[rohrpost] Die transmediale im Spiegelstadium

Matthias Weiß mw at weisskunst.de
Son Feb 13 10:35:56 CET 2005


Die transmediale im Spiegelstadium – Ein Urteil mit Begründung

Unterstellungen, Behauptungen, Häretisches und andere Frotzeleien über die
gegenwärtigen Konstruktionsmängel eines Medienkunstfestivals und seiner
Gegenstände

Im Andenken an ein enorm fruchtbares Gespräch über Medien, Qualität, Kunst
und Geschichte sowie der Relation zwischen erster und zweiter Reihe mit
Susanne Ackers.

Von Matthias Weiß für wiki-institute

"Die Kunst sollte sich aber diese
theoretische Unbestimmtheit als Thema
nicht nehmen lassen durch die Verwaltung,
durch die sekundäre Funktionalisierung ihrer selbst.“
Hannes Böhringer, Künstlerphilosophentheologen,
in: Philosophen-Künstler, Berlin 1986, S. 20

Die transmediale ist das wichtigste Medienkunstfestival hierzulande. Wer
will das noch in Abrede stellen. Aber ist sie auch ein Kunstfestival? Wie
schon in den Jahren zuvor, seit Andreas Broeckmann die Federführung der
Veranstaltung übernommen hat, liegt der Schwerpunkt der Kernveranstaltung,
die vom 4. bis 9. Februar 2005 unter dem Motto „Basics“ im Haus der
Kulturen der Welt stattfand, auf einer Kunst, die sich besonders
derjenigen Künste annimmt, die sich mit der Veränderung der Gegenwart
durch Technik und Technologien beschäftigt. Was leider auch zur Folge hat,
dass sich die große Feier der künstlerischen Apparate nicht aus dem
ästhetischen Denken, das sich manchmal als Kunst objektiviert, nährt,
sondern aus dem diffusen Humus der sozialen und kulturellen Produktion
unter den Zeichen der wandelbaren, fabelhaften Medienkultur im Allgemeinen
speist. Immer noch finden natürlich die Vorstellungen der Videoarbeiten im
Kinoformat statt, aber im Mittelpunkt stehen natürlich die Bots und Bytes.
Es hat den Anschein, und das soll mit diesen Eindrücken und Gedanken ein
wenig häretisch hinterfragt und vorgeführt werden, daß es mittlerweile
ganz selbstverständlich ist, sich über das Ästhetische, das Künstlerische,
keine Gedanken mehr zu machen. Das sind nur noch Leerformeln, um alles
künstlerisch Durchdachte als verkrusteten Konservativismus zu deklarieren,
oder? Kunst ist jetzt fast nur noch Politics, ist nicht mehr mit den
überlieferten Gegenständen einer Kunstkultur und -tradition konfrontiert,
bezieht sich nicht auf sie, integriert sie nicht und setzt sich ihr durch
eingeübte Ausschlußverfahren nicht aus. Eventuell hätte sie in der gar
nicht so alten Kunst noch einen Gegenstand, an dem sie sich wuchernd und
sinnreich abarbeiten kann. Jedoch ist es schwer, ihr den Sinn nach
Sinnlichkeit - um nur einmal eine Kategorie klassischer Kunst zu nennen –
abzugewinnen, von Erfahrungen des Kairos gar nicht zu reden. Ich will
eigentlich der gängigen Zugangsweise zur Welt in Form einer handwerklichen
Ästhetisierung von technischen Apparaten nicht die Berechtigung
absprechen. Ich denke auch keineswegs, daß technisch orientierte Kunst ein
für allemal gestorben ist. Nein, das bloß nicht, ich werde aber leider das
Gefühl nicht los, daß diese doch schlauen Menschen es eigentlich besser
können. Sie erschaffen schicke Oberflächen, funktionierende Maschinen,
blinkende Visualisierer von elektromagnetischen Strömen, aber es bleibt
Experiment, sind elaborierte Abschlußversionen einer Testreihe, mehr
nicht. Sie funktionieren meist, manchmal nicht. Immer noch gleicht die
transmediale den Schauen auf Jahrmärkten, auf denen vermeintliche
Weltwunder die Neugier befriedigen sollten. Aber im Vollzug der Benutzung
drängt sich aus Rezipientensicht sehr stark die Frage nach dem Verhältnis
der angespielten Inhalte zu den Gestalt gewordenen Apparaten auf, ohne daß
sich je ein Panel noch qualitativ oder praktisch damit auseinandersetzte.
Stattdessen werden Roboter gebastelt und Videos mit Open Source gerendert.
Die Kunst und das Künstlerische verharren im Beta-Bereich.

Das gilt übrigens auch für eine große Anzahl nicht nur der
transmediale-Künstler sondern auch der Theoretiker drumherum. Sie reden
zwar häufig über Kunst, als dropterm für den Gesprächsverlauf und inneres
Band des gemeinsamen Zusammenhalts. Jedoch sind es häufig verkappte
Kulturwissenschaften, die Kunstwerke nur als vorausgesetzt erfahrenes
Beweismaterial für gesellschaftliche, soziale, politische oder maschinelle
Phänomene benötigen. Mein Vorschlag wäre daher, den Begriff der Kunst in
Relation zu Medien- und Maschinengestaltern ganz zu streichen und die
transmediale umzubenennen in „transmediale.0* international media
engineering and design festival berlin“. Diese argwöhnischen
Eingangsbemerkungen werde ich im folgenden anhand weniger Kunstwerke sowie
dem Anreißen von Argumenten der Redner auf den Podien zu belegen
versuchen.

