[rohrpost] WG: [thing-frankfurt] FW: Ich gehe ins Museum und schlafe ein

matze.schmidt at n0name.de matze.schmidt at n0name.de
Mon Mar 29 15:38:13 CEST 2004


Alexander Marzahn von der Basler Zeitung spricht mit Cornelia Sollfrank
veröffentlicht Basler Zeitung, 12.03.2004


«Ich gehe ins Museum und schlafe ein»

Die Netzkünstlerin Cornelia Sollfrank über verletzte Urheber,
selbstverliebte Hacker und weshalb Maschinen die besseren Künstler
sind

Cornelia Sollfrank, ist Künstlerin, Hackerin, Theoretikerin und
«Cyberfeministin». Als Netzkünstlerin der ersten Generation sorgte
sie 1997 anlässlich eines Netzkunst-Wettbewerbs für Aufsehen, als sie
120 fiktive Bewerbungen mit «Werken» einschickte, die mehr oder
weniger zufällig aus dem Internet collagiert waren. Mit subversiven
Aktionen klinkt sich die in Celle und Hamburg lebende Sollfrank immer
wieder in den Kunstbetrieb ein und hinterfragt gängige Vorstellungen
von Autorschaft, Werk und Original.


BaZ: Frau Sollfrank, sind Sie Mitglied einer
Urheberrechtsgesellschaft, die Ihre Werke schützt?

Cornelia Sollfrank: Nein, bin ich nicht.

BaZ: Aus Überzeugung?

Aus reiner Naivität. Da ich keine traditionelle Bildproduktion
betreibe, habe ich mir eigentlich nie Gedanken darüber gemacht. Meine
Arbeiten sind selten für die Ewigkeit. Ich halte mich eher in
Zwischenräumen auf und versuche, mittels Interventionen im Netz oder
Performances die Bedingungen des Betriebssystems Kunst aufzuzeigen.

BaZ: Sie schaffen aber auch Werke....

C.S.: ...nur aus Versehen (lacht)!

BaZ:...die sie aus bestehenden Bildern oder Texten vom Computer
zusammenstellen lassen. Ist das Internet ein Raum ohne geistiges
Eigentum?

C.S.: Nein, über diese Utopien sind mittlerweile alle hinweg. Aber
ich wehre mich gegen die totale Regulierung. Natürlich hat jeder
Künstler das Recht, sein Werk vor kommerzieller Ausbeutung zu
schützen. Aber das anarchistische «Ich nehme mir, was mir gefällt»
hat auch seinen Reiz und ist natürlich viel cooler, als sich mit
Lizenzen herumzuschlagen. Heute werden im Netz viele Freiräume
eingegrenzt und rechtlich definiert, dabei entstehen teilweise
Regelungen, die kompletter Unsinn sind. Da darf man durchaus
Provokation betreiben, um vielleicht auch Einfluss auf die
Rechtsprechung zu gewinnen - langfristig. Man kann nur hoffen, dass
so viel Kunst jenseits aller Kateogrien produziert wird, dass gar
nicht so viele Prozesse geführt werden können, um all dies zu
verbieten.

BaZ: Kann denn die künstlerische Realität den Hütern des Copyright
gefährlich werden?

C.S.: Wahrscheinlich eher nicht. Politisch stehen wir in einer Phase
zunehmender Regulierung. Aber gegen die mitunter absurde
Einschränkung künstlerischer Freiheit regt sich auch Widerstand: Vor
zwei Wochen war «Gray Tuesday», die erste weltweite
Solidaritäts-Aktion für einen Künstler, der von EMI verklagt wurde,
weil der das «White Album» der Beatles und das «Black Album» des
Rappers Jay-Z zu einem «Grey Album» zusammengemixt hatte. Fast 500
Server haben das Werk in einer koordinierten Protestaktion zum
Herunterladen angeboten.

BaZ: Auch ausserhalb des Netzes toben in Sachen Urheberschaft derzeit
heftige Debatten. Das «Authentication Board», das über das Copyright
von Andy Warhol wacht, spricht einem Teil seines Nachlasses den
Werkstatus ab: Warhol habe diese Drucke nicht autorisiert.

