[rohrpost] betrifft: deutsche medientheorie

sascha brossmann brsma at gmx.net
Mon Nov 1 15:38:52 CET 2004


Am 31.10.2004 um 20:08 schrieb Janus von Abaton:
> Eine Möglichkeit wäre, dass du mit dem Positivismusstreit anfängt, 
> also mit der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissenschaft und der 
> Frage, ob Wissenschaft „kritisch“ sein kann/muss/sollte (das wäre 
> herrlich unmodisch)

ich bin der meinung, das wissenschaft (ähnliches gilt auch für kunst) 
einsichten oder "erkenntnis" generieren sollte und sich nicht in den 
dienst von (politischen) interessen welcher ausprägung auch immer zu 
stellen hat (so zumindest verstehe ich deine verwendung von 
"kritisch"). ich plädiere in diesem zusammenhang somit weniger für 
"kritisch" als vielmehr für unvoreingenommen *rücksichtslos* - in 
*jeder* hinsicht.

was dann die beteiligten mit ihren einsichten anfangen ist eine andere 
sache, und liegt erstmal bei den einzelnen. ich für meinen teil bin 
sicher kein freund bescheuklappter und willfähriger fachidioten und 
bevorzuge sagen wir "systemischere" denk- und verhaltensansätze 
(rückgrat inklusive). aber ich halte es *generell* für ein unding, 
menschen vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. das heisst 
wohlgemerkt nicht, dass ich dieses tun und lassen nicht 
ethisch/moralisch beurteilen kann und darf. aber das betrifft nicht 
wissenschaft an sich als struktur(1), sondern die involvierten 
*menschen*, und zwar bitte jeden für sich. das ist aber eine gänzlich 
andere ebene. und damit erübrigen sich für mich auch derartige 
pauschalisierende fragestellungen (und die sind leider ganz und gar 
nicht unmodisch, sondern im grunde eher nur  scheissbequem).

(1) ich halte schon allein die idee, komplexe strukturen wie 
"wissenschaft" und ähnliche abstrakta mit ethisch-moralischen masstäben 
zu beurteilen mangels eigenschaften wie z.b. "freiem willen" für 
zutiefst absurd.

> Man müsste die Frage aber noch einmal öffnen und zunächst Ziele 
> definieren und dann sich erst für Thema und Tools entscheiden.

dann wird das aber auch nix, weil sich alle schon über die ziele und 
sonstige voraussetzungen in die haare kriegen. mir scheint das 
unproduktiv.

vielleicht sollte man stattdessen einfach mal anfangen, gemeinsam und 
offen themen, ideen, material etc. zusammenzutragen, und sehen, was 
sich daraus mehr oder weniger evolutionär und organisch entwickelt. was 
hier ja auch ansatzweise geschieht. momentan sehe ich allerdings die 
gefahr, dass sich viele vorschnell auf ihre jeweiligen standpunkte 
(oder: ressentiments, partikularinteressen) zurückziehen - die haben 
aber vor allem eine eigenschaft: sie verhindern bewegung. damit ist 
aber keinem geholfen (ausser dem status quo).

die idee einer "deutschen medientheorie" o.ä. (sofern sie überhaupt 
ernsthaft anhänger hätte) halte ich allerdings für ausgemachten unfug - 
erst recht als kategorie.

anders verhält es sich mit ansätzen zu einer (experimentellen) 
reflektion unserer kultur und ihrer bedingungen, die weder formal noch 
in der art und weise ihres zustandekommens den gängigen akademischen 
konventionen folgen muss - und vermutlich auch nicht *kann*.

das beinhaltet auch aspekte, wie z.b. den mir sehr wichtigen 
grundgedanken, dass sich nicht nur text/sprache als reflektionsmedium 
eignet, sondern auch sehr vieles was klassischerweise eher in 
"angewandten" domänen (wie kunst, design, ingenieurstätigkeit etc.) zu 
verorten wäre. verbindungen dazwischen bevorzugt.

dabei stellt sich (stichwort "offenheit") allerdings trotzdem die frage 
nach kriterien und mechanismen, die verhindern, das sich so ein, äh, 
"projekt" vor sich hin schwafelnd und rauschend selbst erledigt.

> Kann das, was Negri/Hardt Multitude nennen, auf medientheoretische 
> Grundlagen gestellt werden?

vielleicht sollte das, was die beiden so von sich geben ja *überhaupt* 
erstmal auf grundlagen jenseits des missionarswortfelds von autorität 
und gewissheit {sollen, müssen, werden} gestellt werden... fragt sich 
nur, was dann davon übrig bliebe. ich befürchte: zwei alte säcke und 
ein häufchen schlechte dichtung, gut gemeint. >;-> kill yr. idols.

herzliche grüsse

sascha
--
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