[rohrpost] Medientheorie - Das Wikiexperiment

Tilman Baumgärtel mail at tilmanbaumgaertel.net
Mit Nov 24 06:56:12 CET 2004


At 19:22 23.11.2004, you wrote:

>>ob deutsche medientheorie exotisch ist kann ich schwer beurteilen. denkt
>>man/frau bei jeden satz von nietzsche und benjamin an lebkuchen und
>>neuschwanstein?
>
>
>uh. geert ist frustriert. das kann ich irgendwie verstehen, auch wenn das 
>hochfahren bei deutsch sicher keine überraschung ist. die frage ist, ob es 
>auch gelingen kann, deutsch nicht so wichtig zu nehmen. selbst wenn ich 
>absolut hinter "nie wieder deutschland" stehe, springe ich auf deutsche 
>medientheorie nicht allergisch an und habe eigentlich nicht das gefühl, 
>hier geht es um den beitritt zum bund deutscher mädels oder so. sicher, 
>man muss bei nationalen begriffen genau hingucken, aber man muss trotzdem 
>nicht immer den begriff so pathetisch lesen und "achtung! gemeinsamkeit!" 
>schreien, wie es einem die nazis vorexerziert haben.
>
>man kann deutsch bei deutsche medientheorie auch anders verstehen, denn 
>als identitätsstiftendes prinzip. eher als lockerer verbund einer 
>zufälligen lokalen gemeinsamkeit, ähnlicher lektürepraxis und 
>buchstabenerfahrung mit dennoch unterschiedlichen herangehensweisen, etc. 
>geht ja auch nicht darum, dass man jetzt das deutsche betont. eher das 
>medientheoretische - und da gibt es ja nunmal im deutschsprachigen 
>irgendwie so lektüre und diskussionsgemeinsamkeiten, in deren feinheiten 
>man nicht vorstoßen könnte, wenn man jetzt was internationales macht. oder 
>was europäisches.
>
>besides: medientheorie ist eh schon krautrock, meint also: eh schon sehr 
>deutsch. woanders spielt der begriff "medien" eine weitaus geringere rolle 
>in der intellektuellen debatte. hier dagegen hat er ganze deutsche 
>forschungs- und kulturförderungen gepflastert. der begriff medientheorie 
>ist also deutsch, aber eben nicht voll mit etwas spezifisch deutschem. 
>dazu ist er zu divergent. deshalb, pit: europa: sowieso, aber klar. aber 
>eben nicht einfach als größeres deutschland. das wäre doch auch nur wieder 
>ein pseudo-internationalismus. glaube eh: die deutschland debatte ist eine 
>andere und eigene im gegensatz zur medientheorie-debatte. dass da, bei dem 
>medientheorie-ding, keine klare zielrichtung auszumachen ist, mag nichts 
>heißen. ein gewusel ist da nämlich schon, das aufmerksamkeit verdient hätte.
>
>es gibt in der medientheorie, jetzt nachdem die stumpfe stierköpfigkeit 
>von technikdetermination vs. das-subjekt-kann-aber-doch-entscheiden 
>beendet ist, einiges zu diskutieren, auf jedenfall in der begrifflichen 
>organisation. denn wenn man beides zusammen denkt, veränderbarkeit durch 
>subjekt und determination durch medium, wie macht man das? wenn das medium 
>keinen stabilen sinn hat, sondern selbst veränderbar ist, was bleibt dann 
>noch von der theorie, dass medien etwas anderes tun, als sich dem 
>vorhandenen einfach anzuschließen? wie stark ist ein medium (ich hoffe 
>doch, ein wenig!)? was passiert im moment des anschlusses? kann man die 
>hardware-software-trennung, die trennung in form und medium bzw. in medium 
>und daten noch weiter aufrecherhalten? was kann man anstelle dessen 
>denken? wie interagieren sie?

Das sind interessante Fragen, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie 
wirklich noch Gegenstand von *Theorie* sind. Wenn man anfängt, über solche 
Sachen zu sinnieren, dann ist man eigentlich an dem Punkt angekommen, wo 
man gucken sollte, was die Leute mit diesen ewigen Medien denn nun 
eigentlich anfangen. Da gibt es ja so einiges... ;-)

Wenn man solche Praktiken aus der eigenen Wahrnehmung solcher Prozesse dann 
in Begriffen zu fassen versucht, ist das nach altdeutscher Lesart aber 
keine hohe (Medien-)Theorie mehr, sondern Journalismus, teilnehmende 
Beobachtung, Essayistik oder was auch immer. (Interessanterweise sind viele 
der Beispiele für gelungene Theoriebildung, die Florian nennt, nicht an der 
Uni, sondern aus so einem essayistischen Impetus entstanden, Walter 
Benjamin haben sie ja noch nicht mal habilitiert mit seiner 
Trauerspiel-Arbeit.)

Ich würde, schon allein um Missverständnisse zu vermeiden, vom Begriff der 
Theorie abstand nehmen. Für das, was ich mache, passt "Medienästhetik" 
wahrscheinlich sowieso viel besser.

Gruesse,
Tilman