C.S.: Diese Trennung von Original und Fälschung ist oftmals absurd
und beruht auf einer fast religiösen Vorstellung: Eine beliebiger
Gegenstand geht durch die Hände des Meisters (zum Beispiel Warhol,
Duchamp oder Beuys) und schon geht sein Geist darauf über. Die Aura
entsteht. Es gibt ja auch Bilder von Rembrandt oder Vermeer, die über
Jahre in einem Museum ehrfürchtig bewundert wurden. Plötzlich erkennt
man mit neuen Untersuchungsmethoden, dass sie nicht aus der Hand des
Meisters stammen - und sie verlieren über Nacht ihren Wert und ihre
Aura. Die Sinnlichkeit, der ästhetische Genuss eines Werkes wird
offensichtlich mehr von der intellektuellen Erkenntnis bestimmt als
die meisten zugeben mögen. Solche Phänomene im Kunstbetrieb
faszinieren und amüsieren mich sehr.

BaZ: Die Idee des Künstler-Genies gilt ja längst als überholt -
jedenfalls in der Theorie. Haben Duchamp, Beuys oder Warhol in der
Praxis versagt?

C.S.: Das sind erst mal lauter männliche Genies, die ein grosses Werk
hinterlassen haben... (lacht). Die Botschaft vom Tod des Autors darf
man natürlich nicht so wörtlich nehmen. Das Kunstsystem kennt alle
möglichen Parameter. Als Denkmodell finde ich es interessant, ein
solches Parameter wie den Autor oder das Werk wegzulassen oder seine
Funktion zu verändern, um zu sehen, was dann passiert, passieren
könnte. Es hilft mir, meine Position zu reflektieren. Die geniale
Künstlerin zu spielen, die nicht anders kann, als ihre großen Gefühle
der Welt mitteilt, sich ausdrückt oder verklemmte Bürger erschreckt,
ist mir dann doch zu naiv und banal. Das ist Kunst des 19.
Jahrhunderts, die die Avantgarden des 20.Jahrhunderts konzeptuell
längst überwunden haben.

BaZ: Statt großer Gefühle also graue Theorie?

C.S.: Denken kann manchmal helfen, radikaler zu werden. Ich
interveniere. Ich begreife mich als Hackerin, die sich Zutritt ins
Kunstsystem verschafft, um - auch - dessen Bedingungen sichtbar zu
machen. Dass es Kunst gibt, so wir sie heute verstehen, ist ja nicht
selbstverständlich. Nur mit dieser Erkenntnis kann man sie
weiterdenken.

BaZ: Die Literaturwissenschaftlerin Martha Woodmansee vertritt die
These, der Autor wird im Medienzeitalter wieder verschwinden. Also
wird auch der Kunstmarkt, der ohne Stars und Namen nicht vorstellbar
ist, bald untergehen...

C.S.: Ach Gottchen! Das wäre phantastisch für die Kunst (lacht)!
Ernsthaft: Ich glaube das nicht. Man muss diese Thesen einfach in die
Praxis übertragen
und prüfen. Wenn ich mich selber abschaffe, dann habe ich ja auch ein
Problem. Das heisst aber nicht, dass ich das Künstlerbild nicht
verändern will. Die Idee des genialen Künstlers, das speziell in
Deutschland bei der jungen Generation wieder weit verbreitet ist und
von extrem konservativen Kunstmarktkreisen - nicht ganz uneigennützig
- extrem unterstützt wird, bringt weder uns noch die Kunst weiter.
Diese Künstler befriedigen genau das bürgerliche Bedürfnis nach dem
Genie, das sich scheinbar als Aussenseiter über Normen hinwegsetzt.
Dabei sind es die ersten, die dann bürgerliche Werte übernehmen, wenn
sie Erfolg haben, ihre Professur kriegen, Beamte werden, ihre
Studentinnen vögeln und vollkommen angepasst Marktbedürfnisse
befriedigen.

BaZ: Man muss sehr uneitel sein, um sich dem konsequent zu entziehen.

