[rohrpost] lass uns lieber nicht ueber kunst reden

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Fre Feb 18 16:28:16 CET 2005


Am Freitag, 18. Februar 2005 um 13:41:09 Uhr (+0100) schrieb Stefan Heidenreich:

> und dass die popkultur 
> nicht einen einzigen guten schriftsteller hevorgebracht hat ... das ist 
> absurd.

Nenn' mir einen. Ich versuch's mal: Es gibt sehr wohl gute Autoren, die
Pop-Literatur geschrieben haben, also z.B. der frühe Handke, die frühe
Jelinek ("wir sind lockvögel baby"), Boris Vian, Thomas Pynchon zu einem
gewissen Grad, Konrad Bayer, Rolf Dieter Brinkmann oder aktuell Etgar
Keret und David Foster Wallace. Alle ihre Texte haben zu Popkultur
jedoch nur einen Bezug.  Keiner dieser Autoren war wirklich Teil von
Popkultur, in dem Sinne, daß er/sie in Fanzines publiziert hätte, Teil
einer Szene gewesen wäre oder auch nur in nennenswertem Umfang innerhalb
von Popkultur rezipiert würde.  Keinen dieser Schriftsteller kann man
ernsthaft ein Produkt oder einen Teil von Popkultur nennen.

Als einziger Schriftsteller, der tatsächlich Teil internationaler
Popkultur war, fällt mir William S. Burroughs ein, mit seinem Einfluß
auf diverse Subkulturen, insbesondere die Industrial Music. Erlaube mir
das Urteil, daß seine Bücher zwar teilweise amüsant und originell sind
- allerdings eher unfreiwillig als freiwillig komisch -, er aber ein
ziemlich schlechter Schriftsteller ist. Seine paranoide und
sektiererische Imagination wurde ernst von Pynchon adäquat in Prosa
übersetzt.

Über heutige deutsche Popliteratur muß man gar nicht erst reden,
sie ist indiskutabel und eine reines Verlags-Marketingprodukt. Die
einzige Ausnahme mag Rainald Goetz sein, sicherlich jemand auch mit
"credibility" innerhalb der Popkultur seit den frühen 80er Jahren, aber
- mit Verlaub - als Schriftsteller auch nur zweitklassig und ein Thomas
Bernhard-Epigone. 

Pop, soweit stimme ich Tilman zu, braucht schlicht keine begleitende
Literatur, weil er sie über Songtexte bereits schreibt. Deshalb hat
sich eine "Popliteratur" immer nur parasitär und nie überzeugend an ihn
herangehängt.  Ich stimme Tilman auch zu, daß einzelne Popsongs in
jeden Kanon der Lyrik gehören, z.B. "Der Mussolini" von DAF als eines
der besten deutschen Gedichte der (und über die) 80er Jahre. Deshalb
sind DAF aber noch lange keine Schriftsteller - und würden sich gewiß
nie so nennen -, und deshalb hat die Popkultur noch nicht einen guten
Schriftsteller hervorgebracht. ;-)

-F


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