In diesem Jahr ist auf der transmediale dennoch einiges anders als zuvor.
Der größte strukturelle Wandel hat in der Bewertungsweise mit der
Auflösung der Kategorien begonnen. Sprach man zuvor von „Image“,
„Software“ und „Interaction“ und ordnete bzw. kürte man anhand dieser
Begriffe auch die künstlerischen Einreichungen, ist ist nun das ganze
Material ohne Unterschied in einem großen Topf gelandet. Das Ende des
Schubladendenkens. Klasse, das ist ja richtig und politisch vollkommen
korrekt. Denn in der Unterscheidung liegt ja bereits eine Diskriminierung,
ohne es wirklich zu wollen. So etwas muß vermieden werden. Verhinderung
dieser Ordnung, die auch gleich an Machtverhalten gebunden werden kann,
ist demnach nur positiv zu bewerten. Aber das ist nur eine der umwälzenden
Änderungen. Es gibt auch noch das Moment des Wachstums: Die
Bundeskulturstiftung liefert hierzu offiziell die Aufforderung. Ohne es zu
quantifizieren, versprach Hortensia Völckers eine zukünftige
Unterstützung. Wachstum heißt einerseits räumlich. Der Platz für die
ausgestellte Kunst wurde sukzessive erweitert. Wobei ein Faktor immer noch
nicht bereinigt werden konnte: Man kann im Haus der Kulturen der Welt
eigentlich nur im Ausstellungsraum Kunst zeigen. Diese Messe-Atmosphäre
mit Snoozle-Ecken im Foyer ist ebenso tödlich wie das Kasernieren der
Videoarbeiten in die Enden von Gängen. Darüber hinaus bildet die
transmediale mit ihrem realen Wachstum (Zahlen folgen in einem gesonderten
Text) die Solowschen Gesetzmäßigkeiten (1956) perfekt symbolisch ab: Bei
anhaltend wachsendem technischen Fortschritt wird die Wachstumspolitik der
transmediale weiterhin erfolgreich sein. Damit hat sich das Fest endgültig
auf der Basis bundesrepublikanischer Gesetzgebung (StWG, 1967)
demokratisiert und ist zum Ort der Staatsmeinung geworden. Welche Folgen
diese Mutation – die im übrigen zwangsläufig ist, denn es gibt kein Außen,
das man nach innen holen kann – hat, sieht man in der ausgestellten Kunst,
einem Teil der Vortragenden, welche als Werbemittel instrumentalisiert
werden und damit systemstabilisierend wirken.

Viel wichtiger jedoch und genau dieser Logik folgend, scheint die
verstörende Aufforderung Andreas Broeckmanns zu sein, Maler und Fotografen
sollten doch ihre Arbeiten einreichen, wenn sie sich denn mit den neuen
Medien auseinandersetzten. Ich stelle mir vor, daß er die neue Art am
Kiosk gesehen hat und sie spontan wegen des schicken Titels gekauft hat,
daß er dann auch noch den Text schnell las und wahrnehmen konnte, daß das
bildtransformierende Verfahren des Malers Gosbert Gottmann als Ursprung
ein digital fotografiertes Fernsehbildes besitzt. Oder denken wir an
Skulpturen und Karin Sander, die Freunde von sich 3-dimensional und
miniaturisiert fräsen ließ. Das ist doch auch schon eine kleine Weile von
sechs, sieben Jahren her. Da muß man fragen, warum nicht eher? Es gibt
schon lange viele Malereien und andere Künste, welche sich der digitalen
Mittel bedienen und sie in ihrer jeweiligen Spezifität reflektieren, ganz
einfach deswegen, weil sich Künstler oft gar nicht um die Medienfestivals
scheren, trotzdem aber mit technischen Geräten arbeiten. Doch ist dies nur
eine Unterstellung. Weitere folgen.

Andreas Broeckmann antwortete übrigens vorauseilend auf Fragen. Das war
sehr interessant. Diese kamen wohl - ich unterstelle es jedenfalls - aus
dem Pressebüro der transmediale. Und oben, über dem Text, stand
„Frequently asked Questions“. Das Papier lag in der Pressemappe. Sicher
ist dies eine der üblichen, digital-folkloristischen Gesten und
Metaphorisierungen (man stelle sich einen Zettel in den
Informationsmaterialien der Art Cologne vor: „Rezeptbuch“, „Malmaterialien
zur Art Cologne“ oder ähnliches), aber interpretieren wir sie doch ein
wenig. Die Textsorte „FAQ“ basiert demgemäß auf der Erfahrung, daß viele
Journalisten immer dieselben Fragen stellen und daher mit einer
formalisierten und aus der Computerwelt entlehnten Hilfsbroschüre schon
einmal vornweg aufgeklärt werden können. Aber warum? Damit die berufsmäßig
Neugierigen dann schlauere Fragen stellen können? Ein FAQ ist dazu da,
Fragen zu beantworten, bevor sie gestellt werden können. Es wird auf
Computerprogramme oder andere technische Apparate angewendet und ist daher
immer schon eine Sammlung von Anfragen zu und über ein in seiner
Funktionalität begrenztes Produkt: „Wie installiere ich ein Update?“ Oder:
„Ich habe Probleme mit der Anwendung, wo bekomme ich außerdem Hilfe?“ Ist
die Frage beantwortet, ist dem Nutzer geholfen, da er ja - bevor die Soft
installiert wurde - das FAQ gelesen hat. Nur klingt jene Übertragung auf
die Fragehaltung und -weise von Journalisten merkwürdig und hinterläßt
einen befremdenden Eindruck. Und alles, was darin steht, läßt sich auch
anders deklarieren. Gut, das ist Korintenkackerei. Aber wie sieht's mit
dem anderen Service für die Berichterstatter aus? Eine Pressekonferenz zur
gesamten Veranstaltung findet irgendwann, nur nicht zeitnah statt. Aber
man kann dann ja zwischendurch so eben mal einen Termin mit den
Verantwortlichen machen. Zwischen Tür und Angel. Denn ansonsten sieht man
die wichtigen
Ansprechpartner nur Sentenzen zu Bekannten versprudeln, wie: „Ich kann
hier nicht bleiben“. Im sogenannten „Workspace“ war das, inmitten des
Publikums am Freitag. Derjenige, der dort nicht bleiben konnte, wollte –
Unterstellung - einfach keine Oberfläche zur Ansprache anbieten. Lieber
imaginiert man vorab, was denn die Riege der Berichterstatter zu fragen
hat, antizipiert das Mögliche, simuliert ein „Programm“, nachdem sich
Journalisten zu verhalten haben und schreibt ein FAQ. Ich wünschte mir
dann aber auch eine Lizenz, ein Handbuch, ein Readme. Aber die
transmediale kann nicht unter die GPL gestellt werden, das hat schon die
Entdeckung der inhärenten Wachstumslogik gezeigt. Aber halt. READMEs und
Handbücher haben wir doch. Die Eröffnung und die Pressemappe. Da wurde
alles daher geredet. In der Mappe steht alles, und das Handbuch wird
gleich mitgeliefert. Ich werde das Gefühl nicht los, daß Festivals eine
Geschlossenheitsmechanik für sich herstellen. Eigene Gesetze, eigenes
Gebaren, eigene Berichterstatter, alles auf Pampers-Nummer-Sicher.
Eingepackt in Gedankenwindeln für Hofschreiber.

