[rohrpost] Und es gibt sie doch

Armin Medosch armin at easynet.co.uk
Die Apr 8 10:30:38 CEST 2008


Lieber Florian,


super, lass es krachen. Ich habe zwar keine Zeit, weil ich so eifrig am
Medienkunst produzieren bin, moechte aber dennoch meinen Senf
dazugeben ....


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Man könnte sehr grob zwei Traditionslinien der "Medienkunst" abstecken,
eine künstlerisch experimentelle Low Tech-Tradition, die auf die
japanische Gutai-Bewegung, das Black Mountain College und Fluxus
zurückgeht und sich in Netzkunst und künstlerischer Hackerkultur
fortschreibt, sowie eine ingenieurwissenschaftlich-akademische, oft
industrienahe High Tech-Tradition universitärer oder
privatwirtschaftlicher Elektronikstudios und Laboratorien von den Bell
Labs bis zum IRCAM und dem MIT Media Lab.

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grobe Vereinfachungen mögen zwar manchmal okay sein aber diese hier
bricht die Dinge auf eine allzu vereinfachte Scheingegensaetzlichkeit
herunter. Der kuenstlerisch experimentellen Low-Tech Tradition fuehle
ich mich zwar sehr verhaftet, aber man kann das nicht einfach so stehen
lassen. man merkt halt dass du von der Medienkunst der achtziger Jahre,
in der sich dieser Begriff eigentlich erst gebildet hat, voellig
unbeleckt geblieben bist. Eine solche Unterscheidung laesst sich auch
wirklich erst im Nachinein, also aus der Sicht von 2008 treffen. Auch
wundert es mich, dass du als Literaturwissenschaftler einerseits so
stark mit der Materialitaet argumentierst, andererseits
historisch-soziologisch. Gutai, Black Mountain und Fluxus sind High-Brow
Konzepte, auf die sich wohl nur die wenigsten Low-Tech Kuenstler
explizit bezogen haben. Erst heute im Zeitalter der Historisierung
werden solche Referenzen hervorgeholt. Das mag in einzelnen Faellen
stimmen, wirkt aber of aufgepappt. Oder, um es weniger angriffig zu
formulieren, was eigentlich meine Absicht war, kannst du diese
Genealogie belegen, sie auf einzelne Beispiele wie z.B. wichtige
Stroemungen und Kuenstler der Gegenwart beziehen? 


Wenn man eine - nennen wir es vorerst weiterhin - Medienkunst etwas
systematischer aufarbeiten moechte, dann kann man die kuenstlerische
Intentionalität und damit ästhetische und politische Motivationen nicht
aussen vor lassen. In den achtziger Jahren, die man nicht unterschaetzen
sollte, gab es zwei ganz wichtige Stroemungen (neben anderen), eine, die
von einem gegen- und subkulturellen Impuls getragen war und wobei es
darum ging, dem 'System' eigene Medieninhalte entgegenzusetzen. Als
Vertreter dieser Richtung zaehlen etwa Rabotnik TV, Van Gogh TV, Radio
Subcom u.v.a. Eine zweite Richtung kam von einer ganz anderen Seite und
arbeitete an einem erweiterten Skulpturbegriff. Zeuge davon ist die
Videoinstallationskunst zum Unterschied von der Videokunst, mit z.B.
Graf und Zyx, Brigitte Kowanz, Franz Xaver und anderen. Dabei gab es
wiederum einen Split naemlich zwischen denen, die bald die Videos sein
ließen und nur mehr Skulpturen mit neuen Materialien machten und es sich
im Galerienbetrieb gemuetlich machten (auch nicht schlecht), und
anderen, die wie Franz Xaver als echte Vorlaeufer eine dezentrale und
interaktive Echtzeit-Skulptur anstrebten. Beide Richtungen arbeiteten
mit Low-tech und DIY Methoden, zum Teil als Wahlentscheidung, zum Teil
einfach weil sie mussten. Low-tech ist also Teil der Methodik und
vielleicht einfach ein Merkmal unter mehreren aber nicht das einzige. 


Eine weitere ganz wichtige Methode war die Appropriation. Diese ging
viele Wege, von der Appropriation von audiovisuellen Inhalten bis hin
zur Appropriation von Materialien und Gegenstaenden, jaja Duchamp, als
Versuchen eine philosophisch reflexive Doppelboedigkeit einzuarbeiten,
etwa wenn Wolfgang Staehle den Sony Videowalkman in einen Schraubstock
einzwaengte. Ein weiterer Ansatz hieß eigentlich eher Multimedia und
lagerte sich irgendwo zwischen New Wave, New Romantic Pop, Andy Warhol,
General Idea, Throbbing Gristle's IBM und dem Nam June Paik von ca. 1974
mit seinem Global Groove Manifesto. Als letzte aktive Vertreter dessen
kann man Station Rose ansehen. Aber alle diese Stroemungen gehen weiter,
tauchen wieder auf, geben neue Impulse. Wenn man so will, kann man
deutlich eine romantische Stroemung in der Medienkunst verorten, eine
Landschaftsmalerei des Informationszeitalters, aber auch eine
revolutionaere Romantik und eine emotional affektive Kunst zum
Unterschied von einer analytischen. Es geht also darum, wenn man
aufarbeitet, entlang welcher Begrifflichkeiten.


Nur was geschehen ist war, dass ploetzlich Linux und das Internet auf
dem Plan erschienen und das hat die Spielregeln fundamental veraendert.
Da tauchte dann die Netzkunst auf doch die war nie mehr als ein Joke wie
doch Shulgin richtig bemerkte. Von der Netzkunst spricht doch schon
lange niemand mehr waehrend die Medienkunst, wie man an diesen
Diskussionen sieht, ziemlich 'alive and kicking' ist. Insofern kam nach
1995 die babylonische Verwirrung und da koennte ich provokant sein und
sagen, der Versuch, eine Softwarekunst zusammenzuzimmern, war doch wohl
auch eher provisorisch, belegt aber sehr gut, dass wir es inzwischen
tatsaechlich mit den Medienkünsten in der Mehrzahl zu tun haben und
nicht mit einer monolithischen Medienkunst was in meinem demnaechst
erscheinenden Essay zur Ausstellung Waves in Dortmund auch nur ein
bisschen abgehandelt wird, waehrend wir noch gar nicht begonnen haben
uns der Frage zu naehern, was die Kunst mit der allgemeinen
wirtschaftlich-industriellen Dynamik zu tun hat. da gab es naemlich
einmal den Anspruch, dass die Kunst frei nach Burnham in die
Richtungsentscheidungen ueber die Zukunft der Technologieentwicklung
eingreift. Mag sein, dass manche der so gescholtenen MIT-Kuenstler eine
solche Motivation hatten und sich sagten, ich arbeite lieber im Bauch
des Boesen, weil ich da was beeinflussen kann, als an der Peripherie.
Mit der Netzkutur und FOSS haben sich die Spielregeln geaendert und
Innovation kann dezentral erfolgen aber die Referenz zur Kunst faellt
weg. Diese noch offenen Entwicklungen und Ebenen des emergierenden Neuen
nenne ich www.thenextlayer.org


Schoenen Tag noch

Armin