[rohrpost] Neuerscheinung: Winkler: Basiswissen Medien

Till Nikolaus von Heiseler till.n.v.heiseler at googlemail.com
Don Feb 14 14:54:14 CET 2008


Lieber Claus,
das freut mich, dass du dich nun doch noch äußerst, und wir beide
wissen ja wohl, dass es immer einen Ort gibt, von dem aus man eine
Aussage oder eine Theorie dekonstruieren kann. Das bleibt ja so wie so
klar, nicht?

Darum bin ich auch gar nicht dafür, diese Dekonstruktionsorgien immer
weiterzuvollziehen: Das wird notwendigerweise l'art pour l'art.

Aber wenn nun mal ein Ball hoch aufgeschlagen ist und man am Netz
steht, kann man der Versuchung eben nicht widerstehen. Diese
gegenseitigen Ontologievorwürfe sind ja auch Teil eines Sportes, der
auf die Dauer etwas trostlos erscheint, obwohl er ja mitunter nicht
schlecht entlohnt wird. Aber wenn es über die Dekonstruktion
hinausgehen soll, dann kann eine Theorie auf der Ebene der ersten
Beobachtung, auf der Sachebene, ja immer nur durch das Einmischen
eines ontologischen Elements bestehen. Ex post kann man dann natürlich
Selbstdekonstruktion betreiben (find ich ja auch gut). Ach, und um im
Bild vom Tennisspiel zu bleiben: Es gehört sich dann schon, den Ball
zurückzuspielen und sich dafür nicht zu fein zu sein. Und nicht nur
dort zu reagieren, wo es sich um einen „relevanten" Beobachter handelt
(also um jemanden, von dem man beruflich und reputationsmäßig abhängt)
...

Zu einem gewissen Grad, denke ich, könnte man ja wissenschaftliche
Theorie als Effekt des Wissenschaftssystem lesen. Und dieses Buch von
Winkler kann, denk ich, dazu animieren, dies so zu sehen. Von daher
hat es ja am Ende doch einen heuristischen Nebeneffekt.

Einen Modebegriff als Merkmalsbegriff anzulegen, ohne zu erklären, was
man damit erklären will, und ohne eine Setzung zu vollziehen ist
Strategie pur. Die ist mit Deleuze vielleicht nicht mal mehr einer
Person, sondern eher der Kontrolle an sich zuzurechnen.

Ich denke einfach, wenn man sich in der privilegierten Stellung
befindet, den lieben langen Tag nix anderes zu tun als den Professor
zu geben und über Dinge nachzudenken, dann sollte man methodisch ein
wenig reflektierter arbeiten. Also Setzung: Klar!
(z.B.:Ernst: Medium ist der physikalische Ort... blabla, Krämer:
Medien schaffen Ordnung durch Ungleichheit, Hagen: „Medium" sage ich
nicht, weil das eine Ontologisierung wäre, wie blöd so was sein kann,
zeige ich euch mal an den Äthertheorien vor 1905, Mersch, der
irgendwie die negative Theologie mit dem Medienbegriff fortschreibt
und in seinem Denkstil für Übersehenes und deshalb auch Ästhetik eine
Lanze bricht... usw. usf.) .

- traurig allerdings, wenn die Position, auf die man sich einmal
versteift hat, nicht hält, was sie verspricht, wie es ja bei einer
nicht näher zu bezeichnenden Person der Fall ist, die wir, denke ich,
durchaus schätzen...

...aber lieber auf verlorenem Posten eine schwachsinnige Setzung
verteidigen als Merkmale aufzählen und den Konsens anrufen!

>  Daß Relevanz und Konsens sich auf einen Kontext beziehen, der nicht
>  expliziert wird (und wohl auch nie expliziert werden kann), sondern
>  pragmatisch unterstellt werden muß, ist bei diesem Format doch klar.

(vielleicht nicht klar genug um in einem Buch das Punkte vergibt
unerwähnt zu bleiben!)

Na ja, wenn wir jetzt ernsthaft sprechen wollen: Es gibt zunächst
vielleicht zwei Kontexte (idealtypisch gesprochen): erstens den
problemkonzentrierten (den pragmatischen) und die von Lehre und
Forschung.
Herauszufinden, was in welchem problemorientierten Kontext relevant
ist, ist ja eigentlich schon problematisch genug. Vielleicht kann man
auf der anderen Seite eine weitere  Unterscheidung treffen, der sich
in Lehre/Forschung schon andeutet. Wenn es um Wissensvermittlung geht,
ist nur das sozial redundante Wissen relevant, wenn es dagegen um
WissensPRODUKTION geht, dann ist das Bekannte natürlich genau das,
wovon sich das Relevante als Neues abstößt. Das Neue nun ist die
Einheit der Differenz von Fehler und Innovation. (War doch mal so ein
bisschen entfernt und modistisch aufgeputzt Thema bei einer
transmediale - „misstakeologie" o.s.ä. warst du auch auf dem Podium)
Man muss in solchen Zusammenhängen (Forschung) das, was als Blödsinn
erscheint, also erst mal stehen lassen.

>  btw.: ich hab's nicht als alphabetische Liste von Ontologisierungen
>  gelesen, sondern als Hatmut Winkler'sche Medientheorie, die sich in
>  der Auswahl der Begriffe, dem Arrangement und den Bezügen abzeichnet.

Weißt du eigentlich, warum sich Schriftsteller immer beschimpfen und
Theoretiker sich immer gegenseitig in den A. kriechen? Eigentlich
müsste es doch genau umgekehrt sein: Schriftsteller kommen sich ja gar
nicht in die Quere, jeder Schriftsteller hat seine eigene Welt,
während Wissenschaftler sich ja die Interpretation der Welt teilen
müssten.

- Das hängt natürlich mit dem unterschiedlichen Temperament zusammen:
Künstler versus Wissenschafter!
- Vonwegen! das hängt damit zusammen, dass Schriftsteller
ausschließlich Konkurrenten sind, während man in der
wissenschaftlichen community nie weiß, wer noch mal wichtig für einen
werden kann und einen mal zu einem Vortrag oder einem Sammelbändchen
einlädt.

Also meine These: Für das Neue braucht es zunächst Mut. Interessant
werden Gedanken da, wo das Nette aufhört. Die Strukturen des
Wissenschaftssystems sind nicht dazu angetan, das grundlegende Wissen
hervorzubringen, das man vielleicht wird brauchen können.
Normalwissenschaft bläht sich auf. Die DFG braucht einen
Innovationstopf, ohne dass bei der Vergabe Reputation auf Personen
zugerechnet wird. HIER MÜSSTEN NEUE FORMATE DER WISSENSPRODUKTION IN
EINER PRAXIS ERFORSCHT WERDEN.

[trompeten, hörner (fff)]

Glück zu allen!

till nikolaus von heiseler



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