[rohrpost] Leicht offtopic: "Spiegel Online" über Linux

Klaus Lüber klaus.lueber at web.de
Mit Mar 30 11:10:02 CEST 2005


Hi Florian,
danke für dein Feedback.

Zuallererst ein paar Worte zu mir. Du hast dich gewundert, dass ich meine
Magisterarbeit mit Latex gesetzt habe und trotzdem einen solchen Artikel auf
SPIEGEL-online schreiben kann. Vielleicht wunderst Du Dich noch mehr, wenn
ich Dir sage, dass ich tatsächlich mit Linux arbeite (2.4er Kernel auf einem
alten IBM-Thinkpad) und im Augenblick auch ganz zufrieden damit bin. Beide
Tatsachen, zum  einen, dass ich inzwischen ganz gut mit tex zurecht komme und
zum anderen, dass ich momentan auch gut mit der Kombination KDE/Linux
arbeiten kann, widersprechen aber meiner Meinung nach nicht den Thesen meines
SPON-Artikels.

Zum Artikel selbst. Wie du selbst schreibst, geht es im Artikel um zwei
 Dinge. Den Erfahrungsbericht eines Users über die Alltagsfrustration mit
 Linux und Thesen über Softwaretechnik und Informatik, die ich daraus
 folgere. Ich gebe zu, dass letztere sehr verkürzt und "abenteuerlich"
 rüberkommen. Dazu gleich mehr. Zuerst zum Erfahrungsbericht.

Mit dem Begriff "Kontrollsucht" habe ich versucht, eine bestimmte Verzerrung
der Wahrnehmung zu beschreiben, die ich in der Auseinandersetzung mit Linux
erlebt habe. Das fand ich interessant, weil ich finde, dass das irgendwie
über die "normale" Alltagsfrustration hinausgeht, die man mit jedem
Betriebssystem haben kann.

Ich weiß nicht, ob du folgende Szene nachvollziehen kannst: Man sitzt vor
seinem Laptop und versucht drei Tage lang, die Splash-Screen Auflösung vom
Standard auf 1400x1050 hochzuziehen. Nur weil bei Starten der schwarze Rand
um den Bildschirm stört. Dabei wollte man nur Texte schreiben oder das ein
oder andere Bild bearbeiten. Vielleicht ist es Einbildung, aber ich habe in
den ganzen Foren, in denen ich so ca. ein halbes Jahr unterwegs war, eine
ähnliche Haltung auch bei anderen Usern erlebt. Wenn man mal ne Liste mit 20
Threads runterscrollt und am Ende überschlägt sich irgendjemand vor Freude,
weil er nach Wochen endlich seinen Scanner zum Scannen gebracht hat, dann
steht das Ganze finde ich in keinem guten Verhältnis. Und wenn das dann dazu
führt, dass man mit seinem Rechner nicht mehr arbeitet, sondern nur
rumbastelt und rumtunt, dann läuft das meiner Meinung nach in eine falsche
Richtung.

OK, ich haben mit Windows genausoviel Alltagsfrust erlebt und dennoch hat der
Frust mit Linux eine andere Qualität. Die Sache mit dem Winmodem ist wirklich
nur die Spitze des Eisberges. Ich hatte mal eine ganze Woche lang das
Problem, dass die Schriften im Texteditor kate verschwommen dargestellt
wurden (lag nicht am anti-aliasing). Das sind einfach komplett andere
Problemdimensionen als solche, die ich unter Windows kenne.

Ich will damit im Grunde nur folgendes sagen: Windows ist in Fragen des
Updatens, der Systemsicherheit, der Stabilität, vielleicht sogar in Fragen
der GUI-Nutzerfreundlichkeit (ich liebe die Multiple Desktops von KDE) kein
Ticken besser als Linux, keine Frage. Und trotzdem ist der Umgang mit
Problemen ein fundamental anderer. Wer sich ein Unix-System zurechtgebastelt
hat (sagen wir über 8 Monate, so lange war das bei mir), der hat in der Regel
ein massives Problem damit, wenn er vor die Entscheidung gestellt wird:
Akzeptiere das Problem, das du hast, oder "mach einfach nochmal alles neu".
Es gab eine Zeit (so 1998), da hatte ich von Windows 98 die Schnautze voll
und wollte auf Linux umsteigen. Und zwar, weil ich der festen Überzeugung
war, dass es so etwas wie ein "perfektes" Betriebssystem gibt. Es war eine
ziemlich frustrierende Erfahrung, herauszufinden, dass gerade diejenigen, die
sich professionell mit Computern beschäftigen (Informatiker aus meinem
Freundeskreis, die netten Menschen vom HU-Rechenzentrum), am schnellste
sagen: "Keine Ahnung, mach halt alles neu."

