[rohrpost] Und es gibt sie doch

Florian Cramer fc-rohrpost at plaintext.cc
Die Apr 8 02:58:28 CEST 2008


Falls, wie Mirko Fichtner anmerkt, Diskussionsbeiträge weiterhin
angebracht sind, und verspätete noch dazu:

> All diese Arbeiten, die in den letzten Jahren 
> entstanden sind, zeigen, dass Medienkunst heute 
> zu einem erweiterten Feld der ’medialen Kuenste' 
> geworden ist. 

Über die Grundthese des Texts muß man sich hier wahrscheinlich nicht
lange streiten. Daß "Medienkunst" zumeist als indiskutabler
Techno-Kitsch wahrgenommen wird, woran die ZKMs und diversen "media
labs" und "Medienkunst"-Festivals dieser Welt kräftig mitgearbeitet
haben; darin bist Du Dir, wenn ich es richtig sehe, auch mit Stefan
Heidenreich einig. 

Man könnte sehr grob zwei Traditionslinien der "Medienkunst" abstecken,
eine künstlerisch experimentelle Low Tech-Tradition, die auf die
japanische Gutai-Bewegung, das Black Mountain College und Fluxus
zurückgeht und sich in Netzkunst und künstlerischer Hackerkultur
fortschreibt, sowie eine ingenieurwissenschaftlich-akademische, oft
industrienahe High Tech-Tradition universitärer oder
privatwirtschaftlicher Elektronikstudios und Laboratorien von den Bell
Labs bis zum IRCAM und dem MIT Media Lab. Wiederum grob vereinfacht: Der
"Medienkunst"-Betrieb wurde von zwar von den High Tech-Repräsentanten
installiert und dominiert, aber auch von den Low Tech-Künstlern so lange
bereitwillig genutzt, wie er ihnen "opportunities" - Honorare,
Stipendien, Preise, Reputation - bot. (Umgekehrt konnten sich
künstlerische Low Tech-Initiativen ihr Überleben z.T. dadurch sichern,
daß sie sich gegenüber institutionellen Geldgebern als High
Tech-Brutstätten verkauften, besonders hier in den Niederlanden mit
ihren unzähligen "Medien"-Kulturorten.) Genau aus diesem Grund lagen im
Betrieb "Medienkunst", besonders seit der zweiten Hälfte der 1990er
Jahre, das Beste und das Dümmste direkt nebeneinander, was die
Beschäftigung damit interessant, für Außenstehende ohne bullshit
detector aber schwierig bis unmöglich machte.

Eure Argumente weichen lediglich darin ab, daß Stefan den Betrieb und
Begriff "Medienkunst" voll und ganz dem institutionellen
Techno-Futurismus zuschlägt, während Du mit Heath Bunting und Co. die
Alternativströmung geltend machst. Wenn ich Stefans Reaktion auf Deinen
Beitrag richtig verstehe, so hat er dieselben Sympathien, würde aber Bunting nicht dem Betrieb
"Medienkunst" zurechnen. Das kann man zwar einerseits so sehen - und Bunting 
sähe wahrscheinlich auch so -, andererseits aber leicht fragwürdig finden 
angesichts von Stefans Bezug auf die transmediale, einem Festival, das von
allen "Medienkunst"-Institutionen den Alternativströmungen noch am
ehesten, wenn auch nie richtig konsequent, eine Plattform geboten hat.
[Persönliche Fußnote zu Deinem Text: Hinter Marko Peljhans "Makrolab"
würde ich allerdings ein dickes Fragezeichen setzen. Ich kann darin
nicht mehr sehen als eine typische 90er-Jahre-Scharlatanerie diffus
subversiv raunender, aber letztlich belangloser Apparate-Anhäufungen und
-Materialschlachten.]