C.S.: Meine Eitelkeit wird durch andere Dinge befriedigt. Wenn ich
mit einer Intervention merkbar etwas gestört oder Machtverhältnisse
sichtbar gemacht habe, brauche ich kein  Artefakt, das übrig bleibt
und das man nachher ins Museum stellen könnte - man denke nur an
Missbrauch von Beuys. Werke sind für mich Ausdruck von Ideen, der
handwerkliche Aspekt war für mich nie wichtig. Sehr viele radikale
Ideen waren ja schon da - und viele Künstler gehen immer wieder weit
hinter diese Ideen zurück. Deshalb ist die meiste Kunst auch
langweilig! Ich gehe ins Museum und schlafe ein, vorallem bei
zeitgenössischer Kunst. Aber das treibt mich auch an, die Ideen der
Avantgarden weiterzudenken und mit den Möglichkeiten der Neuen Medien
nach neuen Wegen zu suchen.

BaZ: Sie sagten jüngst, der Kunstbetrieb habe die Netzkunst zerstört.

C.S.: Die Netzkunst hat 1997 ihre eigene Ökonomie verloren, und damit
war ihre interessanteste Phase vorbei. 1997 fand die Documenta in
Kassel statt, zu der erstmals ausgewählte Netzkünstler eingeladen
wurden, und es gab einen Wettbewerb in Hamburg, an dem erstmals
Netzkunst juriert wurde. Diese für die Szene völlig neue Logik der
Hierarchisierung störte ganz empflindlich das Gleichgewicht. Geärgert
hat mich vor allem, dass sich viele Pioniere von damals dieser
Problematik verweigert hatten: Unter dem
aufkommenden Druck versuchte jeder nur, so viel wie möglich für sich
selbst herauszuschlagen.

BaZ: Sie selbst gingen in den Widerstand - und wurden in den Medien
zur gefeierten Hackerin.

C.S.: Toll, wie pathetisch das klingt! Das war nach der Aktion
«Female Extension», als ich den erwähnten Wettbewerb durch Hunderte
von fiktiven weiblichen Bewerbungen ad absurdum führte. Der Begriff
'hacking' trifft meine künstlerische Haltung nicht schlecht, auch
wenn ich erst später begann, mich vertieft mit der Hacker-Kultur zu
beschäftigen. Im technischen Sinn bin ich keine Hackerin - dafür
müsste man all seine Zeit in die Technik investieren, und dazu habe
ich keine Lust. Für mich ist Hacken eher ein Denksport: Ich will ein
System begreifen und Strategien finden, mit denen ich intervenieren,
eine Funktionsweise spiegeln kann. Hacker lieben Probleme.

BaZ: «Hacking is a teenage-male voyeur-thrill power-trip activity»,
schreibt der Autor Bruce Sterling; Hacken sei ein fast nur von jungen
Männern bevölkertes Spielfeld. Stimmt das?

C.S.: Obwohl alle davon sprachen, dass es Hackerinnen gebe: Trotz
langer Recherche im Jahr 1999 konnte ich keine einzige aufspüren. Ich
habe sie daraufhin erfunden und mit ihnen fiktive Video-Interviews
geführt, die natürlich den gängigen Ehrencodex der männlichen
Kollegen ziemlich über den Haufen warfen.

BaZ: Auch um die Hacker ist es ruhig geworden. Hat die
Netz-Sicherheitspolizei gesiegt?

C.S.: Das Problem ist eher, dass sie einfach nichts mehr zu sagen
haben. Selbstverliebt in ihren eigenen Mythos haben sie vergessen,
was heute wirklich wichtig ist. Denn viel aktueller und bedeutender
sind heute z.B. Initiativen für den Datenschutz für Bürger. Auch bei
den Hackern ist der Geniekult sowie das Kokettieren mit der
Halblegalität weit verbreitet. Das versteckte Ziel aber ist auch hier
nicht selten, am Ende reich und
berühmt zu werden (lacht).

BaZ: Woher aber kommt die männliche Dominanz im Netz?

C.S.: Sicherlich hat es nichts mit fehlender Technik-Kompetenz von
Frauen zu tun, sondern ehrer mit unterschiedlicher Sozialisierung von
Mädchen und Jungs. Frauen werden andere Prioritäten beigebracht als
Männern. Ein anderer Punkt sind die männlich geprägten
Kommunikationsformen beim Umgang mit Technik; an der Uni Bremen wurde
jüngst der Studiengang Informatik wieder ganz altmodisch nach
Geschlechtern getrennt, um der weiblichen Minderheit die Möglichkeit
zu geben, sich mit ihren eigenen Mitteln und Codes technisches
Know-How anzueignen. Das Modell ist sehr erfolgreich.

BaZ: Ist das Internet männlich?