Apropos Hofschreiber. Was am Sonntag zum Thema in der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung von Harald Staun verbreitet wurde, schlug dem
Faß den Boden aus. Wie man Camille Utterbacks „Untitled 5“ unter
Abstraktion subsumieren kann, das ist mir ein Rätsel und wird es auf ewig
bleiben. Warum schreibt nicht mal Werner Spies über so etwas. Dann käme
wenigstens etwas an Bildung an der Öffentlichkeit. Wenig informiert,
affirmativ, unkritisch und sprachverliebt beschreibt ein Autor das Projekt
transmediale.05, ohne auf das Festival und sein Thema einzugehen.
Stattdessen ein Absatz mit den üblichen unreflektierten Vorurteilen, ein
wenig Lobhudelei für vermeintliche Reaktion (Utterback) und passive
Deskription ohne Urteils- und Einfühlungsvermögen. Das war leider ein
Armutszeugnis für Deutschlands Sonntagszeitung mit dem stärksten Wachstum,
den größten Gewinnzuwächsen und den meisten Gestaltungslorbeeren. Wie
schade. Dabei ist dort der Ort der Schnittstelle. Hier müsste ein
wirklicher Experte schreiben, der etwas von seinem Metier versteht und
nicht nur rhetorische Leerformeln „Zeugnis der Besessenheit“, „absolute
Ereignislosigkeit“, „Mangel an Anschaulichkeit“, „metaphysisch verklärtes
Rauschen“, oder: „Das Bild wird tatsächlich von ihm [dem Benutzer, über
Utterback] erzeugt, seine Bewegungen werden von einer Kamera erfaßt und in
Algorithmen übersetzt und diese wiederum in graphische Figuren.“ Wie
unpräzise! Vorwegnehmend nur zu diesem einen Satz: Was sind graphische
Figuren? Wie macht man das anschaulich? Das waren Striche, Linien, teils
skriptural anmutende Kürzel. Weiterhin: Was übersetzt denn sensorisch
aufgefangene und gepufferte Daten in Algorithmen? Algorithmen etwa? Auf
der Basis solcher Oberflächlichkeit kann kein Urteil stimmig werden. Daher
dieses mediokre Daherschreiben. Leute, lernt Vokabeln und lernt
beschreiben. Sammelt Erfahrungen an den Arbeiten zuerst und nicht am
übergestülpten Diskurs. Dann können wir weiter in Richtung Kunst denken
und einmal über Kritik sprechen. So macht sich der Autor nur zum Mittänzer
im Ringelreihen der Diskursvermeider um Frau Völckers. Er wird Werbeträger
und Erfüllungsgehilfe für den nächsten Finanzierungsplan. Es geht weiter
und wächst. Und irgendwann schreiben auch das Artforum oder Texte zur
Kunst fröhlich mit. Dagegen fordere ich zur Radikalisierung der Kritik auf
der Basis einer reflektierten Begründung auf.

Doch zur Veranstaltung zurück: Statt einer Pressekonferenz zur Sache
selbst, eines Presseraums mit Arbeitsatmosphäre und Aufenthaltsqualität,
wird man mit einer Pressekonferenz über die in 2006 kommende Ausstellung
abgespeist. Und am letzten Tag, wenn die Mittel und körperlichen
Ressourcen bereits erschöpft sind, werden die Ergebnisse der Awards des
Festivals bekannt gegeben. Endgültige Zahlen gibt's erst nach dem
kommenden Wochenende. Leider waren meine zeitlichen und finanziellen
Mittel am Limit, so daß ich mir einen weiteren Tag in der Hauptstadt nicht
mehr leisten konnte. Aber das ist mein Problem. Es wird noch ein weiterer
Text mit den per E-Mail abgefragten Details folgen. Oh, welche
Säuerlichkeit schreibt sich hier Luft! Ich bedauere es sehr, daß mir
regelmäßig bei derartigen Veranstaltungen der Kragen zu eng wird. Und ich
liege vielleicht auch gar nicht richtig. Vielleicht ist es mir nicht
gelungen, das Experimentelle des Festivals, seine Fragehaltung an die
Community zu verstehen. Ich habe mehrere Leute befragt, und die einhellige
Meinung war, daß man an der transmediale nicht vorbei kommt, daß sie ein
gutes Festival sei. Also was soll dieses unfreundliche Lamento? Es geht
ganz einfach um eine Rundumerfassung der Qualität dieses „Leuchtturms“.
Wer hell auf einer Höhe sich drehend leuchtet, macht sich nur punktuell
sichtbar. Der Turm hat aber am Tage weniger Glanz, sein Mauerwerk wird
sichtbar, und der Kopf ist offensichtlich immer sehr weit vom Boden
entfernt, wobei der Rumpf aufgrund der Funktionalität des ganzen vertikal
ausgerichtet ist.