Daß "Medienkunst" ein unsinniger Begriff ist, weil es keine Kunst ohne
Zeichenträger gibt, wurde hier schon früh und oft diskutiert.  Ich habe
das Wort erst historisch zu verstehen gelernt, seitdem ich an einer
Kunsthochschule arbeite. "Medienkunst" ist zunächst einfach maulfauler
Jargon für "neue Medien-Kunst" oder "elektronische Medien-Kunst", nicht
anders als "Netz" für "Internet" z.B. im Sprachgebrauch dieser
Mailingliste.  In der Kunstpraxis und -ausbildung hat der Begriff
"Medium" allerdings nicht die Bedeutungen, die er in Medientheorien und
-kritik besitzt, sondern ist schlicht Synonym von "künstlerischem
Material".  "Neue Medien" waren in dieser Sichtweise, seit ungefähr den
späten 1960er Jahren, neue, elektronische künstlerische Materialien
jenseits der traditionelleren Materalien Malerei, Bildhauerei,
Fotographie, Film, Instrumentalmusik.  Da die künstlerische Ausbildung
an der Beherrschung eines Materials (bzw. "Mediums") ausgerichtet war
und ist, wurden deshalb spezialisierte Studiengänge für
nicht-traditionelle Materialien wie Video und später Computer und
Internet eingerichtet, meistens gekoppelt an die zu enge, naive
Perspektive, ihr Potential als Bild- (oder in Musikstudiengängen:
Ton-)erzeuger auszuschöpfen.  Auf diese Tradition bauen historisch auch
die Siggraphs, ars electronicas, ZKMs und KHMs.

Man kann über die Materialzentriertheit künstlerischer Ausbildung
streiten; doch spätestens in Design-Studiengängen kommt man an ihr nicht
vorbei, wenn man "professionals" und keine Universaldilettanten
heranbilden will. Würde man aus der medientheoretisch-kunstkritischen
Überlegung, daß sich "Medienkunst" überholt hat, Studiengänge und Foren
für experimentelle künstlerische und gestalterische Arbeit mit Computern
und Netzwerken abschaffen, so würden schlicht kaum Studierende an
Kunsthochschulen übrigbleiben, die in einem Computer mehr sehen als
einen Photoshop-Pinsel oder Videoschnittplatz. Die Hacker-Künstler
würden ihr Studium gleich beim Chaos Computer Club absolvieren, und der
bessere Teil der transmedialen nicht zu Kunstbiennalen, sondern
Hackercamps migrieren, wie es in Italien bereits geschehen ist. (Wenn
man das System "zeitgenössische Kunst" noch schneller zur Implosion und
neobürgerlichen Obsoletheit führen will, müßte man wahrscheinlich genau
solche Tendenzen fördern und analog dazu Bildkünstler in die Street Art
abziehen, Performancekünstler in Undergroundclubs usw.)

Es besteht daher die Gefahr, mit dem Konzept "Medienkunst", so sehr man
es auch kritisieren muß, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Es liefe
aufs gleiche hinaus wie die (hypothetische) Abschaffung von
Fotographie-Ausstellungen, -Festivals, -Zeitschriften und -Studiengängen
etc. auf der Basis der falschen Schlußfolgerung - des klassischen
falschen Syllogismus -, daß sich die Fotographie als eigenständige
Disziplin erübrigt habe, seitdem sie mit Goldin, Wall, Gursky, Ruff &
Co. im zeitgenössischen Kunstbetrieb angekommen ist.

Auch deshalb finde die Begriffsschöpfung "mediale Künste", wie Du sie
in Deinem Text und die Zürcher Kunsthochschule nun für ihren (sehr
guten) "Neue Medien"-Studiengang verwendet, eine Verschlimmbesserung.
Wenn sich für "Medienkunst" als Kürzel für "elektronische Medien-Kunst"
noch mit Hängen und Würgen Sinn hineinlesen läßt, was ist dann "mediale
Kunst"? Anders gefragt: was ist "nichtmediale Kunst", von der sich
"mediale Kunst" unterscheidet? Doch nicht "unvermittelte Kunst"? Was
also kann "mediale Kunst" anderes sein als ein noch kryptischerer
Insider-Jargon für Kunst, die ehemals dem Ghetto "Medienkunst"
zugerechnet wurde, nun aber als "Kunst" ohne einschränkendes Präfix
gehandelt werden möchte, im Sinne von "ex-Medienkunst-Kunst"?

-F


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