die
Nutzermassen, dank derer sie endlich offenen Standards von Dateiformaten
und Netzwerkprotokollen durchsetzen und somit zum Nutzen aller offen
halten könnte. (So daß z.B. nicht mehr die Frage wäre, ob Openoffice
kompatibel zu MS Office ist, sondern wann MS Office seine Dateiformate
Openoffice-kompatibel auf offene XML-Formate umstellen würde.)

Die Studie könnte "digital honesty" schließlich auch von proprietären
Softwareherstellern fordern: Indem sie die private Verwendung
unlizenzierter Kopien weder erlauben, noch - wie es Microsoft ja in der
Heise-Meldung sagt - juristisch verfolgen, schaffen sie selbst einen
grauen Markt, natürlich mit der Absicht, sich Marktführerschaft zu
verschaffen, Standards zu definieren und Verluste im
Privatkundengescháfts über teure Lizenzverkäufe an Firmen und Behörden
mehr als zu kompensieren.

> Dirk Baecker, der sich in den letzten Jahrenzehnten durch
> Publikationen im Merve Verlag und durch Auftritte u.a. bei der ars
> electronica hervorgetan hat, hat nun eine Studie für Microsoft
> verfasst, 

Das ist so nicht ganz richtig. Die Studie wurde unter seiner Aufsicht
an seinem Lehrstuhl verfaßt, nicht aber von ihm selbst.

Gut, Baecker outet sich auch in der Heise-Meldung als Anhänger von
proprietären Lizenzierungsmodellen und DRM. Als Luhmannianer ist er hier
durchaus konsequent. Luhmanns eigentümliche Version der allgemeinen
Systemtheorie, wie sie von Ludwig von Bertalanffy in den 1950er Jahren
begründet wurde, besteht ja in seiner Negation der Existenz offener
System (während Bertalanffy im Gegenteil postuliert hatte, daß
jedes geschlossene System an seiner Entropie zugrundegeht) und der
Behauptung, auch Sozialsysteme seien operational geschlossen und
selbstbezüglich. - Beide Theorien waren natürlich Spiegel ihrer Zeit,
des kalten Krieges bei Bertalanffy und eines saturierten westdeutschen
Technokratismus und Bürokratismus bei Luhmann.  Und auch Microsoft ließe
sich gewiß hervorragend als Luhmannsches System beschreiben, ja, als
konsequenter Luhmannianer müßte man freie Software als Illusion
verwerfen.

Darüber könnte man mit Baecker diskutieren - schade, daß die Studie
nicht früher erschienen ist, dann hätten die WOS3 dazu gute Gelegenheit
geboten. Pro-Softwareindustrie und DRM-Positionen zu vertreten, scheint
mir per se nicht moralisch verwerflich oder wissenschaftlich ehrenrührig
(wenn auch ein schaler Nachgeschmack bleibt, wie damals bei Norbert
Bolz' Auftritt im Telekom-Werbespot).

Um aber eine Inkosistenz der Microsoft-Studie und von Baeckers
theoretischen (ggfs. auch ethischen) Positionen nachzuweisen, müßte man
tiefer schürfen. Polemische Pauschalkritik an Microsoft etc. und
Formulierungsmätzchen würde ich dabei tunlichst vermeiden.

Gruß, 
 
-F

-- 
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