Diese Einschätzung führt mich zu einem Blick auf die Modi, unter denen ich
die Arbeiten in der Ausstellung, dem Kernbereich des ganzen Betriebs,
betrachte. Mittels zweier Termini, dem Expliziten und dem Impliziten,
möchte ich mich ihnen qualitativ annähern. Das Implizite, damit meine ich
die im Werk oder der Arbeit sich notwendig hervorbringende innere Logik
mit der - bewußt oder unbewußt - die Teile, Themen und Mittel zueinander
in zwingende Relation gebracht worden sind, eine Qualität, welche bereits
Sedlmayr bei Herbert von Einem lernte (in Kunst und Wahrheit schreibt er
das zumindest auf der ersten Seite so) und in der Ikonik Max Imdahls (aus
der Zeit von seinem Buch über Giottos Arenafresken) ihren Höhepunkt in der
Geschichte der Kunstgeschichte fand und einen methodischen Zugang zu Kunst
öffnete, der systemisch nicht nur an die alte Kunst von Ereignisbildern
gebunden ist, sondern strukturell auch auf je verschiedene Erscheinungen
der Gegenwartskunst angewendet werden kann. Qualitativ kühne Kunst wäre
nach Imdahl eine Kunst des Impliziten; hingegen stünde dem, ohne daß er
sich entsprechend in seinen Schriften hierzu geäußert hätte, das
Explizite, das sich in einem plakativen Sinn und unter anderem in einem
künstlerisch ungebundenen Kontext erschöpft, bipolar entgegen.

Sicher sahen sich die beiden Kunsthistoriker nicht direkt mit der
Problematik konfrontiert, welche sich in jener künstlerischen Arbeit
zeitigt, die von statischen Artefakten weit fortführt. Sicher hätten sie
sich zeitnah Gedanken über DADA oder Fluxus machen können, doch vielleicht
war es noch nicht an der Zeit, eine Logik der Betrachtung und Beschreibung
und zu entdecken und zu entwickeln, die eben nicht nur für Bilder oder
Skulpturen aussagekräftig ist. Imdahl hatte sein Fundament auf dem
Modernismus. Über Sedlmayr müßte man sich gesondert Gedanken machen. Ich
bleibe im Modellhaften der Beziehung zwischen den beiden Begriffen: Also
zurück zum Ex- und Impliziten. Sicher, wenn man sich den Verstand beiseite
geschraubt und programmiert hat, können einem auch so manche
Kunsthandwerkeleien gefällig sein, welche ich unter dem Stichwort
„Explizit“ subsumieren würde. Vielleicht erblindet man schlicht
irgendwann, wenn man zu lange vor einem Bildschirm sitzt, gefangen in den
schätzbar begrenzten logischen Parametern einer formalisierten Sprache,
welche einem naturgemäß ein enges Zaumzeugs anlegt. Vielleicht ist dann
der Raumbezug nur Nebensache. Vielleicht kommt es dann auf den Beamer, die
Hardware eben an. Aber warum? Ich erinnere eine unbetitelte Arbeit (1997)
von Bill Spinhoven, die hartware in der Ausstellung „Short Cuts.
Anschlüsse an den Körper“ im Jahre 1997 zeigte. Auf einem schmalen Sockel
befand sich für die Aufsicht ein kleiner LCD-Monitor in einem Gehäuse.
Mittels einer Kurbel, ähnlich der einer alten Kaffeemühle, brachte man ein
Bild hervor, und je schneller man kurbelte, um so deutlicher manifestierte
sich eine Glühlampe, in deren Leuchtkörper bei höchster Intensität des
Drehens ein lächelnder Babykopf auftauchte. Ganz einfach, die Technik, und
doch mit hochgradig komplexer Implizität. Selbstredend empfindlich, aber
diese Relation zwischen der Ikonographie und der Tätigkeit des Rezipienten
ist es gewesen, welche das Stück zum Meisterwerk der Medienkunst machte.
Diese Arbeit braucht keine Anbiederung an sündhaft teure Hardware, und sie
speist sich auch nicht durch ein parasitäres Verhältnis zu
Wissensgebieten, ohne diese zu thematisieren. Aber vielleicht ist sie ja
zu arty? Also was sah ich dagegen auf der transmediale? Eine kleine
Auswahl: Ich sah beispielsweise „Suburbs of the void“ von Thomas Köner.
Die Arbeit ist so schnell gesehen und beschrieben, daß einem fast
schwindlig wird. Der Blick auf ein Stück Straße in einem nebligen Winter
changiert unmerklich. Ein Licht geht an, dann wieder aus. Wo das Setting
ist, weiß man nicht, wer da filmt, weiß man nicht, eine der Vorstädte der
Leere? Man sollte sich nicht an den Titel halten bzw. den nicht zu
wörtlich nehmen. Denn das Bild zeigt keine Leere, sondern der Titel bringt
eine Wertung des Sichtbaren aus der Perspektive des Unverständigen zum
Vorschein. So muß ich das schließlich sehen, denn Informationen darüber,
woher die Interpretation der Perspektive jener anonymen Kamera als Leere
kommt, werden mir nicht gegeben. Eigentlich ist sogar die Zuschreibung der
Lage als Vorort infragezustellen. Aber – hypothetisch - was veranlaßt den
Betrachter dazu? Man weiß es nicht. Ich gehe meinen Gedanken nach und
denke: Das erinnert mich an einen dieser schneekalten Tage in Leipzig, an
dem es um die Bahnhofsgegend am Robotron, dem Astoria, so winterlich
melancholisch war, und man strauchelte, weil kein Geld zum Räumen da ist;
Schneeflocken fielen aus dem windlosen Himmel nicht, sie glitten auf ihrem
Segel und erfreuten mich mit ihrer paradoxen Mannigfaltigkeit, die mir
verdeutlichte, wie einfach man die Relation zwischen Augenblick und
Ewigkeit erleben kann. Doch ich spüre, die Gedanken schweifen, und -
retour - das Schild, fern von Leipzig, in der Ausstellung, weist in eine
andere Richtung. Ich lese „Überwachungskamera“. Übers Internet. Anonyme
Bilder einer Gesellschaft, die selbst mit diesem Blick, der nichts
sichtbar macht, als ein Panorama über einen Flecken auf dieser seltsamen
Erde, den man nicht erkennt. Aber das ist ja genau die Umstülpung der
Bildidee von Wolfgang Staehle, der das zudem noch mit dem Echtzeitlichen
verknüpfte, damals auf der „go public“ war‘s wohl. Und ich denke an noch
ältere Arbeiten beispielsweise das Time-Square-Projekt von Sascha
Buettner, bei dem sich sogar noch der Ursprung der Bilder ausmachen ließ,
der auch das Projekt ein wenig anders, komplexer anging, was die
Thematisierung von Zeit anlangte. Dafür brauchte er keinen Beamer. Und ich
denke nicht zuletzt an Smoke, Paul Auster und Harvey Keitel, der dem
Rauchwarenladeninhaber ein Gesicht gab, das sich mitteilte. Aber dies
hier? Und nominiert? Abgekupferter Schrott. Sentimentalisch,
interpretierend, anspielend aber leider nur explizit.

