[rohrpost] Interview mit Humberto Maturana

Ulrike Bergermann ubergermann at gmx.de
Die Feb 5 14:05:11 CET 2008


> vielleicht passt auch noch in die fussnote der hinweis auf ein  
> früheres interview zu ganz ähnlichen themen:
> in: Bernhard Pörksen, Die Gewissheit der Ungewissheit. Gespräche  
> zum Konstruktivismus, Heidelberg (Carl Auer) 2002, mit Heinz von  
> Foerster, Ernst von Glasersfeld, Humberto R. Maturana, Gerhard  
> Roth, Siegfried J. Schmidt, Helm Stierlin, Francisco J. Varela und  
> Paul Watzlawick
> glück auf, ulrike
>
>
> Am 04.02.2008 um 22:54 schrieb Till Nikolaus von Heiseler:
>
>> Vor zwei Tagen war ich auf der Transmediale und habe eine Vortrag von
>> Humberto Maturana gehört. Ehrlich gesagt bin ich vor allem deshalb
>> hingegangn, um ihm eine Frage zu stellen. Da es dazu nicht kam, bin
>> ich dann irgendwann einfach auf die Bühne gegangen und habe ein
>> kleines Gespräch geführt. Das Gespräch soll eine Fussnote zum  
>> Nachwort
>> meines Buches „Medientheater" werden, das Ende März im Kulturverlag
>> Kadmos erscheinen wird. Über Kommentare freue ich mich.
>>
>>
>> [Gespräch 1.Feb.08, Transmediale/Haus der Kulturen der Welt]
>>
>> HEISELER: We are here in Germany and there was a famous german
>> sociologist. His name is Niklas Luhmann. He refers to different
>> theories: Fritz Heider, Georg Spencer Brown, Talcott Parsons and to
>> you and Verela, in your case by using the term Autopoiesis. What do
>> you think of Niklas Luhmann's Systemtheory?
>>
>> MATURANA: I had a disagreement with him.
>>
>> HEISELER: May I tape you?
>>
>> MATURANA: Yes, yes, yes. I was in Bielefeld, I think 1990, 91,
>> something like that. A couple of years before he died. And we talked
>> much. And I thank him because he made me famous. But my discordance
>> with him was, was that he left out human beings.
>>
>> HEISELER: That is the whole idea.
>>
>> MATURANA: I know, I know, but I thought this would be inadequate. I
>> asked him why, why did you do that? He said he wanted to do that,
>> because he wanted a predictable theory. If you introduce human beings
>> you introduce into certainty a certain uncertainty...  My answer to
>> that is: That we have two ways of dealing with that. One is to
>> eliminate the human being. The other is to make a theory which
>> includes human beings. But later I realized that one thing that he
>> wanted was to deal with closed systems. And he thought, I think, that
>> Autopoiesis allowed him to deal with closed systems.
>>
>> HEISELER: In a way …
>>
>> MATURANA: In a way.
>>
>> HEISELER: A nervous system is a closed system.
>>
>> MATURANA: Yes.
>>
>> HEISELER. It is closed on the operative level to be open on the
>> cognitive level as you made it clear in your books.
>>
>> MATURANA: Yes. But he wanted to do that. I think, in order to do that
>> with communication he needed Autopoiesis, but he needed to leave out
>> the human beings. You can't have a closed system with human  
>> beings, if
>> it includes the dynamic of the participation of human beings and the
>> realization of communication. What you cannot predict is the flow of
>> communication, but you can predict the nature of the closed system.
>> This you can have. This was our discrepancy, because we gave a  
>> seminar
>> together in which we always were encountering this discrepancy.
>>
>> HEISELER:  If you take the concept of Autopoiesis and transfer it to
>> the field of social system, what is transferred? Is it just a  
>> metaphor
>> or does this lead to hard science like the biological idea of
>> Autopoiesis, if this would be called hard science?
>>
>> MATURANA: It is a metaphor, because it leads to believe in something
>> what it is not. I remember that Heinz von Foerster when he first  
>> heard
>> about Autopoiesis, he said: "Fantastic! - This solves the problem,
>> because social systems are autopoietic systems." I said if social
>> systems are autopoietic systems, I want to get out immediately.