C.S.: Nein, auch wenn sämtliche technischen Grundlagen Männerhirnen
entsprungen sind - übrigens auch nicht weiblich, wie die
Kulturwissenschaftlerin Sadie Plant angesichts der horizontalen,
vernetzten Struktur behauptete. Aber ihr Buch «Zeros and Ones» war
gerade bei jungen Frauen sehr beliebt: Als Strategie, die Realtität
durch Behauptung zu verändern, geht dies in Ordnung, die These aber
ist mir zu simpel und sie beruht zu sehr auf verallgemeinernde
Zuschreibungen.

BaZ: Eine andere Behauptung ist, Netzkunst beschäftige sich nur mit
sich selbst.

C.S.: Dummes Zeug. Ich bin eine grosse Kritikerin der Medienkunst,
die sehr oft an der Oberfläche bleibt und bunte Bilder produziert,
ohne sich mit dem zu beschäftigen, was sich darunter befindet. Das
Funktionieren unserer Gesellschaft beruht heute auf der
grßstmöglichen Abstraktion - auf Nullen und Einsen. Ich glaube den
wenigsten Leuten ist wirklich bewusst, wie grundlegend der Computer
unsere Gesellschaft verändert hat. Und sein Einfluss bei der
Globalisierung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Alles wird
von Computern gesteuert; dem kann man sich heute nicht verschliessen.
Die Kunst sollte es auch nicht tun, sonst wird sie vollkommen
unrelevant und kann nichts Zeitgemässes mehr leisten.

BaZ: Schöne bunte Bilder produzieren auch sie - mit ihrem «Net-Art
Generator».

C.S.: Es geht darum, im Netz mit Hilfe von Suchmaschinen neue Werke -
Bilder oder Texte - aus vorgefundenen Materialien zu generieren.
Jeder kann einen Titel eingeben, die Suchmaschinen finden dazu
Material und bauen es nach Vorgaben des Programms neu zusammen. Kunst
hat viel damit zu tun, Denkmuster aufzubrechen. Das kann die Maschine
viel unbeschwerter als der Mensch, der kaum aus seinem Denken
ausbrechen kann. Oder haben Sie
sich schon mal Gedanken über den «verbalen Missbrauch von Blumen
während eines Kongresses» gemacht? Die Dadaisten stehen für das
Konzept Pate: Unsinn zu produzieren, um zu zeigen, wie Sinn überhaupt
produziert wird.

BaZ: Da passt es ja auch ins Bild, dass sie Werke verkaufen, die
andere mit Hilfe Ihres «Generators» produziert haben...

C.S.: Das ist ein Mythos, der seit langem kursiert. Das habe ich so
noch nie gemacht. Aber von mir aus kann das ruhig weiterverbreitet
werden: Ja, ich tue das! Ich verkaufe Werke, die andere gemacht
haben. Warum auch nicht?
-- 
--
 ____ ____ ____ ____ ____  ___  ___  ___
||a |||r |||t |||w |||a |||r |||e |||z || .org
||__|||__|||__|||__|||__|||__|||__|||__||
|/__\|/__\|/__\|/__\|/__\|/__\|/__\|/__\|

                      take it and run!

-- 
The Thing Frankfurt http://www.thing-frankfurt.de
Thing Mailinglist: mailto:thing-frankfurt-subscribe at yahoogroups.com
___________________________________________________________________
Stefan Beck | Hohenstaufenstr. 8 | 60327 Frankfurt | +49-69-7410210
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Multi.trudi artspace and mediabase works @ http://www.multitrudi.de



-------------------------------------------------
Distributed through The Thing Frankfurt
-------------------------------------------------
New site: http://www.cms.thing-net.de
Other sites:
+ http://www.thing-frankfurt.de
+ http://www.multitrudi.de
+ http://www.noize-concept.de
------------------------------------------------- 
Yahoo! Groups Links

Besuchen Sie Ihre Group im Web unter:
 http://de.groups.yahoo.com/group/thing-frankfurt/

Um sich von der Group abzumelden, senden Sie eine Mail an:
 thing-frankfurt-unsubscribe at yahoogroups.de

Mit der Nutzung von Yahoo! Groups akzeptieren Sie unsere
 http://de.docs.yahoo.com/info/utos.html

um Kommentar von Stefan Beck gekuerzt von Matze Schmidt