Es geht aber noch besser. Richtiger Wahnsinn akzeptierterweise setzt ein,
wenn noch ein wenig Witz hinzu kommen soll. Einen Sprach-Bild-Kalauer hat
Eva Teppe produziert, den man im wohlmeinenden Falle noch als Parodie auf
den ersten Satz von Ludwig Wittgensteins „Tractatus Logico Philosophicus“
deuten kann. Sie filmte die „Castellers“, Sportler in Spanien die mit
ihren Körpern Pyramiden aufbauen. Je höher desto besser. Doch der Einsturz
ist programmiert. Im übrigen ist dies auch eine Nominierung. Und diese
Pyramide fiel - wie alle - in sich zusammen. Das filmte die Künstlerin in
träger, Zeitlupe, mit schlierig verschwommenem Bild, schwammig, gegen die
versuchsweise paragraphische Korrektheit der Philosophie anfilmend. „Die
Welt ist alles, was der Fall ist“, heißt die Arbeit. Hier offenbart sich
das Explizite mit einer Blödheit, die kaum noch zu übertreffen ist. Und
die Macher des Programmhefts können dies noch übertreffen: „Die
titelgebende Sentenz ... wird in ihrer scheinbar simplen Aussage gebrochen
und als Metapher interpretierbar.“ So so, was so ein Bewegtbildchen alles
schafft. Ich hätte mal gern von Herrn Wittgenstein oder seinen Exegeten
gewußt, wie sie das denn sehen, wenn aus dem ersten Satz eines der
wichtigsten philosophischen Versuche (das meine ich so) des 20.
Jahrhunderts, ein bildlicher Existenzialistenjoke generiert wird, der an
Oberflächlichkeit nicht zu übertreffen ist. Man fragt sich allen Ernstes,
auf welche Weise Leute wie Köner oder Teppe bei solch bodennahem Niveau
einen Abschluß an einer Akademie hinbekommen haben. Treppenwitz und
unreflektierte Langeweile. Und das in einem alten Medium namens Video. Wer
dafür Geld ausgibt, der ist selbst Schuld. Ich spare mir Geld und andere
Betrachtungen und komme zu den eher technischen Apparaten, die nicht ganz
so arty sind.