Im Laufe der Jahre hab ich dann einfach folgende Beobachtung bei mir selbst
gemacht. Je mehr Zeit man vor Computern verbringt und vor allem im Job mit
extremen Stress-Situationen konfrontiert wird, desto eher akzeptiert man die
Tatsache, dass man mit einem extrem anfälligen und fehlerhaften System zu tun
hat und die beste Technik, damit umzugehen, die ist, sich Strategien zu
überlegen, wie man im Falle eines totalen Sytemabsturzes alles wieder in
kürzester Zeit starten kann. Und genau an diesem Punkt führt Linux den
nicht-oder semi-professionellen User (wie mich) auf eine falsche Fährte. Man
kann Fehlerprotokolle durchforsten, kann tagelang rumsuchen usw. Und der Witz
ist, wenn man hartnäckig genug ist, findet man auch die Lösung. Die
entscheidende Frage ist nur: Was hat man davon? Mehr Wissen, mehr Durchblick,
etc.? Ich glaube eben nicht. Im Grunde kann es einfach cleverer sein, auf das
Ganze Rumschrauben und "sich einbilden wollen, man könnte programmieren" zu
verzichten und wie ein bölder "Windoof"-User "nochmal drüberzuinstallieren".
Ohne sich dabei zu so ner Art ignoranter Black-Box-Konsument zu mutieren.

Um es zu verkürzen und auf einen Punkt zu bringen: Windows zu administrieren
ist genauso komplex wie eine Unix Linux-Administration. Da gebe ich dir
Recht. Fakt ist aber, dass man von Linux-Büchern (die Formulierung "hinter
die Kulissen blicken habe ich aus Koflers Linux-Standardwerk), Linux-Artikeln
in Computermagazinen (in Kombination mit Tryout-CDs) regelrecht dazu
aufgefordert wird, sich als Admin zu betätigen. Ich finde, es gehört auch zur
Verkaufsstrategie von Komplett-Paketen wie SuSE, einem potentiellen Linux
User dieses Expertenfeeling zu vermitteln, ähnlich wie jenes Kreativimage,
das Apple-User für sich beanspruchen. Es kam mir darauf an, dies
anzusprechen.

Nun zu meinen Thesen über Software-Technik und dem "Erbe der Kybernetik":

"Selbst Informatik-Profis haben sich längst von der Vorstellung
 verabschiedet, man könne fehlerfreie Computersysteme programmieren und
 akzeptieren
Systemabstürze als unausweichliche Tatsache."
Ich gebe zu, dass das wahnsinnig verkürzt ist. Ich beziehe mich hier auf den
Artikel "Würdevoller Zerfall" (Hilmar Schmundt, DER SPIEGEL 16/2004. S. 148).
Darin ist gerade davon die Rede, dass die Fehlerfreiheit bei Computersystemen
wie Steuerungscomputer für Flugzeuge (im Artikel geht es um Hubschrauber)
zwar die Richtlinie ist, aber faktisch nicht eingehalten werden kann. Zitat:
Als Gegenmittel schlägt Candeas Arbeitsgruppe jetzt ein grundlegendes
 Umdenken vor: "Da wir Computer-und Bedienungsfehler nicht ausmerzen können,
 sollten wir sie einfach als Tatsache akzeptieren und lernen, mit ihnen
 umzugehen." Technikkundige, die natürlich Bescheid wissen über die
 Verletzlichkeit von Systemen, hätten das häufig ohnehin längst eingesehen:
 "Die haben einen normalen Umgang mit dem Scheitern entwickelt, ein
 alltägliches Verhältnis zum Desaster." (Hab dir den vollständigen Artikel
 als jpg gescannt und
mitgemailt.)

