[rohrpost] Leicht offtopic: "Spiegel Online" über Linux

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Mit Mar 23 19:13:07 CET 2005


Am Mittwoch, 23. März 2005 um 18:12:42 Uhr (+0000) schrieb Harald Hillgärtner:
 
> es erstaunt mich, wie sehr du dich über diesen Artikel echauffieren
> kannst. 

Wahrscheinlich hast Du recht. Interessant ist an ihm vielleicht, daß er
nicht von einem Computer BILD-Redakteur, sondern von einem Kultur- und
Medienwissenschaftler verfaßt wurde, der auch hier auf der rohrpost
mitliest und bei Kittler eine recht interessante Magisterarbeit über
Viren geschrieben hat.

> Ich jedenfalls habe mich köstlich amüsiert, ebenso wie ich mich auch über die 
> typischen Troll-Postings auf Heise-Online amüsiere (und dass der Spiegel ein 
> Käseblatt ist, ist nun auch kein Geheimnis). Immerhin gab es (endlich) mal 
> ein neues Vorurteil über *nix, dass ich bisher noch gar nicht kannte. Ich 
> meine das mit dem Kontrollzwang der Kybernetiker aus den 60er Jahren, und 
> dessen Konservierung in "den Programmstrukturen" von Linux. 

Da hatte ich in meinem Posting etwas vergessen zu erwähnen.  Diese
verwegene Kybernetik-These in dem Spiegel-Artikel ist, scheint es
mir, krude von einem rohrpost-Diskussionsbeitrag von Sascha Brossmann
inspiriert, der am 22.1.05 hier auf Claus Pias geantwortet hatte:

| was sobald die begriffe "kybernetik" & co. auf dem schirm auftauchen
| anscheindend leider immer aus dem blickfeld gerät (so auch z.b. letztes
| jahr bei der kybernetik-rückblicks-veranstaltung an der HU) sind die
| m.e. nicht zu unterschätzenden zusammenhänge mit dem vermutlich zu
| recht gescheiterten behaviourismus, dessen armselige überbleibsel
| anscheinend zu einer ewigen wiederkehr des gleichen verurteilt sind,
| als irrlichternder paradigmenzombie gewissermassen. eine genauere
| betrachtung könnte sich durchaus lohnen.
| 
| herzliche grüsse
| 
| sascha
| 
| p.s. bezüglich der betriebssystem-analogien die hier in den letzten
| tagen gefallen sind: mir wäre etwas zeitgenössischeres und
| intelligenteres/menschenfreundlicheres erheblich lieber als
| unix(-terminal) oder smalltalk(-GUI) & derivate (das kulturelle
| fänomen, dass die letzte grössere innovation auf dem gebiet schon über
| 25 jahre zurückliegt ist auch nicht uninteressant). und wenn schon
| historisch, dann gäbe ich doch in aller bescheidenheit einer connection
| machine den vorzug. ;-)

Insofern war mein Verweis auf den Spiegel-Artikel doch nicht völlig
rohrpost-offtopic.

> Alles Borgs, diese Linuxer. Toll ist dann freilich der Kontrast zum
> "Frickelvorwurf", also Linux sei voller Fehler, weil "hunderte" Leute
> das mal eben so "zusammengeschrieben" haben. Was denn nun:
> "Kontrollzwang" oder "Unmengen von Fehlern"? Und selbiges Argument
> wird quasi im nächsten Atemzug wieder zu einem Feature stilisiert:
> Moderne Software hat nun mal Fehler und deswegen ist Linux veraltet.
> Gerade wegen der "Unmenge an Fehlern" müsste im Sinne der
> Argumentation Linux doch wahnsinnig modern sein.

Es ist immer wieder amüsant, welche dialektischen Verrenkungen Leute
unternehmen, die auf Grund ihrer netzpolitischen und
technikphilosophischen Positionen mit freier Software sympathisieren,
mit ihr aber praktisch nicht zurechtkommen und deshalb glauben, ihre
Nutzung proprietärer Software aus politischer Korrektheit theoretisch
rechtfertigen zu müssen. So z.B. Matze Schmidt und seine
Modukit/SuperFactory-Kollegen bei der hack.it.art-Eröffnung, die allen
Ernstes meinten, Windows sei offener als Linux, weil es einfacher zu
verstehen sei. (Diesem Argument nach wäre auch eine Diktatur offener als
eine Demokratie.)

> >    Wer damit arbeiten will, hat nicht nur die Möglichkeit,
> >    sondern letztlich auch die Aufgabe, alles an seinem System zu
> >    kontrollieren. Er ist nicht nur Anwender, sondern gleichzeitig auch
> >    immer der Administrator seines eigenen Systems.
> 
> Ja, und das ist ein Punkt, den ich nie verstanden habe: Natürlich ist man 
> Administrator seines eigenen Systems. Wer denn sonst?

Dem Autor nach sind es wohl die "kontrollierten Abstürze" des
Betriebssystems.

-F

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