Auch hier habe ich mir aus der Vielzahl der Angebote ausschließlich
Rosinen herausgepickt. Meine Lieblingsarbeit ist „Pongmechanik“ von Niklas
Roy. Es handelt sich um ein geschickt gebautes Steuerungssystem, das
schlicht das alte „Pong“-Videospiel von Atari aus den 70er Jahren in eine
mechanische Variante verwandelt. Ich hoffe, daß es sich hierbei um eine
Diplomarbeit handelt. Denn von einem preisenswerten Kunstwerk ist das
Objekt weit entfernt. Es ist nur, um im Begriffsrahmen zu bleiben,
explizit und nichts sonst, da es bei aller Transparenz und allem Witz nur
ist, was es ist: das Ergebnis einer stupiden Übertragungsleistung. Welche
geistigen Wirkmächte muß man hierfür beschwören: Zum einen sollte man in
einer Zeit groß geworden sein, in der Pong wieder retrofashionable wird.
Zum zweiten muß man versiert genug sein, die Mechanik zu ersinnen, die
einen echten Pong echt analogisiert. Und das ist - Hut ab - wirklich sehr
gut gelungen. Ob dies aber nun das Niveau der Relation beispielsweise
zwischen Marcantonio Raimondi und Raffael unter der Ägide Digitaliens
abzubilden oder zu aktualisieren vermag, sei dahin gestellt. Ich glaube es
nicht, aber das ist auch nicht die Frage der Festivaller. Und ich sehe es
nicht, und so lange ich über die Arbeit nachdenke, werde ich auch nicht
klüger. Das Spielen ist witzig, die Idee ist witzig und sonst? Das ist
eine materialisierte Form der kopflosen Kreativität einer
Spaßgesellschaftskreatur, die sich nur parasitär und ohne Logik an
bestimmte Partialobjekte männlicher Techniksammler koppelt. So auch im
promovierenden Video der Präsentation. Replikobjekt hier: die Sendung mit
der Maus. Und natürlich ist dabei die einzige Frau, die auftaucht, auch
die Blöde, wenn sie drehbuchgemäß keine exakte Definition eines Relais
angeben kann. Nehmt diesem jungen Chauvinisten das Mikro aus der Hand.
Gebt solchen Verachtern keinen Raum für ihre Menschenverachtung und
Kunstvernichtung, die sich aus der gameboyverblödeten Sackträgerhybris
speist! Das ist nicht mehr lustig. Eine Katastrophe. Dieses Bastelzeugs
aus pubertierender Hirnigkeit ist keine Kunst, nirgendwo. Solche Arbeiten
spiegeln die Freiräume gesponserten Blödsinns, wie sie vielfach durch die
Medienkunstausstellung geistern. Und sie werfen ein klares Licht auf die
prekäre Situation der technisch basierten Künste der Gegenwart. Konnte man
Woody und Steina Vasulkas Experimente als solche noch problemlos entdecken
(Danke für die Bewegtbilder, Woody!), sah man, wie sich beide in Relation
zum System der Künste setzten und dabei mit unglaublicher Freude mit dem
Unerwarteten des Verhaltens der Systeme operierten, so grassiert hier
abgeschlossene Fetischisierung, Statik, Stillstellung, Langeweile. Ich
habe nur Mitleid mit den Menschen, die sich damit zufrieden geben. Und
entgegen Kittler: Ich ziehe jede stupide Skulptur von Käthe Kollwitz einer
derartigen Explizität vor.

Eine weitere Unglaublichkeit ist das unreflektierte, animierte und
reaktive Tafelbild von Camille Utterback namens „Untitled 5“. Der Benutzer
kann auf einem abgegrenzten, rechteckigen Feld Impulse an einen Computer
geben, der diese nach bestimmten Algorithmen in simulierte Pinselstriche
auf mehreren flach sich überlagernden Bildtiefenschichten und mit mehreren
Farben übersetzte. Ein hell-beige-grauer Grundton dominiert. Die
Strichlagen erscheinen knapp, eckig, hakelig. Geben aber in der
Zusammensicht vor, malerische Geste zu sein. Dies ist eine stilistische
Anlehnung, deren Banalität erschreckt (s. o.). Als wäre es das erste Mal,
daß man mit solch einer Erscheinung konfrontiert würde. Hier zeigt sich
das ganze Problem der Programmiererfolklore: Was Myron Krueger bereits in
den 70er Jahren viel überzeugender und konzeptuell dichter in seinen
Environments realisierte, wird hier unter fadenscheinigen
Qualitätskriterien wie Komplexität der Programmlogik oder enorm viel
Rechenleistung als Kunst definiert. Bildgebungskitsch auf technisch hohem,
intellektuell unterem Niveau ist dies, welcher zugleich auch noch
überhaupt nicht reflektiert bzw. unter Spannung setzt, was mein
auslösender Körper in Relation zum produzierten Bild eigentlich bedeutet,
welche Körperlichkeit dies ist, die von dem Bild über ein Tracking
adressiert wird? Irgendwo siedeln sich diese farblich leicht schmuddelig
wirkenden Allover-Strukturen im Niemandsland einer Bildlichkeit ein, die
vergeblich versucht, eine Relation zur gestischen Malerei des Drippens von
Pollock oder der impulsiven Arbeit der Informel-Künstler wie Fred Thieler
und deren Körperlichkeit und die Instantaneität im Malvorgang
herzustellen, was nicht im entferntesten gelingt. Sie zitieren aber,
lieber Herr Staun, eben keine vermeintlich beliebige „Abstraktion“,
sondern wenn, dann Ungegenständlichkeit. Denn bis auf eine Spur, finde ich
keinen optischen Bezug zu den Bildmitteln, wobei die Arbeit der
Algorithmen hinter Schloß und Riegel bleibt. "Mind the Gap between the
Image and the Crap", empfehle ich. Es kann daher parallel in der Deutschen
Guggenheim anhand der Papierarbeiten Pollocks gelernt werden, was
Utterback vielleicht meinen könnte, aber nicht zur Anschauung zu bringen
versteht. Immer noch ist das Triggern eines formengenerierenden
Algorithmus in einer Tracking-Installation etwas vollständig anderes, als
die Arbeit des Malers. Wenn der qualitative Abfall gegen die Bildleistung
der  traditionellen Malerei nicht so gewaltig wäre, könnte man darüber
reden, was das Spezifische der Auseinandersetzung wäre. Auf diese
Feinheiten fehlen aber im Werk jegliche Hinweise.

