[rohrpost] Tiamat Verlag verbietet link auf einem Internetseminar

Till Nikolaus von Heiseler Till_N_v_Heiseler at web.de
Don Aug 18 14:13:58 CEST 2005




> > > Modell-Anspruch angetreten und weitgehend gescheitert. Letztlich kamen
> > > die wichtigen netzkulturellen Impulse, von der Urheberrechtsdebatte bis
> > > zu Techniken wie Weblogs und Wikis, aus der Freien Software-Szene und
> > > nicht von Künstlern und Medienkritikern.
> > 
> > zur ehrenrettung(?) der kunst muss man aber sagen, dass technische impulse
> > im grunde noch nie sache der künstler waren. auch was gesellschaftliche
> > impulse im allgemeinen betrifft, habe ich da eher so meine zweifel... in
> > beiderlei hinsicht sind z.b. die naturwissenschaften vermutlich wesentlich
> > relevanter. der rest riecht eher nach selbstüberschätzung
> > ("allmachtsfantasien in kunst und design" wäre mal ein nettes thema.)
> 
> Klar. Doch wenn ich mir die PDF-Faksimiles der alten Nummern von
> "Radical Software" aus den frühen 70er Jahren durchlese
> <http://www.radicalsoftware.org> oder den "Radio Alice"-Band von Merve,
> gewinne ich zumindest die Illusion, daß die experimentellen Künste
> damals erheblich mehr zur Entwicklung unabhängiger Medien beigetragen
> haben, als dies heute im Internet der Fall ist. Andererseits könnte man
> argumentieren, daß die heute viel breitere, nichtkünstlerische
> Partizipation an solchen Entwicklungen genau das ist, was die
> experimentellen Künste und Medienutopien damals erreichen wollten. Die
> Medien-Experimentalkünste arbeiteten, wenn man so will, damals
> hegelianisch an ihrem eigenen Ende und hatten damit erstaunlicherweise
> sogar Erfolg. ;-)
> 
> -F
> 

Die isolierten künstlerischen Versuche waren Anstrengungen, die der Logik der 
Kunst folgten, d.h. sie wollten durch die paradoxe Beziehung zur Tradition 
Geltung erlangen (ganz schön ausgeführt bei Groys „Über das Neue“). Kunst 
wie auch Wissenschaft haben eben keinen gesellschaftlichen Anspruch, 
sondern schieben diesen nur vor, um ihre eigenen Interessen, die auf 
der individuellen Ebene Karriere-Interessen sind, zu verfolgen. 

Nun aber sind wir historisch an einem Punkt angelangt, an dem sich gewisse 
Theorien  zusammenfügen könnten. Die zu entwickelnde Theorie könnte mediale 
Prozesse dann (das tut die biologische Evolutionstheorie schon lange) als 
Zusammenspiel von Code und Emergenz fassen. Nun braucht es einen Begriff, 
der den Übergang zur Praxis leistet. Hier kann es nicht um Kunstwerke gehen, 
nicht um Software, die nur Möglichkeiten schafft und keine Wirklichkeiten. 
Unsere These ist, dass es weniger darum geht, eine immer avanciertere Technik 
zu entwickeln, sondern darum, die bestehenden technischen Möglichkeiten in 
anderer Weise zu nutzen und jene Punkte auszumachen, wo Konventionen 
und tradierte Formate uns daran hindern, die Chancen der Gegenwart zu ergreifen. 
Mit operativ herbeigeführten Brüchen, mit der Einführung von Spielregeln, mit 
Entscheidungen für ungewöhnlichen Einsatz von Medien, mit Übertragungen von 
Strukturen, Arbeitsweisen und Proportionen von einem Medium auf ein anderes, 
mit der Neukombination von ästhetischer und semantischer Dimension, mit 
experimenteller Adressierung (vgl. http://www.wmg-seminar.de/html/adressierung.htm ) 
u.a. soll der Möglichkeitsraum, der in der Differenz zwischen dem Potential des 
physischen Mediums einerseits und seinem Gebrauch andererseits liegt, theoretisch 
und praktisch erkundet werden. Um diesen Differenzraum zu erforschen, bedarf 
es einerseits technischen und praktischen Wissens (um die Möglichkeiten des 
physikalischen Mediums nicht nur zu kennen, sondern auch nutzen zu können) 
und andererseits einer Analyse der Formate 
(vgl. http://www.wmg-seminar.de/html/formate.htm) und ihrer zwingenden Attraktivität.

Da aber auch die Theorie sich in Formaten entwickelt, ist eine Selbstanwendung 
möglich. Eine Medien- und Formattheorie könnte sich also nicht nur als Theorie in 
Medien und Formaten verstehen, sondern die diskursiven Bedingungen ihrer Ausbildung 
operativ berühren. Diese experimentellen Formate müssten vor dem Horizont ihrer 
möglichen globalen Wirkung reflektiert werden. Hierbei müsste man zunächst auf einem 
gewissen Abstraktionsniveau ansetzen: Sender/Empfänger-Verhältnisse, Transparenz, 
formalisierte Wege zu jeder internen Position, etc. etc. 

Um Derartiges zu leisten, braucht man ein gewisses Maß an wissenschaftlichem und 
künstlerischem Verstand. Der Zentralpunkt allerdings liegt in der Fähigkeit der 
Konzeption und Inszenierung von experimentellen Formaten. Dies verlangt Qualitäten, 
die dann eher aus dem Theater, dem Dokumentarfilm oder einer bestimmten Art von 
Performance kommen. 

Anfangen könnte man mit einem „Formatlabor“, aber davon vielleicht ein andermal mehr. 

Glück zu allen!
till

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