[rohrpost] CFP d. Archivs für Mediengeschichte: Wolken

Hedwig Wagner hedwig.wagner at medien.uni-weimar.de
Mon Nov 8 15:48:53 CET 2004


Ankündigung - Call for Papers

/Archiv für Mediengeschichte/, hrsg. v. Lorenz Engell, Bernhard Siegert 
u. Joseph Vogl, Jahrbuch der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität 
Weimar, No. 5:
Wolken

Die nächste Ausgabe des /Archivs für Mediengeschichte/ wird sich mit dem 
Thema, mit dem Bild und der Sache der /Wolke/ beschäftigen und sich 
einer mehrfachen Problemkonstellation widmen. Ausgehend von 
kunsthistorischen Untersuchungen lässt sich in Wolken und 
Wolkenformationen ein Objektfeld erkennen, das sich nicht nur durch 
einen engen Austausch zwischen Kunst, Ästhetik und Wissenschaft 
charakterisiert, sondern eine medienhistorische Dimension dort gewinnt, 
wo es unterschiedliche Spielarten von Darstellungs-, Wahrnehmungs- und 
Vermittlungsproblemen umschließt. Ob als Allegorie des Numinosen, als 
instabiles Ding oder als Grenzfigur bildlicher Darstellung, ob als 
physikalische Mannigfaltigkeit, statistisches Objekt oder bloßes 
Rauschen – Wolken und Wolkendiskurse rufen einige Problemlagen auf, in 
denen sich grundsätzliche Fragen nach Repräsentation, Kodierung, 
Formgebung und In-Formation des Flüchtigen und Formlosen stellen.

Mit dem Thema der Wolke soll das /Archiv für Mediengeschichte/ 2005 
historische wie systematische und theoretische Untersuchungen 
präsentieren, für die u.a. folgende Schwerpunkte und Perspektiven 
vorgeschlagen werden:

1. /Grenze der Repräsentation/. War die Wolke einmal als 
Vermittlungszone zwischen Himmel und Erde oder als unfassliche Gestalt 
göttlicher Verlautbarung erschienen, so hat sie mit der Geometrisierung 
des Raums den Charakter einer Grenzfigur angenommen, die die symbolische 
Form der Perspektive zugleich abschließt und überschreitet. Dabei geht 
es seit der Renaissance nicht nur um spezifische Maltechniken oder das 
Malen des Nicht-Malbaren, das mit anderen Flüchtigkeiten wie Rauch, 
Nebel oder Feuer korrespondiert, sondern um die Geschichte einer 
Ästhetik, die am Beispiel der Wolke ein Spannungsverhältnis zwischen 
Gestalt und Gestaltlosigkeit, Figur und Defiguration, Darstellung und 
Undarstellbarkeit, Symbol und Desymbolisierung thematisiert. 
Wolkenstudien in Kunst oder Literatur lassen sich vor diesem Hintergrund 
als programmatische Szenen für die Kodierung von Wahrnehmung und 
Sichtbarkeit begreifen, die unterschiedliche Semantisierungen des 
Wolkenmotivs einschließen und nicht zuletzt eine ‚informelle’ Wendung 
moderner Ästhetik ankündigen. Die Wolke situiert sich – in wechselnden 
historischen Konstellationen - in Grenzbereichen des Darstellbaren als 
Zeichen für das Unsichtbare, als ausgeschlossene Ausnahme der 
Repräsentation, als Metapher und Beispiel für das Chaos oder als 
ultimatives Objekt der künstlerischen oder wissenschaftlichen Darstellung.

2. /Physik des Unscharfen/. Hat seit dem 19. Jahrhundert die 
Meteorologie eine Defintionshoheit über Wolkenformationen übernommen und 
– nach Goethes Loblied auf Howard – eine Bestimmung des Unbestimmbaren 
geleistet, so war es insbesondere die Thermodynamik, die dem Phänomen 
der Wolke einen neuen systematischen Ort im kulturellen Wissen der 
Moderne zugewiesen hat. Als Beispiel für Unordnung und entropische 
Prozesse entwirft die Wolke nun einen Problemkreis, der das wolkige 
Gebilde mit Fragen der Statistik, mit Zufallsereignissen und neuen 
physikalischen Materiebegriffen verknüpft. Damit wird eine Perspektive 
eröffnet, die am Beispiel der Wolke epistemologische Neuordnungen der 
Physik wie veränderte kosmologische Modelle gleichermaßen umschließt – 
eine Perspektive, die eine Frage nach der Erfassung von Massen und 
Massenphänomenen insgesamt aufwirft. Eine Geschichte der Wolke ist hier 
mit einer Geschichte von Messung und Beobachtung, von Instrumenten und 
Apparaten ebenso wie mit einer Geschichte wissenschaftlicher 
Modellbildung verbunden. Was lange Zeit als Objekt jenseits aller 
Berechenbarkeit galt, hat schließlich als Fraktal oder Massenereignis 
ein neues Format gewonnen.

