[rohrpost] lass uns lieber nicht ueber kunst reden

doreen mende dodo.mende at web.de
Fre Feb 18 16:29:55 CET 2005


Und noch ein Kommentar zu dieser schnellen und heißen Debatte ... Fast 
nicht nachzukommen.
Der Diskurs in der Kunst hat sich mit den Cultural Studies und 
fächerübergeifenden Vernetzung der 1980er  ja auf tausend verschiedenen 
Plattformen verzweigt und ändert sich im dekonstruktivistischen Sinne 
permanent. Das ging einher mit dem enormen ökonomischen Boom der 
Kunstmärkte sowohl in New York als auch London, Düsseldorf und Köln. 
Ich in gespannt, wie die Theorie und auch Praxis /auf/ die grade im 
vollen Gange befindlichen Kunstkauf-Konjunktur agiert/reagiert. Auf dem 
Leipziger Akademierundgang jedenfalls haben Sammler und Galeristen den 
StudentInnen der Malerei die Aktstudien aus der Hand gerissen. So geht 
das Gerücht und so entstehen Phänomene ...

Mit dem 'Diskurs in der Kunst' meine ich die Auseinandersetzung durch 
künstlerische Produktion: hauptsächlich KünstlerInnen, KuratorInnen 
eventuell noch der/die eine oder andere MuseumsleiterIn haben die Zeit, 
die diversen und konkreten Theorien sich anzueignen, zu verstehen, in 
Beziehung zu setzen und darüber zu diskutieren. Der arterhaltenden Teil 
des Ganzen sind nun mal die Messen, Sammler, Institutionen, 
Fachgeschäfte für Malerei, Fotografie, Multi-Media, Skulptur etc. – die 
bringen das Geld und fördern die Kunstproduktion. Die Ausstellung (hier 
überschneidet sie sich mit den Kunstermöglichern) und die Theorie sind 
Schnittstellen zwischen Praxis und Geschichtsschreibung. Existenziell 
ist doch, die etablierten und sich etablierenden Mechanismen, 
Strategien und Interessen innerhalb nach einer 
gesellschaftsökonomischen Logik funktionierenden Kunst aktiv und 
differenziert zu hinterfragen und mit dem Fragen nicht aufzuhören. Die 
Metafrage ist, wer diese ökonomische Logik generiert. Das Huhn oder das 
Ei?

Was dringt vom 'Diskurs in der Kunst' nach 'außen'? Müsste es 
eigentlich nicht vielmehr um schlüssige und ehrliche 
Vermittlungskonzepte gehen? M.E. geht es in der Kunst um die 
Vermittlung eines Cartesianischen Blicks: Diskussion, Sensibilisierung, 
Sichtbarmachung, die Möglichkeit der Neu–Überdenkung und Neu-Definition 
subjektiver und objektiver Realitäten (Aber: Wo finden wir die 
Realität?), – also sehr aktiv und anti-kontemplativ. Insofern haben wir 
es in der Kunst mit Autonomie und Nicht-Autonomie gleichzeitig zu tun. 
Berühmtes Zitat: "Ich werfe keine Bomben. Ich mache Kunst." In welchem 
Bereich kann denn heute so offensichtlich experimentiert, gefragt, 
geirrt und gescheitert werden?!

Wegen des Plurals von 'Documenta': laut Ausbildungsprogramm der 
Documenta 11 heisst der Plural: 'Documenta-Ausstellungen' Alles andere 
ist falsch.

Bestes. D


Am 18. Feb 2005 um 14:31 schrieb Florian Cramer:

