[rohrpost] Medientheorie - Das Wikiexperiment

sascha brossmann brsma at gmx.net
Sam Nov 20 00:52:00 CET 2004


Am 18.11.2004 um 11:42 schrieb mercedes bunz:
> zum anderen sind offensichtlich die bestehenden theorien, wie florian 
> cramer meint, unzureichend für die betrachtung zeitgenössischer, naja, 
> vielleicht nicht die ganze kultur, aber den bereich medienkunst.

vielleicht sollten wir *doch* noch einmal über begriffe sprechen, aber 
mir scheint der betreffende absatz im wiki eigentlich deutlich genug. 
kultur umfasst zumindest für mich grob verkürzt die vom menschen 
gemachte welt inkl. werkzeuge, infrastrukturen usw. -- und nicht nur 
das arbeitsfeld sog. kulturschaffender und von christina weiss oder den 
feierabendgenuss sog. kulturbürger. somit ist aber unsere *gesamte* 
kultur meiner beobachtung nach hochgradig mediatisiert -- besonders auf 
basis neuerer technologien.

bei der gelegenheit: könnten wir bitte auf dieser liste oder wenigstens 
auch nur im rahmen dieser diskussion endlich mal diesen grauenhaften 
dummschwätzerbegriff "medienkunst" fallen lassen und ihn dem 
bedeutungsvollen raunen von schaumschlägern à la peter weibel & his old 
farts orchestra überlassen? alle kunst ist schliesslich medienkunst: wo 
kein medium ist, gibt es nichts ästhetisches (im etymologischen und 
nicht im hegelschen sinn) mehr zu vermitteln, auch keine kunst. 
insofern fände ich es erheblich besser, schlicht nur von "kunst" oder 
wenn es denn präziser sein muss von mir aus von 
"computerbasierter/elektronischer/... kunst"  sprechen (und bitte auch 
nicht von "digitaler k.", das ist z.b. text nämlich schon lange). ein 
königreich für einen besseren und klareren begriff!

> das ist bestimmt so. nur weiss ich nicht, ob man da weiter kommt, wenn 
> man der theorie einen insiderjargon vorwirft wie im wiki und 
> anschlussfähigkeit einklagt.

der in erster linie distanz schaffende und vor allem unnötige jargon 
ist nur ein problem unter mehreren, die daraus resultierende 
kommunikationsunfähigkeit betrachte ich aber durchaus als ein 
relevantes.

> ich mag es kompliziert und würde einem medienkünstler nie erklären, er 
> soll seine medienkunst gefälligst für alle bedienbar machen. man muss 
> sich eben einfummeln, das gehört nunmal dazu.

einspruch, euer ehren! in dieser hinsicht gelten m.e. für künstlerische 
arbeit doch noch ein paar andere bedingungen als für wissenschaft. wenn 
ich als künstler etwas im unklaren, überkomplizierten etc. lasse kann 
das sehr viele verschiedene gründe haben und dient meistens auch 
spezifischen und in der arbeit/im arbeitsprozess begründeten zielen und 
zwecken. und wenn nicht, dann kann man es auch manchmal einfach nicht 
besser - was schlecht ist - oder ist schlicht zu faul dazu - was auch 
schlecht ist. im fall der inkompetenz ist es einem aber (hoffentlich!) 
auch höchst peinlich und passiert nicht zu oft, sonst und ganz 
besonders auch im zweiten fall wird es höchste zeit den beruf zu 
wechseln.

welchen zweck erfüllt aber obskure und verschraubte rede in der 
wissenschaft? ausser möglicherweise dem, ziemlich tölpelhaft die eigene 
mittelmässigkeit (bestenfalls!) und mangel an gehalt zu verschleiern? 
oder dem zu zeigen, dass der textproduzent (ich sage bewusst nicht 
"autor") möglicherweise nicht nur nicht vernünftig denken, sondern dazu 
noch nicht mal *schreiben* kann?

einer, deren reflektions-/beschreibungswerkzeug und/oder gegenstand in 
erster linie formale sprachen sind, kann ich sowas noch nachsehen. die 
beherrscht i.d.r. aber wenigstens auch ihr werkzeug - und wenn nicht, 
wird das recht schnell bemerkt. was aber soll man von 
geisteswissenschaftlern halten, die weder das eine noch das andere 
drauf haben?

> überhaupt: so eine praxis versus theorie debatte, wie sie im wiki 
> anklingt, die halte ich für unfruchtbar.

es geht zumindest meiner ansicht nach auch absolut nicht um praxis 
versus theorie - um himmels willen! -, sondern vielmehr um 
schnittstellen, übergänge und gegenseitige bereicherung. kurz: augen 
auf, ohren auf, kopf auf! die bestehenden grenzziehungen schützen 
höchstens die beschränkten (sic!).

> aber darauf mit einer tendenziellen theoriefeindlichkeit und 
> anti-akademische haltung zu reagieren (die auf den institutionellen 
> positionen sind immer böse), ist mir irgendwie etwas zu einfach.

ich weiss nicht, aber mir kommt das wiki nicht gerade theoriefeindlich 
vor. dass es nicht ausreicht, bequeme abstraktionen wie "institutionen" 
mit dämlichen pauschalurteilen anzugehen: absolut d'accord - kann ich 
aber auch nicht so recht entdecken. und das ist auch noch lange kein 
grund, anscheinend systemimmanente beschränkt- und blödheiten nicht 
auch beim namen zu nennen. zumal mir die motivation viel weniger ein 
"wie nicht?" als ein "wie besser?" zu sein scheint.

> besides: das wird medienkünstler auch nicht mit anspruchsvolleren, 
> treffenderen texten versorgen.

darum geht es ja auch nicht. hoffe ich doch sehr.

> interessant ist viel eher: wo steht medienkunst eigentlich heute?

sie implodiert in einer heissluftblase? >;->

herzliche grüsse

sascha
--
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