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3. /Wolke und Information/. Ein besonderes Augenmerk verdienen jene 
Interferenzen, in denen die Darstellung von Wolken zugleich Wolken der 
Darstellung produziert. So gehört in der Fotografie die Unschärfe nicht 
nur zu einer neuen Darstellungsoption, die etwa in der Wolkenfotografie 
zu einer prägnanten Klassifikation des Amorphen führte, sondern zur 
technischen Bedingung des Mediums, das selbst Unschärfen und 
Verschwommenheiten hervorbringt und in Schleiern, Schlieren und Wolken 
seine chemische bzw. physikalische Materialität dokumentiert. Das 
Verhältnis von Unschärfe und Bild begleitet die Fotografiegeschichte 
ebenso wie die Geschichte analoger Bildmedien überhaupt und führt nicht 
zuletzt zur Frage, wie sich am Beispiel des Wolkigen ein Verhältnis von 
Information und Rauschen in technischen Medien manifestiert. Lässt sich 
mit der Wolke demnach eine spezifische Selbstbezüglichkeit von 
Medientechniken thematisieren, so wird gerade durch digitale 
Technologien das Verhältnis von Unschärfe und Präzision irritiert bzw. 
verkehrt: Unter den Bedingungen digitaler Informationstheorie ist die 
Mannigfaltigkeit des Wolkigen keine Störung durch das Medium mehr, 
sondern präsentiert seinen höchsten Informationsgehalt, eine Wendung, 
mit der unscharfe Phänomene als Leitfaden für die Optimierung von 
Ordnungskategorien – etwa im /data mining/ - dienen.//

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4. /Kultur der Unschärfe/. Die prekäre Objekthaftigkeit der Wolke 
gewinnt eine besondere, symptomatische Bedeutung nicht zuletzt dort, wo 
sich die Kultur der Gegenwart als eine Kultur der Unschärfe bestimmen 
lässt. Von Ästhetiken des Verschwommenen und Unscharfen über die 
politischen bzw. ökonomischen Optionen der Flexibilisierung bis hin zur 
Operation mit Unschärfephänomenen in Wissenschaft und Technologie kann 
man Konstellationen bemerken, in denen problematisch gewordene 
Grenzziehungen Ununterscheidbarkeitszonen schaffen bzw. eine neue 
Unterscheidungskunst herausfordern. Dazu gehört etwa die Aufmerksamkeit 
gegenüber den Phänomenen von Zufälligkeit und Kontingenz ebenso wie die 
Bedeutung von Chaostheorien, die ausgehend von begrenzten physikalischen 
Anwendungsgebieten eine kulturhermeneutische Dimension gewonnen haben. 
Sei es die neue Neigung zu schlecht definierten Systemen in der 
Organisations- und Managementtheorie, sei es eine Kritik von Logik und 
Mengenlehre durch eine unscharfe (‚/fuzzy/’) Logik, seien es schwach 
strukturierte Datenmengen von der Astronomie bis zu Klimaforschung und 
Computergraphik, seien es theoretische Entwürfe, die sich mit Begriffen 
wie ‚lose Kopplung’, ‚Verstreuung’, ‚Mannigfaltigkeit’ oder ‚molekulares 
Werden’ auf konstitutiv unscharfe Objekte beziehen: in all diesen Fällen 
lässt sich die Figur der Wolke als Emblem für die Selbstinterpretation 
zeitgenössischer Kultur begreifen, die sich auf verschiedenen Gebieten 
mit der Löschung stabiler Demarkationen und der dynamischen Auflösung 
statischer Ordnungskonzepte konfrontiert.

Beiträge zu diesen und weiteren Aspekten des Themas „Wolken“ sind höchst 
willkommen. Die Herausgeber und die Redaktion bitten zunächst um 
Textvorschläge, die mit einem Kurztext (1000 Zeichen) bis zum 31.12.2004 
bei der Redaktion des /Archivs für Mediengeschichte/ – Hedwig Wagner, 
Fakultät Medien, Bauhaus Universität Weimar, 
hedwig.wagner at medien.uni-weimar.de 
<mailto:hedwig.wagner at medien.uni-weimar.de> - eintreffen sollen. 
Ausgearbeitete Beiträge sollten einen Umfang von 30 000 Zeichen nicht 
überschreiten und bis spätestens April 2005 vorliegen.

-- 
Hedwig Wagner
Archiv für Mediengeschichte
Bauhaus-Universität Weimar
Bauhaus-Str. 11
99423 Weimar

Tel.:  03643/583861
eMail: hedwig.wagner at medien.uni-weimar.de