Apropos Abstraktion. Einen Raum weiter wird man erleben können, was das
sinniger Weise sein kann. „Gravicells – Gravity and Resistance“ von Seiko
Mikami und Sota Ichikawa führen es anschaulich vor. In dieser Arbeit, die
über ein GPS-System auf einem abgesteckten und formal aufgelösten
Sensorraum, erlebe ich meinen Körper (ich muß nachdenken, um zu
beschreiben, ist das nicht großartig?). Und ich erlebe und ersehe
Kraftfelder, die ich produziere, wenn ich die leicht und seerosenblatthaft
schwankenden, quadratischen Felder mit Vorsicht betrete, auf einem
Display. Auch hier wird visualisiert, aber die räumliche Unvorstellbarkeit
einer Sensorik Außen im Weltraum, der Eigenkraft, welche über Projektionen
in Relation zu meinen Mitnutzern zur Anschauung kommt, produzieren eine
Komplexität, die mich mit Fragen konfrontiert, die mich in meiner formalen
Sensibilität fordert und anstrengt im positivsten Sinne. Ich denke, daß
ich der Arbeit noch einen Text folgen lasse. Eine weitere Quelle
aufklärenden Lichts war die Buchpräsentation Cornelia Sollfranks: Zusammen
mit Florian Cramer und Annette Schindler sprach die Künstlerin über das
Buchprojekt, den net.art generator und verdeutlichte mir, worauf es
ankommt. Ihre Interventionen sind gebunden an künstlerische Auffassungen
der Thematik und an Taktiken der Bloßstellung von Diskursen wie dem
Rechtlichen, dem Hacktivistischen und dem Künstlerischen mit formal
ökonomischen, geradezu minimalistischen Mitteln. Damit formiert eine
Arbeit wie der net.art generator eine systemische Skulptur, welche
Irritation und Offenheit bei gleichzeitiger formaler Stringenz und
Verbindlichkeit auslöst. Das Buch wird hierbei zum archimedischen Punkt im
Werk der Künstlerin. Sollfrank organisiert einen Diskurs und skulptiert
diesen meisterlich. Auch hierzu werde ich einen eigenen Text in bälde
veröffentlichen. Aber ich danke für das Podium und die Anregungen zum
Weiterverstehen und der Weiterbeschäftigung mit dem Werk.

Und nun wende mich wieder dem Festival zu: Ich bin in diesem Jahr wirklich
gern zur transmediale gegangen. Und ich denke, die Arbeit von Andreas ist
ausgezeichnet. Aus einer Innensicht. Was dazu kommt: Man trifft sich eben.
Aber, es gibt auch eine andere Perspektive, die des Befremdeten, des
Fremden, meiner Perspektive. Aus dieser ist es ist schwer, aufzulösen, in
welcher Relation das Festival zu Kunst, die Kunst zum Festival und die
Künstler zu den Kritikern und Technikern und so weiter stehen. Es wäre
lohnenswert, die schriftwerdenden Funktion der EMAFs, DEAFs, ISEAs,
transmedialen etc. diskursanalytisch einmal genau aufs Korn zu nehmen, um
die Dispositive beschreibbar werden zu lassen. Die Schrullen der
Medienkunstszene, Veranstaltungen zu produzieren, auf denen sich die immer
selben Menschen nach immer ähnlichem Habitus Ruhmesblätter zuschreiben und
gegenseitig Ehrenreden halten, haben sich nun aber zu Festivals mit
ausgewachsenenen Etats gemausert. Den Geldgebern - im Falle der
transmediale nun die Kulturstiftung des Bundes - ist sicher daran gelegen,
möglichst hohen Profit herauszuschlagen, das heißt: Ruhm akquiriert
Kapital und erzeugt Dauer hinsichtlich der Finanzierung von üblicherweise
nepotistisch vergebenen Arbeitsplätzen. Was unter den derzeitigen
Bedingungen, unter denen die meisten Kulturschaffenden zu leben haben, nur
gutzuheißen ist. Die transmediale, ein Phänomen der Wachstumslogik unserer
sozialdemokratisch-orientierungslosen, kreativitätsfeindlichen
Neoliberalität, welche durch ihre Sprachrohre lieber verkündet, Kritik zu
vermeiden und tanzen gehen zu wollen, um vermeintlich Verhältnisse zu
ändern, anstelle zu ermutigen, an einer fundierten Auseinandersetzung
teilzunehmen, ich habe das ja bereits angeführt. Das verhindert leider den
Fluß der Information, denn im Tanz sind wir nicht ganz bei uns. Unser Hirn
tanzt sich leicht zu Tode, oder zumindest wird‘s uns schwindlig, und
nurmehr der Abfall ist alles, was die Welt noch zu sehen bekommt. Diese
neue Allianz zwischen dem Bund und der Medienszene ist es nun, welcher
sich der Satz mit dem Kurzschluß zur tradierten Kunstszene verdankt.
Unterstellung: „Andreas, sorge dafür, dass ein wenig Fotografie und
Malerei zu sehen ist, dann bekommst Du noch mehr Geld, weil sich Deine
Künste endlich mal verkaufen lassen. Und das für jetzt und immerdar.“ Was
wahrscheinlich bis zum Ende der Legislatur meint, wenn ein bürgerlicher
Diskurs avancierte Künste mit reaktionären Zurückrufern die Mittel
vollständig zugunsten der Brücken, blauen Reiter oder Biedermeiereien
abdrehen wird. Aber wahrscheinlich denke ich zu weit. Es ist eher
anzunehmen, daß es einfach nur trendy ist, angesichts des gegenwärtigen
Erfolgs von Malerei, sich demgemäß ein wenig aufs Pferd zu schwingen.

