Stockhausen und das Internet (war: [rohrpost] Heidenreich -
Der Kunstexperte)
Tilman Baumgärtel
mail at tilmanbaumgaertel.net
Fre Feb 18 04:54:17 CET 2005
At 04:46 13.02.2005, Florian Cramer wrote:
>Das sind zugegebenermaßen schlechte Beispiele in einer ansonsten
>treffenden Analyse. Was wäre elektronische Club-Musik ohne Stockhausen,
>Hiller, Boulez, Pousseur, allesamt Repräsentanten einer
>nichtkommerziellen, staatlich subventionierten, akademischen Hochkultur?
Ohne mich jetzt wirklich in diese spannende Debatte einklinken zu wollen:
hier bin ich doch etwas anderer Meinung. Stockhausen zum Vordenker der
Clubmusik machen zu wollen, erinnert etwas an die Rhetorik, mit denen
Medienfestivals wie Ars oder Transmediale immer begründet werden:
Standortsicherung, hier werden die Ideen von morgen geboren etc.
Stockhausen selbst hat immer bestritten, dass er überhaupt das Geld von
irgendjemand braucht, denn er hatte ja eine "reiche Frau" geheiratete, und
konnte daher sowieso machen, was er wollte. Die ganzen WDR- und Uni-Jobs
etc waren angeblich nur Zubrot und wurden ja auch irgendwann sämtlich
gekündigt. Und als niemand seine Platten kaufen wollte, hat Stockhausen die
Rechte daran zurück gekauft, und seine eigene Firma aufgemacht - ganz der
Indie. Wenn man heute CDs von Stockhausen kaufen will, muss man ein Fax
nach Kürten bei Köln schicken (das wohl bei Stockhausens im Hobbykeller aus
dem Faxgerät läuft...)
Dass das wahrscheinlich bisher den wenigsten aufgefallen ist, sagt auch
etwas über die langfristige Bedeutung Stockhausens. So interessant
Stockhausen als Figur auch ist, so wenig passt sein zentrales
kompositorisches Anliegen heute noch in die Landschaft - oder genauer
gesagt, das Interesse, dass ihn zu der Handvoll von elektronischen
Kompositionen bewegt hat, wegen der er heute immer als "elektronischer
Komponist" betrachtet wird: Nämlich die elektronische Musik nach Prinzipien
zu organisieren, die aus der seriellen Musik kommen. Das hat in der
Popmusik/Clubkultur zum Glück niemand nachgemacht, sonst würde sie nämlich
niemand hören wollen. Ich will damit seine Bedeutung nicht herunterreden,
aber den - wenigen (!) - Elektro-Musiker, die sich überhaupt auf ihn
berufen, ging es wohl eher um ihre eigene historische Bedeutung als darum,
das höchst merkwürdige Kapitel der Musikgeschichte namens "Kölner Schule"
fortzuführen. Ob deren Musik jetzt wirklich "komplexer" oder "subtiler" ist
als elektronische Popmusik, möchte ich mal bezweifeln. Da schwingt ein
gewisses bildungsbürgerliches Ressentiment gegen Popkultur mit.
Boulez et al haben für die elektronische Popmusik für meine Begriffe keine
Bedeutung. Was unter anderem daran liegt, dass gerade Boulez in ihren
staatlichen Institutionen so lange an seinen Methoden feilen konnte, bis
sie vollkommen unvermittelbar war. Für Techno etc waren auf jeden Fall wohl
die Entwicklung von Sequenzer/Sampler die entscheidenden Elemente - alles
Erfindungen von komischen Bastlern ohne den Artenschutz von Museen,
staatlicher Förderung, Kulturstiftungen etc.
Aber es gibt jenseits von Kunstmarkt und staatlicher Förderung auch noch
andere Wege, sich eine gewisse künstlerische Autonomie zu erhalten. Andere
- und wesentlich einflussreicherer - Vorbilder der elektronischen Musik
sind auch lange ohne Staatsknete ausgekommen: John Cage war den grössten
Teil seines Lebens ein armer Mensch (daher auch der Pilzsammel-Fimmel) oder
wurde von Mäzenaten durchgefüttert, Pierre Schaeffer war
Rundfunk-Funktionär und Hobby-Komponist, La Monte Young hat sich seine
goldenen Jahre mit Drogenhandel finanziert, Terry Riley war vor "In C"
Bar-Pianist etc. Das soll aber nicht heissen, dass ich die Kunst- und
Kulturförderung abschaffen will, manchmal bewirkt sie ja doch was Gutes -
wenn auch oft genug wahrscheinlich vor allem als unerwarteter Nebeneffekt.
Das mit dem Internet war z.B. auch nicht das simple Resultat gezielter,
staatlicher Förderung, sondern höchstens ein Beispiel dafür, dass die
Wissenschaftsförderungen in den USA während des Kalten Krieges so
umfangreich war, dass man sogar ein Hippie-Projekt wie das Internet darin
verstecken konnte. Aber das führt jetzt zu weit, genauso wie das:
>In Literatur und Dichtung hat Kommerz- und Popkultur
>bis heute nicht einen einzigen guten Schriftsteller hervorgebracht,
>höchstens gute Drehbuchautoren.
Wieder so ein Hochkultururteil, damit fangen wir jetzt besser gar nicht
erst an. Aber die besten Gedichte aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
sind wahrscheinlich Songtexte, und die Science-Fiction-Literatur von Asimov
von Dick würde mir auf der einsamen Insel auch mehr fehlen als viele "guten
Schriftsteller". Ich weiss sowieso nicht, was es bringen soll, "Kommerz-"
und Hochkultur in so einer Form gegen einander auszuspielen. Aber genug,
ich habe schon viel mehr geschrieben als ich schreiben wollte...
Gruesse,
Tilman