Zu den Kybernetik-Kontroll-Thesen: Die wurden entgegen deiner Annahme nicht
von Matze Schmidt inspiriert, sondern zum einen von dieser Textpassage:

"Wie ich UNIX damals in den siebziger Jahren gehasst habe - diesen
 teuflischen Sammler von Datenmüll, Verdunkler von Funktionen, Feind des
 Benutzers! Wenn mir jemand gesagt hätte, dass einen Rückkehr zu dem peinlich
 primitiven UNIX im Jahr 2000 große Hoffnungen und Investitionen auslösen
 würde, nur weil sein Name in Linux geändert und sein Quellcode wieder
 geöffnet wurde, hätte ich jede Lust und jeden Mut verloren, mich weiter mit
 Computern zu beschäftigen." - Jaron Lanier: Ein halbes Manifest. In: John
 Brockman (Hg.): Die neuen Humanisten. Ullstein 2004. S.256

Und zum anderen von dieser Aussage Linus Torvalds:
"Innerhalb der Grenzen deines Computers bist du der Schöpfer. Irgendwann bist
du soweit, dass du das Geschehen komplett unter Kontrolle hast. Wenn du gut
genug bist, kannst du Gott sein." - Linus Torvalds, David Diamond: Just for
Fun. dtv 2003.

Die Formulierung "basiert auf Unix" ist unglücklich, da gebe ich dir Recht.
Korrekter hätte man formulieren müssen: Wurde nach dem Vorbild von Unix
entwickelt, bzw. übernimmt dessen Programm-Architektur.

"Linux hat das kybernetische Kontrolldenken in seiner Programmstruktur
konserviert."
Das ist ebenfalls ein stark verkürzter Gedanke und kann deswegen
wahrscheinlich als "hanebüchener Unsinn" missverstanden werden. Ich wollte
damit einfach auf die ursprüngliche Intention Linus Torvalds referieren, die
er ja sehr schön in seiner Autobiografie beschreibt. Diese Faszination von
der einfachen und schönen Programmstruktur von Unix und dann dieser Wahn, aus
eigener Kraft ein Betriebssytem zu entwickeln, das einen zu Gott macht. Und
diese Vorstellung, ein komplexes System durch ein Bündel einfacher Befehle
bis ins letzte Detail im Griff zu haben, hat mich eben sehr an die
Forschungsansätze der Kybernetiker erinnert. Wie zum Beispiel in den
Macy-Konferenzen dokumentiert. Oder bei John von Neumanns Automatentheorie,
der ja im Grunde versucht hat, die Entstehung des Lebens aus einfachsten
Elementen nachzubilden.

"Wer damit arbeiten will, hat nicht nur die Möglichkeit, sondern letztlich
auch die Aufgabe, alles an seinem System zu kontrollieren. Er ist nicht nur
Anwender, sondern gleichzeitig auch immer der Administrator seines eigenen
Systems."
Missverständnis: Natürlich gibt es die Trennung von Administrations und
Nutzerrechten. Die gibt es auch bei Windows, die gibt es bei OSX. Aber in
keinem anderen System (und das ist jetzt wieder ein Erfahrungswert und darauf
referiert auch die Aussage "zugleich auch immer ein Administrator...") muss
man so oft zu "root" werden, um normal Arbeiten zu können. Ok, das mag meine
persönliche Erfahrung sein. Aber hast du schon einmal gezählt, wie häufig die
Frage "Bist du root?" in Linux-Foren auftaucht?

"Vor Computerviren sind Linux-User übrigens nur deshalb sicher, weil es sich
für böswillige Hacker noch nicht lohnt, Linux-Viren zu schreiben. Und nicht,
weil Viren in einer Linux-Umgebung nicht funktionieren würden."
Es ist einfach Fakt, dass die ersten Computerviren (Würmer) in
 Unix-Netzwerken amerikanischer Unis ihr Unwesen trieben. Ich gebe dir Recht,
 dass Viren es momentan aus allen von dir genannten Gründen in Unix-Systemen
 schwerer haben. Dennoch gibt es eine Diskussion darüber (findest du in
 vielen Foren), ob nicht gerade das Gefühl der Unverwundbarkeit (das man aus
 eigner Erfahrung ja wirklich hat) zum Problem werden kann. Es kann ja
 durchaus sinnvoll sein, auch als Linux-User Virenscanner zu installieren.
 Nur ist das in den Foren einfach nicht so präsent, einfach weil sich jeder
 sicher fühlt. Ich wollte an dieser Stelle einfach differentieren: Der
 Hauptgrund, warum man als
Linux-User im Augenblick kein Virenproblem hat, ist die Tatsache, dass 90%
aller User Outlook verwenden. Gesetzt den Fall, Linux setzt sich tatsächlich
in Asien durch, Hardware-Hersteller ziehen nach und irgendwann kauft sich
auch hier tatsächlich jeder Zweite eine Version von sage wir Novell. Novell
geht mit dem Preis hoch und versucht, über zusätzliche Serviceleistungen aus
dem freien Code dennoch Kohle zu machen, das Image wird schlechter und 50 %
aller User arbeiten mit einem speziell von Novell entwickelten Mailprogramm.
Dann sähe die Situation ganz anders aus. Dann werden einfach Viren
geschrieben, denen sämtliche Sicherungsmechanismen egal sind.