Aber eine andere Situation bereitet mir mehr Kopfzerbrechen. Diese findet
auf den Podien ihre Offenbarung. Ich möchte sie mit dem Stichwort
Esoterisierung der Kunstwissenschaft durch medienaffines Personal belegen.
Gunalan Nadarajan, der auf einer - wie man hört - saturierten Position am
LASALLE-SIA College of the Arts in Singapur unterrichtet, bekam die
Gelegenheit, auf mehreren Bühnen etwas zu sagen, und er ließ auch keine
Gelegenheit aus, seine Absonderungen – ob sie nun paßten oder nicht, zum
besten zu geben („thanks for the profound lecture, I think your right,
thank you“). Etwas. Etwas sprach da. Doch was war das? Und was für ein
Inhalt war das? Der blanke Unsinn. In seiner Positionsverschleierung riet
er mit fadenscheinigen Begründungen zur Abschaffung von Kategorien. Er
replizierte auf Christiane Paul, die eine positivistische und solide
Wiedergabe und Aufzählung verschiedener, computer- und vor allem
netzbasierter Termini und Werke in der Konferenz „Basics of media Art“
gab. Und überforderte damit die hilflos, fragenfrei und sprachlos wirkende
Mercedes Bunz, wie ich mir berichten ließ, denn ich ertrug bereits die
Anfänge Diskussion nicht mehr. Er forderte, ohne seine Rednerrolle näher
zu definieren, eine Geschichte des Hybriden, gemahnte an seine Entdeckung
einer Tradition algorithmisch basierter Automaten im Islam und sagte
ohnehin lediglich, daß es noch viel zu entdecken gäbe. Da gebe ich ihm
recht. Womit ich allerdings enorme Schwierigkeiten habe, ist die Forderung
nach Aufgabe der Arbeit an einer Terminologie zum Zwecke der Ermöglichung
von Hybriden. Da wäre zum einen zu fragen, welche Hybride er meint.
Geschichtsmodelle, Kunstgeschichten, Künste, Künstler gar? Wer spricht
über was? Und zum anderen würde es mich sehr interessieren, wie er sich
denn verständigen will, wenn er die Dinge, über die er spricht, nicht mit
anderen Dingen in Bezug setzen möchte, denn nichts anderes ist die
Erarbeitung von Terminologien: Aus einer ersten Sprachlosigkeit
herauszukommen. Wir hatten diese Auseinandersetzung ja neulich in Bezug
auf die Erfindung einer „deutschen“ Medientheorie durch Geert Lovink in
der Rohrpost, wo die mediokre Position Tilman Baumgärtels eine Blüte an
Diskursvermeidung öffnete. Das Benennen ist immer noch eine der
ursprünglichsten Tätigkeiten einer Gemeinschaft von miteinander
Sprechenden. Ohne diese Arbeit an und mit der Sprache verlieren wir das
Worüber im Medium der Sprache und können weder sprechen noch schreiben.
Warum ist im Kontext zeitgenössischer Kunst immer wieder von Stillstellung
und Tötung die Rede, wenn man sich begrifflich der Dinge, die meine Sinne
affizieren, annähern möchte? Vielleicht weil es einfacher ist, zu
plappern? Ordnungsstreben und Ordnungen zu bilden ist dem Menschen eigen.
Das hat uns schon 1985 Hannes Böhringer sehr eindrücklich in seinem Essay
über das Ornament gelehrt (in: H. B.: Begriffsfelder. Von der Philosophie
zur Kunst. Berlin (Merve) 1985, S. 55). Übertragen auf die
wissenschaftliche Rede behaupte ich: Ohne die Produktion einer Relation zu
den Dingen im Raum - und das meint Ordnungen erschaffen - gibt es keine
Möglichkeit der Wechselrede, und gerade auf diese kommt es im heiklen Feld
der sogenannten Medienkunst an. Wir brauchen einen enorm kritischen und
lebendigen Diskurs, in dem Begriffe immer wieder aufs neue verhandelt und
infrage gestellt werden. Damit erst können wir einerseits beschreibende
Verfahren entwickeln, mit denen man die Arbeiten hinterfragen und
verstehen kann. Andererseits belebt es das Geschäft und entbindet
vielleicht die neue Theorieform der Wissenschaftsprosa ihres Drucks, auf
Teufel komm heraus originell zu sein. In diesem Zusammenhang kann man
Siegfried Zielinski nur zustimmen, wenn er einfordert, daß die
Wissenschaftler, die sich mit Medienkunst auseinandersetzen, auch in den
Stand gesetzt und ermuntert werden sollten, Quellcode zu lesen. Über
andere Aspekte seines Vortrags schweige ich, solange ich nicht seinen
Beitrag zur Rowohlt-Enzyklopädie gelesen habe.

Im Namen meines Kunstbegriffs fälle ich also folgendes Urteil: Nicht alles
an der transmediale ist schlecht, aber es ist eine Menge im Argen. Das
Fest selbst ist nicht – und da gehen sab, internet und co. aufs maul fehl
– eine protofaschistoide Ausgrenzungsmaschine. Nein, es ist schlimmer! Die
transmediale ist etwas, das ich sozialdemokratisch-neoliberale Skulptur
nennen möchte, die sich in ihrer künstlerischen Belanglosigkeit gefällt,
sich biedermeierisch anbiedert und Gefallen findet und durch die oben
beschriebenen Mechanismen als Produkt einer Gesellschaft und eines schlaff
gewordenen, bildungslosen Pop-Kunst-Begriffs sich nährt, ohne andere im
mindesten geistig satt zu machen versteht (was die Leute dort verdienen,
die Künstler bekommen - keine Ahnung). Ich verurteile daher die
transmediale zu weiteren zwanzig Bestehensjahren, wenn auch irgendwann
einmal – entschuldige bitte, Andreas – unter einer anderen Leitung.

Berlin, Leipzig im Februar 2005

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