>> Because if that is so, then a social system is an embodiment of
>> totality. And I don't want to be a part of an embodiment of totality.
>>
>> HEISELER: So you still believe in a subject, in a way. I ask this,
>> because we have a lot of theories in the 20th Century, speech theory,
>> discourse analysis, media theory which excludes in a way the human
>> being.
>>
>> MATURANA: I don't think that they solved the question.
>>
>> HEISELER: Okay, that is what I wanted to know. Thank you.
>>
>> MATURANA: Thank you to you, too.
>>
>> Eben die Frage der Totalität der Systeme werden wir weiter unten im
>> Bezug auf den Begriff des Autors diskutieren. Wir werden sehen, dass
>> uns hier die Theorie der Evolution der sozialen Systeme weiterhelfen
>> wird. Denn wenn die Evolution, wie Luhmann vorschlägt, zunächst einer
>> Variation bedarf, dann steht genau diese Variation der Totalität des
>> Systems, der Totalität der Selektion, entgegen. Totalität ist
>> systemtheoretisch die Totalität der symbolisch generalisierten
>> Kommunikationsmedien innerhalb der gesellschaftlichen
>> Funktionssysteme, die sie erschaffen und durch die sie erschaffen
>> werden. Die Systemtheorie ist genaugenommen eine Selektionstheorie  
>> der
>> Kommunikation. Über die autopoietisch geschaffenen  
>> Selektionskriterien
>> (symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien) kann die
>> Gesellschaft als Kommunikation beschrieben werden. Luhmann erklärt
>> Gesellschaft also aus den Selektionskriterien der Kommunikation. Dass
>> diese nun vorauseilend (von der Kommunikation {laut Luhmann} bzw. von
>> den Kontrollierten {laut Deleuze}) erfüllt werden, ist die zeitgemäße
>> Antwort auf die alte soziologische Frage: „Wie ist gesellschaftliche
>> Ordnung möglich?"
>> Luhmanns große und erhellende Setzung - die darin besteht, dass er  
>> der
>> Kommunikation selbst Sinnverwendung unterstellt und das psychische
>> System als Umwelt des Sozialen konstruiert, wodurch er  
>> zwangsläufig zu
>> seiner berühmten paradoxen Tautologie: „Die Kommunikation
>> kommuniziert" kommt - gerät in dem Moment logisch in Schwierigkeiten
>> wenn damit Interaktion oder gesellschaftliche Entwicklungen erklärt
>> werden sollen. (Deshalb schließt Luhmann hier mit zwei
>> unterschiedlichen und nur bedingt mit der eigentlichen Systemtheorie
>> kompatiblen Theorien an.) In Bezug auf Luhmanns gewagte, geniale
>> Setzung stellt sich für uns nicht die Frage von wahr oder unwahr,  
>> denn
>> jede Theorie abstrahiert (und es kommt in der Wissenschaft eben auf
>> „die richtige" Reduktion an), sondern die Frage, was mit ihrer Hilfe
>> sichtbar wird und was durch sie verdeckt wird. Wenn es so etwas wie
>> soziologische Aufklärung gibt, dann besteht diese in der Aufklärung
>> über die Selektionsmechanismen einer Gesellschaft. Der Ausstieg aus
>> dem sozialen System indes würde den Ausstieg aus jeglicher
>> Kommunikation bedeuten und selbst dann würde der Aussteiger die
>> Sinnunterscheidungen der Gesellschaft, ihre Sprache und Differenzen
>> teilweise zumindest weiter verwenden. Der wirkliche Ausstieg aus der
>> Totalität des gesellschaftlichen Systems wäre gleichsam ein Ausstieg
>> aus dem Medium Sinn. Damit würde dann allerdings auch eine Dimension
>> des Menschen aufgegeben. Die menschliche Freiheit besteht deshalb
>> nicht im Ausstieg aus Sinn und Gesellschaft, sondern in der Selektion
>> und Beschränkung der angenommenen Kommunikation und damit in der Wahl
>> einer besonderen Unfreiheit.
>>
>> glück zu allen!
>> till
>>
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