[rohrpost] betrifft: deutsche medientheorie
Till von Heiseler
Till_N_v_Heiseler at web.de
Don Okt 21 13:17:05 CEST 2004
Lieber Geert,
Die Deleuze-Mode von wegen „Rhizom“, „organloser Körper“ etc. ist natürlich unerträglich: nebelig und bedeutungsschwanger. Aber hier sprechen wir von den Epigonen. Der Autor Deleuze verdient, von seiner Verwendung unterschieden zu werden. Es gibt zwei kurze Texte ein Interview mit Negri „Kontrolle & Werden“ und „Postskriptum über die Kontrollgesellschaft“, die sehr beeindruckend sind und womöglich eine Brücke zwischen Medientheorie, politischer Philosophie (im Sinne Castoriadis) und Aktivismus bilden könnten. Die Texte treffen die Unterscheidung zwischen den Begriffen der Souveränitäts-, - Disziplinar- und Kontrollgesellschaften. Disziplinargesellschafen sind mit den großen Einschlussmilieus assoziiert: Fabriken, Kasernen, Gefängnissen etc. In der Kontrollgesellschaft – bitte entschuldigt die Gewalt der Vereinfachung in dieser Kurzschrift – damit, dass die Macht sich verflüssigt. Diese Verflüssigung setzt natürlich auch einen bestimmten Mediengebrauch voraus, so dass die Botschaften der Unternehmen in Form von Marketing (Werbung heißt auf Spanisch: Propaganda) ins letzte Stübchen dringen können. Kontrollgesellschaft ist also an elektronische Übertragungsmedien gebunden.
...in der Kontrollgesellschaft, schreibt sich
die Kontrolle als Wunsch in den Kontrollierten ein.
Management by love.
Konsumwunsch schafft das Motiv Profit.
Marketing verknüpft Identität mit Ware. Ex negativo: Nicht-
Konsumenten mit dem Verlierer.
Karriere nennen wir das Reflexiv-Werden des Profitwunsches
als Blick
auf mehr
und mehr Profit...
Ein paar Zitate:
Angeblich haben Revolutionen eine schlechte Zukunft. Aber dabei bringt man zwei Dinge durcheinander: die Zukunft der Revolutionen in der Geschichte und das Revolutionär-Werden der Menschen. Es sind in beiden Fällen nicht einmal dieselben Leute.
Wie kann das Minoritär-Werden stark werden? Wie kann der Widerstand zum Aufstand werden?
Die Majorität definiert sich durch ein Modell, mit dem man konform gehen muss. Zum Beispiel der durchschnittliche Erwachsene, männlich, städtisch, Europäer... Während die Minorität kein Modell hat (hier setzt vielleicht der Begriff der Multitude an {Negri, Hardt}), sie ist ein Werden, ein Prozess.
Wir treten ein in Kontrollgesellschaften, die nicht mehr durch Internierung funktionieren, sondern durch unablässige Kontrolle und unmittelbare Kommunikation.
Im Kontroll-Regime hat man nie mit irgend etwas abgeschlossen.
Jeden Gesellschaftstyp kann man selbstverständlich mit einem Maschinentyp in Beziehung setzen: einfache oder dynamische Maschinen für die Souveränitätsgesellschaften, energetische Maschine für die Disziplinargesellschaften. Kybernetik und Computer für die Kontrollgesellschaften. ABER DIE MASCHINEN ERKLÄREN NICHTS, MAN MUSS DIE KOLLEKTIVEN GEFÜGE ANALIYSIEREN, VON DENEN DIE MASCHINEN NUR EIN TEIL SIND. (Hier müsste man fragen, was ist vor welchem Horizont und mit welcher Stoßrichtung das bessere Erklärungsmodell? Medienontologie oder Systemtheorie, soviel zum Medienapriori {den man fundiert nur mit dem Begriff der Emergenz also mit der Systemtheorie widerlegen kann.)
Der Glaube an die Welt ist das, was uns am Meisten fehlt; wir haben die Welt völlig verloren, wir sind ihrer beraubt worden. An die Welt glauben, das heißt zum Beispiel, Ereignisse hervorzurufen, die der Kontrolle entgehen, auch wenn sie klein sind...
(Alle Zitate aus dem Negri-Interview, Futur antérieur, Nr. 01, Frühjahr 1990)
Der andere oben angesprochene Text ist genauso spannend. To be continued...
> soll eine Tagung ueber Deutsche Medientheorie in
> Amsterdam auf Englisch gehalten werden?
Zunächst 7 Gründe deutsch zu denken:
Hegel
Hölderlin
Marx
Celan
Luhmann
Adorno
Heidegger
Ob es eine deutsche Medientheorie gibt, ist abhängig von der Definition und Strategie. Eine Frage, die gesellschaftlich denkende Personen vielleicht mehr interessierte, wäre: Kann/sollte es einen Diskurs über Medien in deutsch geben und was würde damit – auch ganz konkret gesellschaftlich – gewonnen? Ein derartiger Diskurs hätte dann Sinn, wenn es deutsche Literatur gäbe, die nicht wirklich übersetzbar ist (s.o.). Der deutsche Idealismus ist englisch nur bedingt behandelbar. Die Hegelianische Dialektik bezieht sich ja gewissermaßen auf die dreifache Bedeutung des deutschen Wortes „Aufheben“.
Mit der Luhmannschen Systemtheorie ist nun eine Theorie entstanden, deren Bedeutung noch nicht wirklich ausgelotet wurde und zwar vor allem aus zwei Gründen: erstens bedeutet Kenntnisnahme hier Arbeit und zweitens lässt sich Luhmann schlecht zur Selbststilisierung benutzen (dafür nimmt man lieber Foucault & Deleuze), und zwar deshalb, weil es Luhmann Spaß machte, sich als konservativ zu stilisieren. Unsere These ist: Luhmann ist beim jetzigen Forschungsstand nicht übersetzbar. Wenn uns nun die Frage interessierte, ob es eine systemtheoretische Medientheorie geben und ob diese praktisch werden könnte, auch im konkret politischen Sinne, dann wäre es angebracht, diesen Diskurs auf deutsch zu führen und zumindest die Fähigkeit, Luhmann im Original zu lesen, vorauszusetzen.
Formuliere ich meine Utopie einmal in Form eines sicherlich nicht anschlussfähigen Vorschlags:
Ausgangsfrage: Kann Medientheorie zum (Meta)Instrument gesellschaftlicher Veränderung werden? (Stoßrichtung) Wie würde eine systemtheoretische Medientheorie aussehen? (semantische Ebene) – (Weitere Stichworte:) Systemtheorie und Parteinahme – Aktivismus jenseits des Subjektkonzeptes – (Epistemologisch):
Medienontologie oder systemtheoretische Evolutionstheorie? (Stenogramm: „Emergenz“ ersetzt(e) „Medien“ ersetzt(e) „Subjekt“ ersetzte „Gott“ als Erklärungsprinzip).
Entschuldigt die grobschlächtige Art, Diffizilität braucht Zeit...
Glück zu allen!
t.
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