"Kreatives Arbeiten jedenfalls ist unter dem Zwang, ständig alles im Griff
haben zu wollen, nur äußerst schwer möglich."

>Zweifellos, sofern diese kreative Arbeit nicht Arbeit an der
>Computer-Administration und -Programmierung einschließt. Deshalb
>sollte man sich als Arbeiter, dessen Kreativität nicht durch
>Computeradministration abgelenkt werden soll, entweder seinen Computer
>kompetent fremdadministrieren lassen, egal ob unter Linux oder
>Windows, oder auf eine in sich geschlossenere Plug'n'Play-Plattform wie
>Macintosh-Rechner mit MacOS X ausweichen (das allerdings auch seine
>periodischen Sicherheitslücken kennt und regelmäßigen Pflichtupdates
>benötigt) .

Im Grunde will ich mit meinem Artikel nichts anderes sagen. Der Privatnutzer
(Karl ist ein solcher, vielleicht hätte ich das im Artikel klarer machen
sollen) sollte im Augenblick auf Plug and Play ausweichen. Im Prinzip ist
MacOS ein wunderbares Beispiel und ich ärgere mich ein bisschen, dass ich das
nicht stärker gemacht habe: Ein Linux-Kernel mit einem ausgefeilten GUI. Also
im Grunde die Erfüllung des Versprechens, das KDE/Linux gerade nicht halten
kann. Plug and Play und wenn man unbedingt will, Konsole und Latex (nur als
Beispiel). Natürlich wäre es am besten, sich alles administrieren zu lassen.

"Für die Gegenwart sollte das nicht heißen, technologische
Entwicklungen zu ignorieren. Man sollte sich nur nicht von ihnen
 kontrollieren lassen. Unabhängig davon, ob man mit Windows, MacOS oder Linux
 arbeitet."

>Ja. Allerdings widerspricht sich der Autor hier in seiner vorigen
>Aussage, Linux sei ein Betriebssystem aus dem Geiste der Kybernetik, das
>dem Nutzer zuviel Kontrolle über den Rechner zumute.

Missverständnis, bzw. unglückliche Fromulierung: Ich wollte die Zumutung des
Kontrollierens als etwas beschreiben, was auf den User als Kontrolle der
Maschine über ihn selbst rückwirkt. Das entspricht meinen eigenen (vielleicht
extremen) Erfahrungen mit Linux: Irgendwann geht es nicht mehr darum, zu
arbeiten, sondern nur noch, Probleme zu lösen. So absurd die auch sind (siehe
Splashscreen). Wenn man soweit ist, dann lässt man sich meiner Meinung nach
von der Maschine kontrollieren. Und zwar fast in einem körperlichen Sinne:
Man isst zu wenig, man schläft schlecht, kann sich schlecht konzentrieren.
Ich weiß, das ist banal. Das kennt jeder, der schon mal programmiert hat.
Oder 180 Seiten wissenschaftlichen Text mit Latex kompiliert hat und sich
wenige Tage vor Abgabe noch mit floating images rumschlagen musste, statt den
Text zu redigieren. Ich habe für diesen Zustand die Formulierung "von der
Maschine kontrolliert werden" gewählt. Und dabei Maschine eher im
übertrageneren Sinne als etwas wie das verinnerlichte Prinzip einer Maschine
(in Anlehnung an die Thesen von Martin Burckhard im "Der Geist der
Maschine".)

Gruß,
K