> Am Donnerstag, 17. Februar 2005 um 20:27:02 Uhr (+0100) schrieb Pit
> Schultz:
>
>> stefan nimmt auf was in den neunzigern gaengige praxis war, und
>> institutionskritik, spaeter kontext kunst genannt wurde,
>
> ...und das eine riesige Sackgasse war, weil dort Kunst irrigerweise
> mit Kultur gleichgesetzt wurde. Dies war auch der Fehler der
> Neoavantgarden der 60er Jahre, einschließlich Fluxus, der Mail Art- und
> Punk-Kultur der 70er und 80er Jahre und des Schlagworts "Netzkultur" in
> den 90er Jahren. Im Ergebnis führt diese Vermengung zu einer
> Soziokultur, die als solche interessant und produktiv sein mag, aber 
> als
> Kunst per se noch nicht taugt.  Das scheint mir auch der Kern von
> Matthias' transmediale-Kritik zu sein, die ich zumindest in ihren
> Einzelanalysen von Camille Utterback & Co. teile.
>
> Aus einer materialistischen Perspektive - und hier liefert Marx als
> gnadenloser Ökonomiker gute Analysewerkzeuge - hat es eine Autonomie 
> der
> Kunst nie gegeben und ist schlechterdings undenkbar. Was es sehr wohl
> geben kann, ist eine intellektuelle Souveränität und soziokulturelle
> Unverträglichkeit von Kunst.  Elitäre Ästhetiken vom Symbolismus bis
> zur Neuen Musik sind ein Beispiel, faschistische Avantgarden von
> Marinetti bis Pound ein weiteres, aber auch, jenseits vermeintlich
> bürgerlicher Künste, z.B. pornographische Obszönität oder der
> Laibach-/NSK-Slogan "Kunst und Totalitarismus schließen einander nicht
> aus". Und diese Unverträglichkeit läßt sich manchmal nicht als
> postmoderne Ironie oder Camp soziokulturell eingemeinden, sondern 
> bleibt
> unverträglich, z.B. im Nazirock-Song "Söldner" von Störkraft, den ich
> für einen der besten Rocksongs der 90er Jahre halte, oder in dem extrem
> verstörenden, Gerard Damiano zugeschriebenen 70er Jahre-Pornofilm
> "Waterpower" <http://www.imdb.com/title/tt0076907/>.
>
>> kunst soll also heute wieder autonom werden, weil sie die freiheit der
>> kunst die freiheit des marktes, des kunstmarktes, versteht sich, auf
>> so wunderbare weise "ergaenzt"
>
> Das Problem liegt im Terminus "Kunst", der immer wieder zu
> Mißverständnissen führt, nicht anders als "Medien". Ralf Hellmanns
> Beitrag führt, so finde ich, gut aus, was eigentlich mit Kunst gemeint
> sein sollte. Das Problem ist, daß "Kunst" aber parallel dazu als
> Abkürzung für "bildende Kunst" und, noch spezieller, "bildender Kunst
> der Gegenwart" verwendet wird. Dies ist eine Arroganz des sog.
> Kunstbetriebs (der ja nur ein Betrieb bildender Gegenwartskunst ist, 
> und
> ferner bloß solcher bildender Gegenwartskunst, die sich ausstellen
> läßt), die abgeschafft gehört. Ein Bewußtseinswandel, den die Aktions-
> und Kontextkünste seit den 60er Jahren eigentlich herbeigeführt haben
> sollten.
>
>> in diesem sinne markiert die derzeitige debatte um politisierung, oder
>> gar re - polititisierung praktisch gesehen ihr genaues
>> gegenteil. naemlich das politik-verstaendnis einer totalen mediokratie
>> wie es die regierung schroeder in abfolge zu kohl verstanden hat zu
>> etablieren,
>
> Völlig einverstanden, Pit.
>
>> stellt? und wieso ist benjamin so ausweichend, so verdammt 
>> intellektuell
>> nicht zu greifen, wenn er persoenlich ganz praktisch ebenso flieht.
>
> Weil sich seine Position nicht einfach festlegen läßt, sondern auf
> höchst eigentümliche Weise spätromantische, marxistisch-linke,
> lebensphilosophisch-rechte und jüdisch-eschatologische Denkfiguren
> vermengt.
>
>> es geht also nicht mehr darum, moeglichst ominoes zu
>> umschreiben wie ein computer funktioniert, und was er kulturell 
>> bewirkt,
>> oder auf der anderen seite nuechtern zu konstatieren dass code so 
>> dermassen
>> alles durchzieht,
>> das bereits ein paar zeilen perl an der wand einen preis verdient 
>> haben,
>
> Warum nicht? Es sind ja auch nicht immer monumentale Epen und Balladen
> die beste Lyrik, sondern ein Vierzeiler kann sie locker übertreffen.
> Insofern war die Prämierung von ein paar Zeilen Perl im
> Medienkunstbetrieb ein wichtiger Erkenntnisfortschritt gegenüber der
> Prämierung von hochkomplexen, aber künstlerisch dummen und naiven
> interaktiven Installationen mit Millionen von Codezeilen. [Aber falls 
> Du
> auf den Preis für die "Forkbomb" auf der tm.02 anspielst, so gebe ich
> Dir recht, da hat die Jury auch meiner Meinung nach fehlgegriffen. Ich
> hätte aber sehr wohl der einzeiligen, dreizehnbuchstabigen Forkbomb
> ":(){ :|:& };:" von jaromil einen Preis gegeben. Daß der
> transmediale-Preis ihn dazu provoziert hat, sie quasi aus Wut zu
> schreiben, war immerhin ein gutes Ergebnis der Prämierung.]
>
>> das heist immer noch "dokumentas" im plural. niemand (ausser dem
>> aussterbenden altsprachlichen bildungsbuergertumsverfechter) kaeme 
>> auf die
>> idee das waere latein, es ist eingedeutscht, so wie "wilhelma", oder 
>> nicht?
>
> Die "Documenta" schreibt sich immer noch mit lateinischem "c" und
> ist ein bürgerliches Produkt der 50er Jahre. Vielleicht können wir uns
> ja auf "Documenten" einigen?!
>
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